Lebensmittel der Zukunft:"Verrückt, dass noch keiner auf die Idee kam"

Lebensmittel der Zukunft: Insekten als Kraftfutter: Thomas Kühn (links) und Wolfgang Westermeier in ihrer Produktionsanlage.

Insekten als Kraftfutter: Thomas Kühn (links) und Wolfgang Westermeier in ihrer Produktionsanlage.

(Foto: privat)

Sie machen Hackfleisch aus Pilz-Wurzeln, züchten Insekten als Tierfutter, entwickeln Antibiotika aus Kuhmilch: Diese Start-ups wollen die Lebensmittelindustrie verändern.

Von Martina Scherf

Walding Foods

Ein gelber Baumpilz brachte Alison und David Stille auf die Idee. Bei einem Spaziergang entdeckten sie den Schwefelporling, nahmen ihn mit und brieten ihn zuhause in der Pfanne an. Dass er essbar ist, wussten sie schon. "Aber er schmeckte richtig fleischig, und wir dachten: Verrückt, dass noch keiner auf die Idee kam, daraus ein Produkt zu machen", erzählt Alison Stille. Im Englischen heißt der Pilz Chicken of the Woods - weil er nach Hühnchen schmeckt.

"Wir wollen diesen fantastischen Baumpilz unbedingt groß rausbringen", sagt die Biologin. 2020 gründeten sie ihr Food-Start-up "Walding Foods", zusammen mit Studienfreund Johannes Aman. Seit zwei Jahren forschen die Drei nun an dem Wunderpilz, der sich genauso vielseitig verarbeiten lässt wie Hühnchenfleisch und viel Protein enthält. Veganer schätzen ihn - aber ihn zu züchten, das ist bisher nicht gelungen. Denn der Schwefelporling ist ein eigensinniges Wesen, man kann ihn nicht einfach auf Bäumen kultivieren, "mal wächst er, mal nicht", sagt Stille.

Lebensmittel der Zukunft: Alison und David Stille experimentieren mit Pilzen und haben "Walding Foods" gegründet.

Alison und David Stille experimentieren mit Pilzen und haben "Walding Foods" gegründet.

(Foto: privat)

Im Labor haben sie es geschafft, jetzt muss es nur noch gelingen, den Fruchtkörper in einer bestimmten Größe zu produzieren. Die Gründer haben vor Kurzem - als erste weltweit - ein Patent auf das Verfahren angemeldet. Anfragen von Köchen und Händlern hätten sie schon jede Menge, sagt die 33-jährige Alison Stille, auch etliche Start-up-Preise haben sie schon gewonnen.

Walding Foods experimentiert mit verschiedenen Pilzen. Sie lassen Quinoa und weiße Bohnen von Myzel, also den Wurzeln von Pilzen, durchdringen, die Masse bekommt dann eine Konsistenz wie Hackfleisch. Den Burgern verpassen sie eine Marinade aus fermentierten Bohnen und Koji-Pilzen, die beim Braten den "Umami-Booster" gibt. Umami ist Japanisch und bezeichnet einen würzigen Geschmack, der sich beim Gären, Braten oder Kochen entfaltet.

Noch ist der Quinoa-Burger nur gegen Abholung im Start-up-eigenen Onlineshop zu erhalten. Aber auf dem Wannda-Sommerfestival in München boten sie ihn an und er fand Anklang, erzählt Stille. Andere Walding-Foods-Produkte wie Sojasauce oder Miso-Paste sind schon auf dem Markt. Ihr Soja, betont Stille, kommt nicht aus Südamerika, sondern aus dem Dachauer Land; alle Zutaten haben Bioqualität, auf Aromen oder Zusatzstoffe verzichten sie bewusst. Auch eine vegane Leberwurst aus fermentiertem, geröstetem Grünkern haben sie erfunden. "Das Fermentieren ist eine jahrhundertealte Tradition, die machen wir uns jetzt zunutze", sagt Stille. Das Paar hat drei Kinder, und zuhause gibt es ab und zu auch mal noch Fleisch.

Farminsect

"In zehn Jahren wollen wir Soja- und Fischmehl in der EU komplett ersetzen", sagen Wolfgang Westermeier und Thomas Kühn. Think big, das ist die Devise vieler Start-ups. Doch nicht nur die beiden Gründer glauben an ihre Vision: Gerade erhielten sie von der EU eine Zusage für weitere 7,5 Millionen Euro Fördermittel. "Farminsect" kann also durchstarten.

Insekten als Proteinlieferanten - das ist auch in der Politik mittlerweile ein Thema. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die Lieferketten unterbrochen, da ist regionale Produktion plötzlich wieder gefragt. Die Insektenlarven, die das Münchner Start-up produziert, ersetzen herkömmliches Kraftfutter. "Um Soja anzubauen, werden Regenwälder gerodet", sagt Thomas Kühn, "und 30 Prozent der Fische, die weltweit gezüchtet oder gefischt werden, landen nicht auf dem Teller, sondern werden zu Fischmehl verarbeitet." Eine Umkehr ist also dringend notwendig, will man den Planeten nicht zerstören.

Die beiden Gründer haben vieles gemeinsam. Sie kennen sich aus dem Studium an der TU München. Westermeier hat Biologie und Agrarwissenschaften studiert, Kühn ist Elektrotechniker und Betriebswirt. Beide waren im gleichen Jahrgang der bayerischen Eliteakademie und im Management-Programm der Unternehmer-TUM. Beide sind jetzt Mitte 30, haben schon als Produktentwickler gearbeitet, "wir haben sogar am gleichen Tag Geburtstag", sagt Kühn und lacht. Sie wollen zu einer gesunden Landwirtschaft beitragen. "Als 2017 Insekten als Futtermittel in der EU zugelassen wurden, war uns klar: Das ist unser Thema." Sie verließen ihre Unternehmen und gründeten Farminsect. 2020 zogen sie ins TUM-Venture-Lab in Weihenstephan ein.

Seither züchten sie Insektenlarven und entwickelten dafür eine Mastanlage, die Bauern auf ihren Hof stellen können. Zwölf Anlagen haben sie schon verkauft, die Nachfrage wächst, sagt Kühn. Auch das bayerische Landwirtschaftsministerium interessiert sich für die regionale Proteinversorgung. "Kreislaufwirtschaft ist jetzt ein großes Thema." Fisch-, Hühner- oder Schweinezüchter, die eine Anlage auf ihrem Hof betreiben, werden wöchentlich mit Junglarven beliefert, denen sie ihre Erntereste verfüttern können. "Das spart 50 Prozent des CO2-Ausstoßes bei der Futtermittelproduktion und dem Landwirt bis zu 30 Prozent seiner Kosten", sagt Kühn. Und auch den Schweinen würde es schmecken. "Ein Schwein wühlt ja auch in freier Wildbahn im Boden herum und isst, was es findet."

Doderm

Lebensmittel der Zukunft: Hans-Jürgen Heidebrecht (links) mit Geschäftspartner Simon Schiffer im TUM Venture Lab in Weihenstephan.

Hans-Jürgen Heidebrecht (links) mit Geschäftspartner Simon Schiffer im TUM Venture Lab in Weihenstephan.

(Foto: Marco Einfeldt)

Antibiotika können Leben retten, doch immer mehr Erreger werden gegen die gängigen Medikamente resistent. Deshalb haben Hans-Jürgen Heidebrecht und sein Start-up Doderm einen Antibiotika-Ersatz entwickelt - hergestellt aus Molke. Die Großen in der Lebensmittelindustrie sind an seiner Forschung interessiert. Sie möchten sie für Nahrungsergänzungsmittel nutzen. Und auch bei der Heilung von Mensch und Tier könnte sie eine Rolle spielen.

In seiner preisgekrönten Doktorarbeit begann Heidebrecht - er hat Lebensmittel- und Bioprozesstechnik studiert - sich mit dem Thema zu befassen. Kälber bekommen über die Muttermilch Antikörper, die ihr Immunsystem anregen. Was für Kälber gut ist, könnte auch dem Menschen dienen, so die Idee. Im Versuchsstall in Weihenstephan immunisierte der Forscher Kühe mit inaktivierten menschlichen Krankheitserregern. Und siehe da: Sie bilden erregerspezifische Antikörper, die in der Milch nachweisbar sind. "Die Kuh ist unser Bioreaktor", sagt Heidebrecht, 35. Auch natürlicherweise enthält Milch Antikörper, die gegen eine Vielzahl von Krankheitserregern wirken. Man könnte also einfach Milch trinken, doch beim Erhitzen geht ein Großteil der Schutzwirkung verloren. So kam der Forscher auf die Molke, ein Nebenprodukt bei der Käseherstellung. Es gelang ihm, verschiedene Antikörper daraus zu isolieren.

Diese Antikörper rücken gerade in den Fokus der Lebensmittelindustrie, sagt Heidebrecht, "Lactoferrin, zum Beispiel, verspricht einen millionenschweren Wachstumsmarkt". Für Landwirte und Molkereien bedeutet die Nutzung der Molke eine zusätzliche Einnahmequelle, sie können sie gewinnbringend an die Lebensmittel-, Kosmetik, oder Pharmaindustrie verkaufen. Auch für den Gründer hat sich der Einsatz schon gelohnt. Das Start-up stellt ein antibiotisches Gel für Hunde her, mit Veterinärmedizinern entwickelt. Man trägt es auf die Haut auf, es verkauft sich gut. Die Studie soll jetzt auf Pferde ausgeweitet werden.

Heidebrecht stammt aus Kiel. "Ich hab schon als Schüler im Keller aus verschiedenen Früchten Wein hergestellt", erzählt er und lacht. Weil die TUM als führend im Bereich Lebensmitteltechnologie gelte, zog er von der Ostsee nach Oberbayern. Und wenn ihm neben der Forschung und der Familie - er ist gerade Vater geworden - noch Zeit bleibt, dann widmet er sich seinem Craft-Bier-Unternehmen.

Happy Ocean Foods

Lebensmittel der Zukunft: Julian Hallett (links) und Robin Drummond stellen vegane Shrimps her.

Julian Hallett (links) und Robin Drummond stellen vegane Shrimps her.

(Foto: Alina Nachtmann/oh)

Als begeisterte Surfer haben sie auf ihren Reisen eines gelernt: "Wenn wir so weiter wirtschaften, sind die Meere in spätestens einer Generation leer gefischt. Dazu sind Fische mit Dioxin, Quecksilber und anderen Giften belastet." So kamen Julian Hallett und Robin Drummond, beide Betriebswirte, auf die Idee für ihr Start-up "Happy Ocean Foods". Sie stellen pflanzliche Shrimps her - aus Algenextrakt, Sojabohnenprotein, Agavensirup, Meersalz, Paprikapulver und viel Wasser. Produziert wird in der Schweiz, dort fand sich ein Förderer und Industriepartner. Einige Restaurants und Supermärkte haben die veganen Garnelen im Angebot, auch bei Feinkost Käfer gibt es sie noch im Tiefkühlfach.

Das Produkt sei interessant, es erfülle die Käfer-eigenen Qualitätskriterien, sagt Matthias Jaeger, Chef-Einkäufer im Frischebereich. "Aber die Kunden greifen dann doch lieber zum Original." Deshalb wird er erstmal nicht nachbestellen. Die Ferdings Bar in der Münchner Innenstadt hingegen sagt, die Shrimps liefen im Sommer sehr gut, sie werden deshalb neu ordern. Und die Gründer sammeln derzeit neues Geld, um ihre Produktion weiterzuentwickeln und auszubauen.

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