Süddeutsche Zeitung

"Weiße Rose"-Ausstellung:Die Liebe führte sie in den Widerstand

Traute Lafrenz lernt Hans Scholl bei einem Konzert kennen - und wird als Mitglied der "Weißen Rose" verhaftet. In einer Ausstellung an der Ludwig-Maximilians-Universität werden nun unbekannte Widerstandskämpfer gezeigt.

Christina Warta

Sie trafen sich bei einem Bachkonzert, "ich glaube, es war das Schneiderhan-Quartett", erinnert sich Traute Lafrenz-Page. April 1941: Seit zwei Jahren befindet sich Deutschland im Krieg, bald wird Hitler den Nichtangriffspakt mit Stalin brechen und in Russland einmarschieren. Die Nazis haben das Sagen, auch in München natürlich.

Traute Lafrenz ist vor zwei Jahren von Hamburg zum Medizinstudium hierher gekommen. 21 Jahre ist sie alt, eine gutaussehende Studentin mit dunklen Haaren, dunklen Augen - und einer dezidierten Meinung über die Nazis. Bei diesem Bachkonzert trifft sie ihren alten Bekannten Alexander Schmorell aus Hamburger Tagen wieder und lernt dessen Freund Hans Scholl kennen. Bald darauf sind Traute Lafrenz und Hans Scholl ein Paar.

Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst - das sind die Namen, die man mit der Widerstandsbewegung der "Weißen Rose" im Dritten Reich verbindet: vier Studenten, die mit ihren Flugblättern auch andere Menschen gegen das Hitlerregime aufrütteln wollten.

Doch der Kreis jener, die zur Weißen Rose gehörten, war viel größer. Wer kennt schon Gisela Schertling oder Katharina Schüddekopf? Auch diese jungen Frauen gehörten zum studentischen Widerstand in München - ebenso wie Traute Lafrenz. Ihr ist die Sonderausstellung gewidmet, die die "Weiße Rose Stiftung" mit ihrem Sitz im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität am Montagabend eröffnet hat. Traute Lafrenz-Page, 88, musste ihre Teilnahme an der Eröffnung wegen einer Erkrankung leider kurzfristig absagen.

Verzweifelt im Isartal

Was muss das für ein Sommer gewesen sein, in dem man gerne glücklich gewesen wäre und es doch nicht sein konnte? Auf einem Foto aus dem Jahr 1941 sieht man Traute Lafrenz und Hans Scholl im Isartal sitzen. Sie trägt eine gepunktete Bluse, einen Rock und weiße Strümpfe, ihre langen Haare verdecken ihr Gesicht wie ein Vorhang. Sie lehnt sich an Hans Scholl, als ob sie sich verstecken wolle. Der sitzt neben ihr, die Knie angezogen, mit ernstem Gesicht. Es ist das Dokument eines schönen Sommertags, und doch hat dieses Foto etwas Beklemmendes, Verzweifeltes.

In diesem Sommer muss Traute Lafrenz auch Rüstungsdienst in einer Munitionsfabrik in Kraiburg am Inn leisten. In Briefen an Hans Scholl äußert sie ihre Angst, mit "schuldig" am Krieg zu sein.

Immerhin: Die Zahl der Gleichgesinnten unter den Münchner Bekannten nimmt zu. Man trifft sich zu Leseabenden, tauscht sich aus. "So bekam man das Gefühl, als existiere ein breitgespanntes Netz Gleichdenkender - und da wir immer nur mit diesen und nicht mit den vielen Andersdenkenden in Verbindung waren, negierte man die Vielen und baute auf die Wenigen und glaubte sich stark." Mit diesen Worten hat Traute Lafrenz 1947 dem Institut für Zeitgeschichte die Situation geschildert.

Im Juni und Juli 1942 verteilt die Weiße Rose ihre ersten Flugblätter. Traute Lafrenz und Hans Scholl sind zwar kein Paar mehr, doch sie sind Freunde geblieben. Als die Vermieter von Traute Lafrenz ein solches Flugblatt in der Post finden, zeigen sie es ihr. "Ich entdeckte sofort die Literatur, die wir gelesen hatten, zum Beispiel von Schiller", erzählt Traute Lafrenz-Page Jahrzehnte später. Sie spricht Hans Scholl darauf an; er gibt zu, einer der Autoren zu sein.

Zunächst ist sie Mitwisserin, doch im November 1942 wird sie selbst aktiv. Sie bringt Flugblätter nach Hamburg und reist nach Wien, um Kontakte zur dortigen Universität herzustellen. "Mit Sophie ging ich manchmal Papier und Umschläge einkaufen", sagt sie. Normalität des Widerstands: Die Umschläge sind nicht für schwärmerische Jungmädchenpost, sondern um Flugblätter zu verschicken, in denen Hitler der Lüge bezichtigt wird.

Bis zum 18. Februar 1943. Traute Lafrenz hat morgens einen Termin, vorzeitig verlässt sie deshalb eine Vorlesung von Professor Huber. "An der Glastür kamen Hans und Sophie uns mit einem Koffer entgegen. Wir haben es eilig, sprechen nicht viel."

Erst in der Straßenbahn wird Traute Lafrenz das Ungewöhnliche der Situation bewusst. Gegen ein Uhr eilt sie deshalb zurück an die Universität, Studenten kommen ihr entgegen und erzählen aufgeregt: "Zwei haben sie abgeführt." Beim Auslegen des sechsten Flugblattes der Weißen Rose im Lichthof sind Hans und Sophie Scholl vom Hörsaaldiener Jakob Schmid beobachtet und denunziert worden. Die Gestapo hat sie verhaftet.

Einen Monat später wird auch Traute Lafrenz festgenommen und am 19. April 1943 im Münchner Justizpalast als Mitwisserin zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Dass sie Flugblätter verteilt hat, konnte sie verschleiern.

Mit einer kurzen Unterbrechung bleibt sie bis zum Kriegsende in Haft: "Pattons Army befreite uns am 14. April 1945 in Bayreuth." Bald verlässt Traute Lafrenz das Land, in dem ihre Freunde ermordet wurden und das auch ihr so übel mitgespielt hat, und emigriert in die USA, wo sie bis heute lebt.

Die schrecklichen Erfahrungen, die sie als junge Frau in Nazi-Deutschland gemacht hat, haben Traute Lafrenz für ihr Leben geprägt: In Chicago kümmerte sich die Ärztin als Leiterin einer heilpädagogischen Schule von 1972 bis 1994 um geistig behinderte Kinder.

Dass ausgerechnet die Mitglieder der Weißen Rose zu überdurchschnittlicher Bekanntheit gelangten und manchem gar als das Symbol studentischen Widerstands in der Nazizeit gelten, relativiert Traute Lafrenz-Page heute. Auf vier oder fünf Gruppen sei sie in Archiven gestoßen, die, wie die Weiße Rose, Flugblätter verteilt hätten und von den Nazis "sang- und klanglos umgebracht" worden seien. "Hierzu kann ich nur sagen: Ich wundere mich immer noch. So wird Geschichte gemacht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.786544
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28. November 2007
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.