Wechsel im Münchner Rathaus:Am Alltag gescheitert

Wechsel im Münchner Rathaus: SZ-Collage: Dennis Schmidt, Fotos: Stephan Rumpf (4), Alessandra Schellnegger (2), Catherina Hess, Robert Haas, Lukas Barth, Jakob Berr, Carmen Wolf

SZ-Collage: Dennis Schmidt, Fotos: Stephan Rumpf (4), Alessandra Schellnegger (2), Catherina Hess, Robert Haas, Lukas Barth, Jakob Berr, Carmen Wolf

Vor fast fünf Jahren trat Rainer Schweppe sein Amt als Stadtschulrat an. Die Erwartungen an den Fachmann aus Herford waren groß, doch inzwischen sind auch seine Parteifreunde ernüchtert - denn die drängenden Probleme bleiben ungelöst

Von Melanie Staudinger

Christine Strobl schüttelt den Kopf. "Zumindest die aktuellen Schülerzahlen könnte man parat haben", sagt Münchens Dritte Bürgermeisterin und schickt einen ihrer Mitarbeiter nach oben in ihr Büro, um die Statistiken zu holen. Die SPD-Politikerin ist unzufrieden mit der Pressekonferenz, die Stadtschulrat Rainer Schweppe an einem Freitag im März dieses Jahres in der Grütznerstube im Rathaus organisiert hat. Auf 17 Seiten stellt das Bildungsreferat die Schulentwicklungsplanung für Grund-, Mittel- und Förderschulen dar. Viel ist die Rede von den Herausforderungen im schnell wachsenden München, das meiste sind theoretische Abhandlungen, über konkrete Maßnahmen, die die Platznot lindern könnten, liest man wenig. Mit wie vielen Schülern die Verwaltung rechnet, bleibt ein Geheimnis. Ebenso findet sich keine Antwort, was die neuen Schulen kosten oder wie sie in so kurzem Zeitraum entstehen sollen. Strobl schimpft: "Das hätte man schon in einem Datenblatt zusammenfassen können."

Die Geschehnisse an jenem Freitag sind kein Einzelfall. Schon länger schwindet der Rückhalt für Stadtschulrat Schweppe, der sein Amt im Juli 2010 angetreten hat, vorgeschlagen von den Grünen und vom Stadtrat gewählt. Das Gremium hatte große Hoffnungen in den Mann gesetzt, der seine innovativen pädagogischen Ideen aus der 65 000-Einwohner-Stadt Herford in Nordrhein-Westfalen in München umsetzen sollte. Jemand von außen sollte das Bildungsreferat mit seinen 13 000 Mitarbeitern lenken, jemand, der frischen Wind in die angestaubte Behörde bringt. Jetzt, nachdem die SPD-Spitze Schweppe fallen gelassen hat, sagt eine sozialdemokratische Stadträtin: "Er hat sich beim Sprung in ein so großes Referat nicht bewährt."

Schweppes Kritiker, und davon gibt es in Stadtrat und Verwaltung einige, monieren vor allem, dass er das Alltagsgeschäft vernachlässigt habe. Statt marode Schulen zu sanieren, dringend benötigte Klassenzimmer zu schaffen und die Beschwerden von Lehrern, Schulleitern und Eltern ernst zu nehmen, verfolgte Schweppe seinen Traum vom flächendeckenden Ganztagsausbau und Lernhäusern, die moderneren Unterricht ermöglichen sollen. Rechtlich aber ist die Stadt zunächst einmal nicht für die Pädagogik an Schulen zuständig, sondern für die Gebäude und deren Ausstattung.

"Jeden Tag erfahren wir von einem anderen akuten Problem, verlässliche Lösungen kommen vom Bildungsreferat aber nicht", heißt es aus der CSU. Nur Ziele zu formulieren, sei zu wenig: "Wir brauchen konkrete Schritte, wie wir die Schwierigkeiten beheben." SPD-Fraktionschef Alexander Reissl argumentiert ähnlich. Die wichtigste Aufgabe des Bildungsreferats sei der Sachaufwand, also das Bauen, Sanieren und Unterhalten der Gebäude und "dass Tafel, Klopapier und Kreide da ist". Reissl spricht noch ein weiteres Problem an. Gerade in Neubaugebieten sei das Bildungsreferat nicht in der Lage gewesen, sich rechtzeitig mit der Schulplanung zu beschäftigen. Die Folge: Dort stehen nun teure Provisorien.

Schweppe widmet sich lieber der Kür als der Pflicht, so sehen das viele. Nicht nur einmal soll Bürgermeisterin Strobl gesagt haben, dass sie sich manchmal vorkomme, als sei das Bildungsreferat in ihr Büro verlegt worden - bei all den Beschwerden, die bei ihr aufliefen.

Nun ist Schweppe aber nicht die Ursache aller Probleme in München. Die allermeisten stammen aus Zeiten, in denen er noch nicht Stadtschulrat war. Zu lange hatte die Stadt in der Vergangenheit an den Schulbauten gespart und zu lange ignoriert, dass es immer mehr Schüler werden. Auch Schweppe war dieser Verantwortung nicht wirklich gewachsen. Die Umsetzung von Projekten dauerte zu lange, neu beschlossene Stellen blieben unbesetzt.

Nun will Schweppe sein letztes Jahr professionell zu Ende bringen, wie er sagt. Einen Tag, nachdem sein Amtsende von der SPD in einer Pressemitteilung verkündet worden ist, verschickt auch er eine Stellungnahme. Darin kündigt er an, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit am 30. Juni 2016 weitermachen werde. "Für die Münchner ist es mir unverändert ein großes Anliegen, unsere Stadt im Sinne der Bildungsgerechtigkeit und Familienfreundlichkeit insbesondere durch Kita- und Ganztagsausbau an die Spitze in Deutschland zu bringen, die Bildungsinfrastruktur qualitativ zu verbessern und an das rasante Wachstum der Stadt München anzupassen", schreibt er.

Er sei stolz darauf, was in den vergangenen fünf Jahren erreicht worden sei. Und es lief tatsächlich nicht alles schlecht. In seiner Amtszeit entstanden mehrere Tausend Krippenplätze für unter Dreijährige - die befürchtete Klagewelle wegen des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung blieb aus. Schweppe verschaffte Schulen und Kitas in Problemvierteln mehr Geld und forcierte den Ganztagsausbau.

Zur Kritik an seinem Führungsstil und seiner Prioritätensetzung will er sich nicht äußern. Auch dazu nicht, dass die SPD ihn in ihrer Stellungnahme mit keinem Wort gewürdigt hat. "Das ist ein demokratischer Vorgang", sagt der 62-Jährige stattdessen. Es sei das legitime Recht der Stadtregierung, die Führung auch personell auszurichten. "Als Profi akzeptiere ich das selbstverständlich, auch wenn ich dies persönlich bedauere", erklärt Schweppe. Was er nach dem 30. Juni 2016 machen wird, darüber wolle er sich erst noch Gedanken machen. In den Ruhestand will der Beamte auf jeden Fall noch nicht gehen.

Seine Nachfolgerin Beatrix Zurek soll dann das Bildungsreferat wieder in die Spur setzen und drängende Projekte endlich umsetzen. Ein Strategiewechsel also: Nicht die neuen Ideen von außen sind gefragt, sondern die Kompetenz mit Innensicht. Doch was wird Schweppe bis dahin machen? Wird er sich weiter einsetzen? Oder die Aufgaben schleifen lassen? "Wir erwarten, dass die Arbeit weitergeht", sagt die SPD-Stadträtin und Bildungsexpertin Birgit Volk. "Wenn ich er wäre, würde ich es jetzt erst recht allen zeigen."

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