Verlagsbranche:Mit Büchern abheben ins All

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Neugierig auf die unterschiedlichsten Formen von Literatur: Martin Brinkmann, mit zwei Mitstreitern nun auch "Weissbooks"-Verleger.
Neugierig auf die unterschiedlichsten Formen von Literatur: Martin Brinkmann, mit zwei Mitstreitern nun auch "Weissbooks"-Verleger. (Foto: Catherina Hess)

Der Literaturagent und "Krachkultur"-Herausgeber Martin Brinkmann ist nun auch ein Verleger von "Weissbooks" - und setzt auf Münchner Autorinnen wie Natascha Berglehner und Miki Sakamoto.

Von Antje Weber, München

Man soll ja nicht in allem eine platte Symbolik sehen wollen. Doch steht man vor dem Haus, in dem das Büro von Martin Brinkmann zu finden ist, einem stattlichen Gründerzeitbau in Haidhausens schöner Steinstraße, dann wird der Blick magisch von den Schaufenstern gegenüber angezogen. "Buy now or cry later", lockt dort eine Möbelmanufaktur in grellgelben Buchstaben. Und das passt dann doch zu gut zum Thema, das einen nun fünf Stockwerke hinauftreibt, in eine Büroküche im ausgebauten Dachgeschoss: Kauf jetzt oder weine später. Nicht zu verwechseln mit der hoffentlich nie eintretenden Variante: Kauf jetzt und weine später.

Die Sache ist nämlich diese: Martin Brinkmann, Literaturagent und Herausgeber der Zeitschrift Krachkultur, hat mit einigen Mitstreitern im vergangenen Jahr einen Literaturverlag erworben, den Weissbooks-Verlag. "Zu meinen beiden anderen Ehrenämtern", schrieb er lapidar in einem Brief, "kam während Corona noch das hier dazu: Wir haben einen Verlag gekauft." Und da stellt sich nun doch die Frage: Was treibt der Mann - und was treibt ihn an?

Um erst einmal den Mann vorzustellen, in der Buchbranche kein Unbekannter: Martin Brinkmann, 1976 in Bremerhaven geboren und seit einem guten Jahrzehnt in München lebend, hat ein heftig pochendes Herz für alle nur denkbaren Spielarten der Literatur, von der Hochkultur bis zum Trash. Schon als umtriebiger Schüler gründete er die abseits des Mainstreams gründelnde Krachkultur - "meine größte Leidenschaft", wie er immer noch sagt. Brinkmann hat dann über "Musik und Melancholie im Werk Heimito von Doderers" promoviert und an der Uni Bremen unterrichtet; er hat sich "als Autor versucht", wie er auf seiner Webseite schreibt, und eine Weile für den Geschenkbuch-Verlag Sanssouci gearbeitet. Dort hat er gelernt, "in Zielgruppen zu denken", was ihm nun als Literaturagent nützt. Brinkmann geht ins Nebenzimmer, holt einen Führer zu Oberbayerns düstersten Orten und einen Stapel Fußball-Bücher: "111 Gründe, Bayern München zu lieben" - das Thema läuft in vielen Vereins-Varianten. Dass er selbst Werder-Bremen-Fan ist, versteht sich von selbst; Brinkmann verschwindet wieder nebenan und holt seinen grün-weißen Schal.

"Ich will immer noch was Neues entdecken"

Zwischen diesen Eckfahnen ist Platz für vieles mehr. Am Fenster der hellen Büroküche sitzt einer, der sich lässig eine große Neugier auf die Welt, auf die Menschen, auf die verschiedensten Formen von Literatur bewahrt hat. "Ich will immer noch was Neues entdecken", sagt er. Und er sprudelt nur so, wenn er zum Beispiel von Krachkultur-Entdeckungen wie Garielle (früher Gary) Lutz erzählt, einer eigenwilligen Stimme zum Thema fluide Geschlechteridentität, "ein totaler Hammer, da bin ich richtig stolz drauf". Auch die Texte des Koreaners Cheon Myeong-Kwan zum Beispiel findet er "so hart, so roh. Das ist eine andere Welt, eine andere Sicht auf die Dinge, da lernt man was."

Brinkmann liebt es, solche Texte zu finden, ja zu ermöglichen. Er holt wieder ein Bändchen aus dem Nebenraum, frühe Gedichte von Rudolf Proske. Für die Krachkultur hat er den Autor aufgespürt, der als Lkw-Fahrer gearbeitet und lange nicht mehr geschrieben hatte: "Für uns hat er wieder angefangen." Kein Einzelfall: Die Bregenzer Schriftstellerin Eva Schmidt, die zwei Jahrzehnte verstummt war, hat der Agent vor einigen Jahren angeregt, wieder zu schreiben - und es wäre wirklich jammerschade, wenn so großartige Romane wie "Ein langes Jahr" nie erschienen wären. Brinkmann kann dabei nicht nur auf ein großes Netzwerk zurückgreifen, sondern pflegt seine Kontakte langfristig. Er bleibe dran, sei ein "Schürfer", sagt er selbst. Er will Autorinnen und Autoren "motivieren und in die ästhetische Erfolgsspur bringen", will "rauskitzeln, ermutigen". Und diesen Drang kann er nun noch breiter ausleben, auf einem erweiterten Spielfeld.

Denn jetzt also noch ein Verlag: "Das hat mir gerade noch gefehlt", sagt Brinkmann, er meint das positiv. Und er befindet sich bei Weissbooks in guter Gesellschaft: "Wir sind drei Leute, die sich eigentlich nicht gesucht, aber trotzdem gefunden haben." Jeder der drei Verleger - eine vierte hat die Runde wieder verlassen - würde wohl eine unterschiedliche Geschichte erzählen, glaubt Brinkmann. Wie auch immer sie im Einzelnen lauten mag: Der Überlinger Unternehmer Christian Augustin mit der nötigen Kaufkraft, die Berliner Agentin und Lektorin Bärbel Brands und Brinkmann in München haben gemeinsam den Traum eines eigenen Verlags verwirklicht. "Während dieser Corona-Zeit flog die Idee durch die Gegend", sagt Brinkmann: Der 2008 von Rainer Weiss und Anya Schutzbach gegründete Verlag Weissbooks, inzwischen beim Unionsverlag angedockt, sollte eine andere Heimat finden. "Wir haben uns ein Verleger-Herz gefasst und die Musik wieder aufgedreht", erklärten die Neu-Verleger im ersten Herbst-Programm. "Wir wollen die Tradition fortsetzen und weiterhin Bücher verlegen, die uns locken, ins All schießen, bestürzen, herausfordern oder trösten."

"Die Lernkurven sind steil."

Und so versuchen sie nun von drei Orten aus, die Leser mit Büchern ins All beziehungsweise die Bücher in die Buchhandlungen zu schießen. In Überlingen ist die Administration, in Berlin der Hauptsitz, in München kümmert sich Brinkmann um Vertrieb und Marketing, und ums Programm kümmern sich alle drei. Ein "Wagnis", keine Frage. Nicht nur finanziell; zunächst versuchen alle unentgeltlich, den Verlag "ans Laufen zu kriegen", sagt Brinkmann, er selbst verdient sein Geld mit der Agentur. Doch es gibt ja noch mehr Tücken: Auch wenn sie Branchenprofis sind, musste niemand bisher alle Abteilungen eines Verlags gleichzeitig im Blick haben. "Die Lernkurven sind steil", der Satz fällt in Abwandlungen mehrmals. Schon allein die Herstellung ist in Zeiten der Papierknappheit ein komplexes Kapitel. Das Papier der Frühjahrs-Vorschau zum Beispiel, die Brinkmann nun über den Tisch reicht, "das haben nicht wir ausgewählt, sondern die Druckerei hat uns gesagt, was sie da hat".

Das Papier fühlt sich gut an, dies nebenbei, denn die wichtigere Frage ist ja doch: Was ist die Zielrichtung des Verlags, der bei sechs bis acht Titeln im Jahr insbesondere auf "deutsche und internationale Gegenwartsliteratur und gehobene Unterhaltung" setzen will? Wie kann man sich bei einem Konzept, das ein bisschen alles verspricht, von anderen absetzen? "Indem wir aus dem Alles die ganz großen Besonderheiten rausfischen", sagt Brinkmann. Und da hat er über seine Literaturagentur natürlich den einen oder anderen Vorschlag, auch wenn ihm klar ist: Nur die eigenen "Schmankerl zu veröffentlichen, könnte direkt ins Verderben führen". Bei der Programmarbeit sei wichtig: "Es darf nicht nur ein Ton sein."

Natascha Berglehners Debüt mit "Lolita"-Thematik könnte Anstoß erregen

Ein paar sehr unterschiedliche Töne hat er jedoch bereits beigesteuert. Nicht nur die von ihm verehrte Garielle Lutz wird bald in Buchform zu lesen sein. Im Auftakt-Programm waren auch gleich zwei interessante Münchner Autorinnen seiner Agentur dabei: Natascha Berglehner hat mit "Im Zimmer ist Winter" ein beeindruckendes Debüt zum heiklen Thema Pädophilie vorgelegt; der München-Roman erzählt von einer jungen Frau aus schwierigen Familienverhältnissen, die als 14-Jährige vom Schwimmlehrer verführt wurde und den Mann Jahre später nach einer erneuten zufälligen Begegnung obsessiv verfolgt. Brinkmann hat das Buch großen Verlagen angeboten, doch: "Das ist zu anstößig, ist schwer verkäuflich." Dass diese Autorin jedenfalls einiges zu erzählen hat, in einer auf verstörende Weise soghaften Prosa, wird das Publikum nicht nur bei der Lektüre, sondern bald auch beim Festival "Wortspiele" feststellen können.

Anders überraschend ist der Gedichtband "Lichtwechsel" von Miki Sakamoto. Die gebürtige Japanerin lebt mit ihrem Mann, dem Bestsellerautor Josef H. Reichholf - der demnächst ebenfalls ein Buch bei Weissbooks veröffentlicht -, in der Nähe von München. Sakamoto, dem Nature Writing zugetan, schreibt atmosphärisch schwebende Gedichte und Haikus. Eine zweisprachig deutsche und japanische Ausgabe zu drucken, erwies sich zwar als technisch schwierig (Lernkurve!). Doch das Ergebnis beeindruckte offensichtlich Japan-Fans derart, dass die Auflage von 1000 Stück bereits fast verkauft ist.

Es geht also in sehr unterschiedliche Richtungen bei Weissbooks. Vielleicht liegt die Zukunft der Literatur ja auch im Digitalen, wie die Facebook-Poetin Elisa Aseva bestätigen würde? Sie hat gerade ihr erstes analoges Buch im Verlag veröffentlicht, und in der aktuellen Krachkultur ist dieser Zweizeiler von ihr zu lesen: "es mag altmodisch sein - aber ich träume immer noch manchmal von der zukunft." Auch der Traum von Martin Brinkmann und seinen Kollegen, der Kauf eines Verlags ist auf schöne Weise altmodisch. Und auf alle Fälle besser, als später zu weinen.

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