Senta Berger und Günther Maria Halmer im Interview:„Schauspielerei ist der flüchtigste Beruf überhaupt“

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Mit Zitronen-Tarte zurück nach Amalfi: In Rainer Kaufmanns Kammerspiel "Weißt du noch" erinnern sich Günter (Günther Maria Halmer) und Marianne (Senta Berger) an glückliche und schmerzvolle Tage. (Foto: Jürgen Olczyk/Majestic)

Was bleibt am Ende eines Lebens? Wie hält man Erinnerungen wach? Im Film „Weißt du noch“ stellen sich Senta Berger und Günther Maria Halmer elementare Fragen. Ein Gespräch über zwei große Karrieren, Helmut Dietls Geschmack und Rappelköpfe am Set.

Interview von Bernhard Blöchl, Josef Grübl

Senta Berger und Günther Maria Halmer sitzen in einer Suite im Bayerischen Hof und erinnern sich. Zunächst an ihre gemeinsamen Dreharbeiten, später an die Zusammenarbeit mit Helmut Dietl und an ihr Frühwerk. Der Titel ihres aktuellen Films, der am Freitag, 10. Januar, um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt wird, wird zum Leitfaden eines Gesprächs, das munter hin- und herschwappt und nur durch das zweimalige Glockengeläut von Bergers Handy unterbrochen wird: „Weißt du noch“. In Rainer Kaufmanns dialogreichem Kammerspiel (Buch: Martin Rauhaus) blicken zwei Menschen, die seit 50 Jahren verheiratet sind, auf ihr Leben zurück, befeuert durch die Wunderwirkung einer geheimnisvollen Pille. Im Interview wiederum, das während des Filmfests München 2023 stattfand, blicken zwei große Schauspieler auf ihre Karrieren zurück – und beantworten schließlich die Frage, die auch im Film verhandelt wird: Wie geht man mit dem nahenden Ende des Lebens um?

SZ: Im Film machen Sie einen Demenz-Test und müssen sich komplizierte Städtenamen mit „K“ merken. Das ist fies, als Zuschauer behält man höchstens Kuala Lumpur und Kaiserslautern im Kopf.

Senta Berger: Und Krasnokamensk! Das ist doch ein herrlicher Name! Ich lerne eigentlich leicht Text, aber den Demenz-Text musste ich mir auf viele kleine Zettel aufschreiben und überall hinkleben. Vor allem in der Küche, wo ich meinen Alltag bewältige. Und dann habe ich das immer wieder gelesen: Kaiserslautern, Kinshasa, Kiew … Bestimmt eine Woche lang, bis der Text tatsächlich da war. Wenn Sie mich jetzt wecken, könnte ich es Ihnen aus dem Stand sagen.

Günther Maria Halmer: Es war schon viel Text. Als ich das Drehbuch bekommen und meiner Frau gezeigt habe, konnte sie sich nicht vorstellen, dass das einmal ein Film wird. Sie hat gesagt: „Das ist ja nur Papier.“

Berger: Günther und ich, wir haben ja beide am Theater angefangen. Die Situation, viel Text lernen zu müssen, ist uns vertraut. Der Rainer (Kaufmann, Regisseur des Films, A.d.R.) hat uns gesagt, dass er die Szenen gerne durchspielen möchte. Ohne Schnitt. Er glaubte, dass das besser sei für die Energie und den Rhythmus einer Szene.

Sie haben also auch die Städtenamen-Szene in einem Rutsch durchgespielt?

Berger: Ja, das war die Einstellung am ersten Tag. Die hat 17 Minuten gedauert. Das ist für einen Film ungewöhnlich, auch für die Kamera und das Team. Da müssen alle den Atem anhalten – besonders in diesem alten Haus, in dem wir drehten und in dem die Dielen knirschten und knarzten. Wir sind beim ersten Mal durchgekommen, danach haben alle applaudiert. Und wir haben gesagt: Okay, jetzt geht’s los.

Günter (Günther Maria Halmer) und Marianne (Senta Berger) helfen ihrem Gedächtnis mit Dias auf die Sprünge. Im wahren Leben braucht Senta Berger keine Tricks. Sie sagt: "Ich gehe durch den Tag und erinnere mich ständig." (Foto: Jürgen Olczyk/Majestic)

Hilft die Schauspielerei dabei, um im Alter nicht vergesslich zu werden?

Halmer: Das weiß ich nicht. Aber ich kann mich an die Zeit mit Therese Giehse erinnern. Die war damals 73 und wenn sie gespielt hat, hat man den Text dreimal gehört. Zweimal von der Souffleuse und einmal von ihr.

Das war an den Kammerspielen, oder?

Halmer: Ja. Bei den „Münchner Geschichten“ musste man ihr den Text fünf Wochen vorher geben und durfte nichts mehr verändern. Ich war ein fauler Hund und habe gemeint, dass ich das beim Proben lerne. Dann ging das Licht an der Kamera an und ich habe Fehler gemacht, die Giehse war aber immer perfekt. Nach dem zehnten Mal konnte ich den Text. Und sie nicht mehr.

Berger: Ihre Frage spielt natürlich auf diese Lebenshilfebücher an. Darin heißt es, man solle Texte lesen und auswendig lernen, um Demenz vorzubeugen. Das kann schon sein, hat mit unserem Beruf aber nichts zu tun. Hier geht es ja nicht darum, ein Gedicht auswendig zu lernen, sondern einen Text zu haben, der verbunden wird mit Aktion, mit Gedanken, Bewegung und Pausen. Ich lerne den Text zu Hause und kann ihn dann bei den Proben vertiefen, wenn wir mit der Kamera arbeiten und ich die Situation weiß. Die Interpretation des Textes verändert sich ja jeweils, wenn sie mit dem realen Handwerk zusammenkommt.

Gab es im konkreten Fall Raum für Interpretation?

Halmer: Ich fand das Drehbuch von Martin Rauhaus so großartig, dass ich es genau so gespielt habe. Bei Helmut Dietl war das auch so, da musste man gar nichts ändern. Weil es einfach gut geschrieben war.

Sie haben beide mit Dietl gearbeitet. Es heißt ja, dass er seine Dialogsätze punkt- und kommagenau sprechen ließ. Stimmt das?

Halmer: Ja, er war sehr streng.

Berger: Na ja, man konnte ihm schon etwas vorschlagen.

Halmer: Du vielleicht.

Berger: Das ist doch eine Zusammenarbeit und kein Verteilen von oben nach unten. Er war ein sehr guter Zuhörer. Wie ein Musiker nach Noten hört, hat er nach der Sprache gehört. Und er hat gesagt: „Okay, mach mir einen Vorschlag. Und wenn er besser ist, mach ich’s.“ Sehr oft waren seine Vorschläge besser als meine.

Senta Berger und Helmut Dietl 2010 im "Schumann's". (Foto: Robert Haas)

Ein zentrales Thema des Films sind Erinnerungen. Was hilft Ihnen persönlich dabei, sie zu bewahren? Sind es Gegenstände, Düfte, Musik?

Berger: Ich gehe durch den Tag und erinnere mich ständig. Ich stehe in der Küche und erinnere mich an meine Mutter, wie sie neben mir gestanden und mir auf die Finger geschaut hat. Und ich würde mich gerne umdrehen und sagen: „Na, ich hab’s doch ganz gut gemacht, oder?“ Dieses „Weißt du noch“ ist präsent, es gehört zum Leben. Und weil Sie Musik angesprochen haben: Ich habe zu meinem Geburtstag so eine Soundbox geschenkt bekommen. Da hole ich mir den Nat King Cole her. „Pick Yourself Up, Dust Yourself Off“, das habe ich im Sommer 1962 gehört.

Und schon geht eine Welt auf ...

Berger: Leider kann ich die Bilder von damals nicht mit Ihnen teilen. Aber ich denke dann an den Prater, an die Kastanien. Damals habe ich den ersten amerikanischen Film gemacht, ich habe die Platte von Nat King Cole geschenkt bekommen. Und da ist plötzlich alles wieder da. Das ist schön. Natürlich gibt es auch Erinnerungen, die wehtun. Aber auch die versuche ich mir zu erhalten.

Halmer: Ich bin nicht so ein Mensch, der sich gern zurückerinnert. Meine Frau holt manchmal die Fotoalben hervor und sagt: „Schau’s dir doch an!“ Und es ist schon erstaunlich, was Bilder einem wieder in Erinnerung rufen.

Oder auch Orte. Sie erzählten einmal davon, wie wichtig Ihnen die „Kulisse“ in der Maximilianstraße war.

Halmer: Ja, ich weiß noch genau, wie ich dort immer mit dem Helmut Dietl saß. Er hat ja gegenüber gewohnt, weißt du das?

Berger: Der Helmut?

Halmer: Ja, in der Wurzerstraße war das, glaube ich.

Berger: Ach so, ja. Da hat auch die Giehse gewohnt.

Halmer: Ja, das war ein Neubau. Mit Dachterrasse. Da hat er zusammen mit der Barbara Valentin gelebt. Als sie bei ihm eingezogen ist, brachte sie ein herzförmiges Doppelbett aus Hollywood und Kronleuchter mit. Die hingen dann plötzlich überall. Eigentlich hatte der Helmut ja einen sehr guten Geschmack.

Berger: Das hört sich aber gerade nicht danach an.

Halmer: Und dann ist er wieder umgezogen.

Berger: In die Friedrichstraße. So viel zu den Umzügen von Herrn Dietl.

Halmer: Nein, nein, es geht doch um Erinnerungen!

Wie sieht es mit den Erinnerungen an Ihre Filme aus? Was sehen Sie, wenn Sie sich selbst sehen?

Berger: Da habe ich mich jahrelang überhaupt nicht darum gekümmert, irgendwann hat mir aber jemand Sachen von mir auf Youtube gezeigt. Da heißt es dann etwa: „Senta Berger singt.“ Und ich denke mir: Wie gut, dass ich damals nicht wusste, dass die Shirley MacLaine das viel besser gemacht hat als ich. Aber ich erinnere mich gern an diese Zeit, ich war da ja noch ganz am Anfang. Anfänge sind sowieso immer das Interessanteste eines Lebens. Diese alten Filme kann ich mir ganz gut anschauen, die sehe ich etwas spöttisch und mit ein bisschen Zärtlichkeit für dieses Mädel, das ich damals war. Die kürzlich gedrehten Arbeiten kann ich mir dagegen lange nicht anschauen.

Halmer: So geht’s mir auch. Vor Kurzem wurden wieder die „Münchner Geschichten“ gezeigt, da habe ich mir gedacht, wie sehr sich die Zeit verändert hat. Das ist ja ganz langsam und fad geschnitten. Wenn ich mich darin sehe, denke ich mir: „Ja, nicht schlecht.“ Aber ich habe zu mir als 30-Jährigen keine Beziehung mehr. Ich weiß nicht, was ich da für ein Mensch war.

Paraderolle und Kultserie aus den Siebzigerjahren: Günther Maria Halmer als Tscharlie in Helmut Dietls "Münchner Geschichten" (im Bild neben Therese Giehse). (Foto: BR/Intertel Television GmbH)

In „Weißt du noch“ geht es auch um das vorhersehbare Ende des Lebens. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken blicken Sie persönlich diesem Thema entgegen? Oder verdrängen Sie das lieber?

Berger: Ich weiß nicht, ob man das verdrängen nennen kann. Wie soll man denn den Tag bewältigen mit dem Gedanken, dass es morgen schon aus sein könnte? Mir hilft der Gedanke an meinen Tod nicht bei der Bewältigung meines jetzigen Lebens. Ich bin nicht religiös. Es kann sein, dass es anders ist, wenn man so erzogen wurde oder man gläubig ist. Aber ehrlich gesagt ist mir diese Frage ein bisschen zu intim.

Halmer: Aber Sie haben schon recht, in unserem Alter ist das natürlich naheliegender. Mich trifft es immer wieder, wenn liebgewonnene Kollegen plötzlich nicht mehr da sind.

Berger: Wenn Freunde sterben, trifft es einen natürlich sehr. Das ist furchtbar. In den letzten fünf Jahren habe ich meine besten Freunde verloren. Das nimmt auch einen Teil deines Lebens mit. So ungebrochen heiter kann ich nicht mehr sein.

Halmer: Was mich noch mehr erschreckt, ist, wie schnell man vergessen wird.

Berger: Das ist doch völlig wurscht.

Halmer: Nein!

Berger: Aber ja! Schauspielerei ist der flüchtigste Beruf überhaupt. Das wissen wir doch. Wahrscheinlich ist das bei Literatur, Musik, Malerei anders.

Halmer: Ja, so ist es. Aber man erschrickt trotzdem darüber.

Berger: Ich überhaupt nicht.

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Ihr Film richtet sich an ein älteres Publikum, so wie derzeit viele Kinofilme. Gehen die Best-Ager einfach lieber ins Kino als junge Menschen?

Berger: Das finde ich nicht. Es geht nicht nur ums Altsein und die Frage, wie bewältige ich es. Es geht auch um das Abenteuer Zusammenleben – und wie bewältige ich das. Sich nach einem bestimmten Publikum zu richten, wird oft versucht und geht ebenso oft daneben. Es gibt kein kalkulierbares Rezept, nach dem der Produzent kochen kann.

Wirklich nicht?

Berger: Nein, finde ich nicht. Ich denke, dass unser Drehbuchautor Martin Rauhaus das Bedürfnis hatte, über seine Generation zu schreiben, über den Generationen-Gap und wie sich eine gewisse Leere breit macht. Er ist jetzt auch Mitte 60. Wenn das wirklich so einfach wäre, könnten das alle machen. Man muss schon etwas machen, woran man glaubt, was man selbst gut findet.

Halmer: Aber es gibt jetzt schon mehr Filme für Ältere, das stimmt schon. Ich habe in den letzten Jahren mehr Angebote gekriegt. Ich war zum Beispiel erstaunt über den Film „Enkel für Anfänger“. Den habe ich gemacht, das war nett. Und plötzlich kommen die wieder und sagen: Das war ein Erfolg, also haben wir „Enkel für Fortgeschrittene“ gemacht. Auch wenn es darin nur um Alte geht, das ist ja kein Film für Jugendliche.

Sie beide kennen sich gut, waren in Filmen schon mehrmals verheiratet. Welche Eigenschaften am anderen mögen Sie, welche treiben Sie in den Wahnsinn?

Halmer: Da fange ich an, weil die Senta so etwas nicht sagen mag. Ich sag’s aber: Die Senta hat wahnsinnig gute Nerven. Wenn der Regisseur zum 20. Mal „Noch einmal“ sagt, dann schwillt mir der Hals. Dann neige ich zum Schreien. Die Senta hat aber eine Geduld, die macht es einfach noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Da habe ich mir gedacht: Wenn sie nicht schreit, darf ich auch nicht. Dabei war ich ein paar Mal kurz davor. Zum Beispiel bei dieser Liebesszene, in der ich von Frankreich erzähle. Die haben wir ein paar Mal gedreht, beim fünften Mal sagte der Regisseur: „Jetzt war’s wunderbar, aber ihr habt das Glas in der falschen Hand.“ Da habe ich gesagt: „Jetzt flippe ich aus!“

Berger: Du bist ausgeflippt.

Halmer: Ganz kurz. Du kennst mich nicht, wenn ich richtig ausflippe.

Berger: Mir tut der Günther ja leid, weil er so ein Rappelkopf ist. Das kostet ihn ja selbst Kraft, aber er beruhigt sich auch ganz schnell wieder. Was ich an ihm so schätze, ist, dass er ein großartiger Schauspieler ist. Der kann neben mir wie das Rumpelstilzchen ausflippen, das ist mir vollkommen egal. Ich möchte gerne mit ihm spielen, so einfach ist das.

Halmer: Was bei der Senta noch ganz wichtig ist: Sie ist ein großer Star. Mehr als ich, das ist klar. Und sie ist ein fairer Partner. Ich kenne auch Kolleginnen, die sich aufmandeln wollen, wenn sie mit einem spielen. Das ist bei der Senta anders. Wenn ich schlecht bin, habe ich Pech gehabt – weil sie wird nicht schlechter. Aber wenn bei mir der Partner schlecht ist, werde ich auch schlechter.

Berger: Na ja, wir haben ja miteinander gespielt.

Halmer: Und das ist der Vorteil bei der Senta.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview fand während des Filmfests München 2023 statt, wo der Film „Weißt du noch“ Premiere hatte. Im Anschluss wurde das Interview erstmals publiziert. Am Freitag, 10. Januar 2025, 20.15 Uhr, wird der Film in der ARD ausgestrahlt.

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