Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Weihnachten am Vogel-Buffet

Feiern Tiere eigentlich auch? Zumindest sollen sie es festlich haben. Nur müssten sie dann das dargereichte Schlemmermahl annehmen - und nicht bloß beim Nachbarn Brotkrumen aufpicken.

Glosse von Wolfgang Görl

In Momenten unkontrollierter Besinnlichkeit kommt schon mal die Frage auf, ob auch Tiere Weihnachten feiern. Ganz abwegig ist der Gedanke nicht, denn bei der Ur-Weihnacht waren zumindest Ochs und Esel dabei, und das könnte ja Schule gemacht haben. Andererseits ist zu vermuten, dass etwa Gänse oder Karpfen dem Fest äußerst skeptisch gegenüberstehen.

Ganz falsch aber kann es nicht sein, in diesen finsteren Zeiten, in denen die Heizkörper kalt, die Herzen aber warm bleiben sollten, an die Tierwelt zu denken. Wir zum Beispiel haben am ersten Advent ein im Premiumsegment angesiedeltes Vogelhäusl auf den Balkon gestellt, das architektonisch der Krippe von Bethlehem nachempfunden ist. Auch unsere gefiederten Freunde sollen die stade Zeit an einer reich gedeckten Tafel genießen - obwohl einige es nicht verdient haben. Das allmorgendliche Tirili im Frühjahr klingt uns noch heute schmerzhaft in den Ohren, vor allem die Amseln spielten sich auf, als wären sie der Weckdienst des Arbeitgeberverbands. Da zieht man extra vom Land in die Stadt, damit einen der Hahn nicht im Morgengrauen aus den Federn kräht - und dann das!

Aber Schwamm drüber, man muss auch verzeihen können, gerade zur Weihnachtszeit, und unser Futterhäuschen ist ein Zeichen dafür. Was aber machen diese Biester? Sie ignorieren uns. Nicht ein Vogel, nicht mal ein lumpiger kleiner Dreckspatz hat sich an unserem Buffet blicken lassen. Verwöhntes Pack, dachten wir zunächst, euch ist die kostengünstige Körnermixtur vom Discounter wohl nicht fein genug. Wäre ja kein Wunder, wenn in einer Stadt, in der sich jeder Rib-Eye-Steak-Esser für einen Gourmet hält, auch die Vögel auf Feinschmecker machten. Aber gut, wir sind in München, also weg mit dem Billigfraß. Seitdem liegen in unserer Futterkrippe fair gehandelte Öko-Sonnenblumenkerne aus, daneben Weihnachtsplätzchen vom Dallmayr und ein Trio von Meisen-, Kartoffel- und Semmelknödeln.

Nach vier Wochen vergeblichen Wartens muss man konstatieren: Unser Vogelfutter ist so gefragt wie eine vegane Wurstplatte beim Bauernverband. Selbst den Kartoffelknödel haben diese Mistviecher verschmäht, er wird jetzt als Beilage zur Weihnachtsgans gereicht. Der Gipfel der Frechheit aber ist, dass die ganze Vogelschar tagtäglich auf dem Balkon des Herrn K., unseres Nachbarn, ein Gelage feiert. Dabei hat der Herr K. nicht mal ein richtiges Vogelhäusl, sondern nur einen Plastikteller mit alten Brotkrümeln, der zwischen Bierflaschen, den vertrockneten Geranien und der Satellitenschüssel liegt. Und genau dort fühlt sich die undankbare Brut wohl. Amsel, Drossel, Fink und Star fliegen im Minutentakt ein und aus, das funktioniert reibungsloser als bei der S-Bahn, und sogar der Grünspecht, der sonst nichts anderes tut, als auf der Dachrinne zu trommeln, gibt sich die Ehre.

Zugegeben, am Boykott unserer Futterkrippe haben wir schon zu knabbern. Trotzdem lassen wir sie stehen, wenigstens bis 6. Januar. Da kommen, das ist gewiss, die heiligen drei Zaunkönige.

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