Weihnachtsgeschäft:Der Rausch kann beginnen

Weihnachtsgeschäft: So idyllisch das Tollwood aussieht: Am Samstagabend schiebt sich dort eine nicht enden wollende Menschenmenge über die Theresienwiese.

So idyllisch das Tollwood aussieht: Am Samstagabend schiebt sich dort eine nicht enden wollende Menschenmenge über die Theresienwiese.

(Foto: Johannes Fein)

Offiziell hat die Weihnachtszeit noch gar nicht angefangen, doch in der Innenstadt ist die lukrativste Zeit bereits angebrochen. Und das Wintertollwood ist schon längst der zweite Wiesnwahn, nur mehr öko.

Von Thomas Anlauf

Die fünf Nikoläuse nicken, nebenan schüttelt der böse Wolf den Kopf. Und dann singt auch noch eine plüschiges Rentierbüste mit holländischem Akzent "O Tannenbaum". Nein, das sind keine Halluzinationen nach dem Genuss von zu viel billigem Glühwein, sondern das Animationsprogramm für Kinder im sogenannten Märchenwald auf dem Weihnachtsdorf im Kaiserhof der Residenz.

Ein paar Schritte weiter stehen am Samstagmittag schon Hunderte Münchner mit Glühweintassen und Bratwurstsemmeln in der Hand, schlendern durch den laut Eigenwerbung "stimmungsvollsten Weihnachtsmarkt Münchens". Da gibt es natürlich Baumstriezel und Punsch, Schmuck und auch Schmarrn zu kaufen. Manche, wie Claudias Taschenladen, bieten lokale und auch sozial verantwortliche Waren an. Andere wirken ein wenig exotisch in München, etwa der angeblich original Dresdner Stollen in der Hütte Nummer 17 oder die Alpaka-Manufaktur aus den schleswig-holsteinischen Krusendorf. Immerhin stammt der Eigentümer der Woll-Klamotten ursprünglich aus Memmingen. Es ist offenbar egal, was hier verkauft wird, Hauptsache kuschlig, flauschig, irgendwie weihnachtlich.

Noch eine Woche dauerte es bis zum ersten Advent, ein ganzer Monat noch, dann ist Heiligabend, doch die Münchner Jahresend-Konsum-Maschinerie ist längst angeworfen. Schließlich gilt das Vorweihnachtsgeschäft als lukrativste Zeit für die Münchner Innenstadthändler. Etwa 2,2 Milliarden Euro Umsatz machen sie in weniger als zwei Monaten, ein Fünftel des Jahresumsatzes. Trotzdem wird gern auf höchstem Niveau geklagt. Vor zwei Jahren war es zu mild, im vergangenen Jahr fiel Heiligabend auf einen Sonntag, was den Hugendubels, Hirmers und Hettlages einen halben Tag vom Umsatz stahl. Doch diesmal sollte alles klappen. Pünktlich zum Start des Weihnachtsgeschäfts fielen die Temperaturen vom Sommerlichen ins halbwegs Winterliche. Der Kaufrausch der Massen kann beginnen.

Samstag um 13 Uhr in der Fußgängerzone: Ein Durchkommen vom Schuhgeschäft auf die andere Seite zur winterlichen Kitschauslage des Kaufhofs ist unmöglich. Fellpüschelmütze an Fellpuschelmütze schiebt sich in einem unaufhörlichen Strom vom Marienplatz in Richtung Stachus und auf der anderen Seite zurück. Wer sich in diese Demonstration der Tütenträger einreiht, erlebt eine neue Dimension der Langsamkeit. Trippelschritte gehen schneller. Es ist aber nicht nur die Fußgängerzone, die hoffnungslos überfüllt ist. Rund um die Frauenkirche werden die Gaststätten von Tausenden rot-weiß umschalten Gestalten belagert. Das sind nicht frühzeitige Nikoläuse, sondern durstige Bayern- und Düsseldorf-Fans in ähnlichen Vereinsfarben, die entweder keine Karten fürs Bundesliga-Spiel in der Arena haben oder sich schon vor der Partie das Endergebnis (3:3) schön trinken wollen. Auch vorn am Augustiner-Stammhaus steht eine riesige Menschentraube vor der Tür, als gäbe es drinnen haufenweise Weihnachtsgeschenke.

Ein italienisches Paar schiebt sich gerade vorbei an der Menschenmenge, voll bepackt mit Tüten. Da reißt einer der Plastikhenkel, mit einem dumpfen Knall rauscht der Einkauf zu Boden. "Ein guter Einkauf", sagt die Frau und kichert. Die beiden haben offenbar nach Gewicht eingekauft. Vorn beim Uhrenhändler stehen zwei ältere Herren blicken auf die Modelle. Unter 400 Euro ist da eigentlich nichts drin. "Ach, ich hab schon so viele Uhren, ich brauch eigentlich keine weitere", sagt der Mann im Fellmantel.

Die MVG setzt extra mehr Züge zur Theresienwiese ein

Mehr als 500 Euro pro Person sollen die Bayern in diesen Wochen für Weihnachtsgeschenke ausgeben, hofft der Bayerische Handelsverband HBE. Insgesamt soll die magische Marke von 14 Milliarden Euro Umsatz bayernweit erstmals übersprungen werden. Mehr als ein Siebtel des Geldes wird demnach in München ausgegeben. Sollten die niedrigen Temperaturen anhalten, werden zumindest die Münchner Sportartikelläden und Geschäfte mit warmer Winterkleidung wohl diesmal nicht jammern.

Das dürfte auch für die Händler auf dem Tollwood gelten. Am Samstagabend schiebt sich eine nicht enden wollende Menschenmenge über die Theresienwiese. Die Druidenbar ist ebenso unerreichbar wie der Stand mit den Rahmfleckerl. Das riesige Zelt mit dem Bazar wäre an diesem Abend längst wegen Überfüllung geschlossen, wenn nicht Tollwood, sondern Oktoberfest wäre. Die MVG setzt extra mehr Züge zur Theresienwiese ein, das Wintertollwood ist schon längst der zweite Wiesnwahn, nur mehr öko.

Am Sonntag ist noch einmal ein kurzes Innehalten in der Stadt zu spüren. Das Tollwood hat wegen Totensonntag ebenso geschlossen wie das Weihnachtsdorf in der Residenz. Nur im Glühweinbudendorf "Alpen-Wahn" am Rand des Viktualienmarkts berauschen sich am Nachmittag Hunderte Münchner am Vor-Advent. Wenn Oberbürgermeister Dieter Reiter am Dienstag den Christkindlmarkt am Marienplatz eröffnen wird, geht er offiziell los, der Kaufrausch. Im Weihnachtsdorf der Residenz werden die Nikoläuse dazu nicken.

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