Platten:Der Soundtrack zum Fest

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Klassische Weihnachtsdekoration: ein Engel aus dem Erzgebirge. Ob der allerdings jedes Jahr dieselben Stücke spielt, ist ungewiss.

(Foto: imago/CHROMORANGE)

Es muss nicht immer das "Weihnachtsoratorium" sein: Mit diesen Musikempfehlungen für besinnliche Stunden kann man Entdeckungen machen und neue Klangakzente setzen.

Von Klaus Kalchschmid, Klaus-Peter Richter, Paul Schäufele, Michael Stallknecht und Egbert Tholl

Üblicherweise hört man an Weihnachten Bachs "Weihnachtsoratorium". Ob das von vielen geliebte Ritual in diesem Jahr live möglich sein wird, weiß man derzeit noch nicht, weil sich mit der herrschenden Viertel-Auslastung aufwendige Konzerte kaum rechnen. Aber in vielen Kirchen wird man Musik mit anderen zusammen erleben können. Wer zu Hause Bachs Weihnachtsjubel hören will, dem sei die Aufnahme des BR-Chors zusammen mit der Akademie für Alte Musik Berlin empfohlen, die gibt es auch als klingenden Konzertführer unter dem Titel "Wege zur Musik".

Chorkantaten

Aber es muss nicht immer der All-Time-Klassiker sein. Auch eine Schubert-Sonate beispielsweise kann einen den Weg zur inneren Einkehr eröffnen und zwingt nebenbei die Verwandtschaft zu kontemplativer Ruhe. Man kann aber auch in einem wundervollen Klangkosmos aufgehen. Der Chor des Bayerischen Rundfunks nahm eine CD französischer Lieder von Claude Debussy und Reynaldo Hahn auf, entstanden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Was heißt Lieder: Es sind Chorkantaten mit Solostimme, aufs hinreißendste ineinander verschlungen, lichte Klangschönheit, nur begleitet am Klavier vom wie immer fabelhaften Gerold Huber und Max Hanft, die Solistinnen und Solisten Christiane Karg, Angela Brower, Daniel Behle und Tareq Nazmi geben ihr Bestes. Gleich das erste Stück von Debussy ist absolut umwerfend, feiert die Ankunft des Frühlings, die Frauen des Chors leuchten überirdisch, und wer meint, das passe nicht zu Weihnachten, dem sei versichert, dass kurz davor die Wintersonnenwende ist. Der Frühling kommt.

Debussy / Hahn, Chor des Bayerischen Rundfunks, Howard Arman, BR-Klassik

Cover

Lichte Klangschönheit: das Album des BR-Chors.

(Foto: BR-Klassik)

Gustav Mahler

Man kann leicht den Eindruck gewinnen, die Bayerische Staatsoper gründete ihr eigenes Plattenlabel, um genau diese Aufnahme herauszubringen: Gustav Mahlers siebte Symphonie, eingespielt vom Bayerischen Staatsorchester unter Kirill Petrenko. Nikolaus Bachler, damals Intendant der Staatsoper, schreibt im Vorwort: "Hier tönt das Leben mit all seinen Konflikten und mit allen Beglückungen, die es dem Menschen bieten kann." Stimmt. Und es tönt in atemberaubender Perfektion, schroff, düster und immer wieder tröstlich, ungeheuer intensiv.

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 7, Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko, Bayerische Staatsoper Recordings

Alexander Zemlinsky

Zum Glück kommen die Zeiten an ihr Ende, in denen es hieß, dieser hochoriginelle Komponist aus Wien mache Musik wie Brahms oder schreibe wie der frühe Mahler. Denn Alexander Zemlinsky komponiert wie Zemlinsky, und das ist fabelhaft und lässt sich mit einer Aufnahme des Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) erfahren. Das Münchner Ensemble hat dafür auf Bearbeitungen von Richard Dünser zurückgegriffen, die respektvoll-sensibel die originalen Partituren in Orchestersprache übersetzen. Seine Auswahl von Zemlinsky-Liedern (aus Opus 2 bis 10) wird so, mit dem ebenso flexiblen wie soliden Bariton Thomas E. Bauers, zu einem Katalog der Nacht-Impressionen, deren verfeinerte Harmonik im transparenten Orchestersatz umso stärker wirkt. Zemlinsky hat hier wie in seinem "Kammerkonzert" - die Vorlage ist sein Klarinettentrio Opus 3 - ein Kunststück vollbracht: mit Nostalgie in die Zukunft zu schauen. Die Harmonien streben nach vorne, aber die Perfektion des Satzes und die stupende Variationstechnik zeigen die Schulung an alten Meistern. Das JCOM spürt dem nach, engagiert und charaktervoll musizierend, sei es im melancholischen Kopfsatz, der verträumten Mitte oder dem musikantisch ausgelassenen Finale.

Alexander Zemlinsky: Lieder von Nacht und Traum/Kammerkonzert, JCOM, Recordjet

Tschaikowski und Gulda

Friedrich Gulda war ein Genie. Dass sein Cello-Konzert ziemlicher Murks ist, ändert daran nichts. Aber als Interpret muss man schon standfest sein, um unbeschadet aus dem disparaten Mix von Stil-Klischees zwischen Barock und Funk zu kommen. Jakob Spahn, Solocellist des Bayerischen Staatsorchesters, ist ein solcher Interpret. Seine Aufnahme des Heinrich Schiff und Bruno Kreisky (!) gewidmeten Konzerts, eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Orchesterakademie (heute: Hermann-Levi-Akademie) ist deshalb so hörenswert, weil sie sich nicht in die überdrehten Ländler- und Menuett-Imitationen oder die ostentativ schräge Kadenz des dritten Satzes hineinsteigert, sondern bei aller technischen Brillanz Abstand zur Partitur wahrt. Einen ähnlich analytisch distanzierenden Zugang wählt Spahn bei den "Rokoko-Variationen", die Pjotr Tschaikowski aufgeschrieben hat, was durch die Bearbeitung David Strombergs, die das Orchester durch ein Bläserquintett ersetzt, nur unterstützt wird. Charme, Leichtigkeit und Durchsichtigkeit treten zusammen mit spielfreudiger Virtuosität.

Cello Concertos Tchaikovsky/Gulda, Jakob Spahn, Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters, Stephan Frucht, Hänssler

Franz Schubert

Welten liegen zwischen den letzten drei Klaviersonaten Ludwig van Beethovens und denjenigen, die Franz Schubert wenige Jahre später komponierte: Dort Konzentration, Kontrast, Kontrapunktik und das wild Zerklüftete unmittelbar neben instrumentalem Gesang. Bei Schubert dagegen fast durchweg die Kontemplation, ein ruhig Erzählendes, das wahrhaft Sich-Aussingen und oft ein gemessen "gehendes" Tempo des Wandernden im "Molto moderato", "Andante" oder "Andantino"; etwa in den langsamen Sätzen der A-Dur-Sonate D 959 oder im gewaltigen Kopfsatz der B-Dur-Sonate 960. William Youn hat innerhalb seiner Gesamtaufnahme den ersten beiden CDs von 2019 ein weiteres Doppelabum folgen lassen, das auch die c-Moll-Sonate D 958 enthält. Da geht's dann ausnahmsweise, der Tonart geschuldet, um einiges dramatischer zu. Der Kopfsatz der G-Dur-Sonate D 894, der ihr hier vorausgeht, ist mit seinen epischen 18 Minuten allerdings eher charakteristisch für Schubert. Während der Pandemie in Elmau aufgenommen, auf einem Bechstein oder einem Steinway, kann man William Youn stundenlang zuhören und wird dabei (hoffentlich) immer ruhiger und gelassener, von ein paar unruhigen Momenten abgesehen.

Franz Schubert, Klaviersonaten Vol. 2, William Youn, Sony Classical

Schubert Youn

Kontemplation: William Youn spielt Schubert.

(Foto: Sony Classical)

Arvo Pärt

Das "Stabat mater" gehört eher in den österlichen als in den weihnachtlichen Festkreis: "Christi Mutter stand mit Schmerzen ..." Doch in der Musik von Arvo Pärt liegen abgründiges Dunkel und leises Leuchten, Trauer und Hoffnung ohnehin dicht beieinander. Seine textnahe Vertonung der alten Sequenz, die betont karge Verdichtung finden im Chor des Bayerischen Rundfunks mit seiner intonatorischen Reinheit und seiner eher geraden, vibratoarmen Tongebung einen idealen Interpreten. Gemeinsam mit dem Münchner Rundfunkorchester legt der Chor hier bereits seine vierte CD mit Musik des estnischen Komponisten vor. Nur, dass diese unter Corona-Bedingungen, also in verkleinerter Besetzung aufgenommen wurde. Die klangliche Konzentration fördert es eher noch, auch in den fünf rein instrumentalen Werken vorwiegend für Streicherbesetzung. Denen wie oft bei Pärt ebenfalls (verborgene) religiöse Texte zugrunde liegen. Ivan Repušić, Chef des Rundfunkorchesters, verfügt über die Tugend, die ein Dirigent hier dringend braucht: Musik und Text sich drucklos entfalten, gleichsam einfach geschehen zu lassen. Die davon ausgehende Ruhe und Schlichtheit ist auf jeden Fall geeignet, einen Einschnitt in wirre Zeiten wie diese zu setzen.

Arvo Pärt: Stabat mater u.a., Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester; BR-Klassik

Cover

Abgründiges Dunkel und leises Leuchten liegen in Arvo Pärts Musik nah beieinander.

(Foto: BR-Klassik)

Orgel-Werke

Wem der traute Lichterbaum zu milde ist, der könnte sich mit den gewaltigen Klangfluten von Bachs Orgelwerk in ein anderes Weihnachtsambiente "beamen". Gleich in der C-Dur Toccata (BWV 564) katapultiert uns Jörg Halubek mit den dröhnenden 32-Fuß-Bassregistern aus der Katharinenkirche in Hamburg in eine prachtvolle Klanglandschaft. "Organ Landscapes" heißt auch sein Projekt einer Gesamteinspielung auf zehn verschiedenen Orgeln aus der Bach-Zeit. Damit entstehen auf einer historischen Reise aber nicht nur individuelle Orgelporträts, sondern auch reizvolle, idiomatisch dazu passende Bach-Exegesen. Nach den ersten Alben auf Instrumenten in Waltershausen und Ansbach präsentiert der Stuttgarter Orgelprofessor jetzt mit seinem neuen Album "Stylus Fantasticus" eine Orgel, auf der sich Bach einst als Organist beworben hatte. Restauriert von Flentrop mit ungleich schwebender Temperatur wählt er für sie Werke, die Bachs Inspiration durch das delikate Stilambiente mit seinen versponnenen Arabesken und oft schroffen Kontrasten aus dem Erbe von Buxtehude illustrieren.

Organ Landscapes, Jörg Halubek, Berlin Classics/Edel

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