Wechsel an der Spitze:Mit Diplomatie und Fingerspitzengefühl

Wechsel an der Spitze: Mit Reinhard Hickel ist zum ersten Mal in der Geschichte der LMU ein Zahnmediziner zum Dekan gewählt worden.

Mit Reinhard Hickel ist zum ersten Mal in der Geschichte der LMU ein Zahnmediziner zum Dekan gewählt worden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Kein Alleinherrscher, vielmehr ein Puffer: Reinhard Hickel ist neuer Dekan der Medizinischen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Was die Weiterentwicklung des Klinikums betrifft, macht sich der Zahnmediziner kaum Sorgen. Ein Problem sieht er eher in den regelmäßigen Auszeichnungen

Von Stephan Handel

Die Hierarchie an der Universität ist eine fein austarierte, sie manifestiert sich in Etats, in Mitarbeitern, aber auch und immer noch in den Anreden. Wenn der Minister kommt und eine Rede hält, dann wird er sorgsam darauf achten, den Präsidenten mit "Magnifizenz" anzusprechen. "Honorabilis" ist der Ehrentitel, auf den der zweite Mann hört, der Prorektor. "Spectabilis" aber ist der Dekan einer Fakultät.

Spectabilis Hickel sitzt in seinem Büro an der Goethestraße und macht nicht den Eindruck, als lege er großen Wert auf solche überkommenen Bezeichnungen. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Dekan der Medizinischen Fakultät an der LMU kein Alleinherrscher ist, wie es vielleicht in anderen Fachgebieten sein könnte. "Ich bin der Puffer", sagt Reinhard Hickel.

Zunächst einmal ist er der Direktor des Zahnmedizinischen Instituts. Aber seit wenigen Tagen ist er eben auch Spectabilis Hickel, Dekan der Mediziner, Nachfolger von Maximilian Reiser - der hatte das Amt sieben Jahre inne, was recht lange ist bei einer Amtszeit von Wahl zu Wiederwahl von nur zwei Jahren. In Reisers Amtszeit liegen grundlegende Entscheidungen für die Zukunft der Mediziner-Ausbildung in München und, mehr noch, für die Zukunft des Universitätsklinikums: Abriss und Neubau in Großhadern werden dabei nur das spektakulärste Beispiel sein.

Reinhard Hickel war an diesen Entscheidungen schon beteiligt, weil er Stellvertreter des Ärztlichen Direktors war und bis Ende des Jahres auch noch bleiben wird. Als Dekan ist er nun reguläres Mitglied im Vorstand des Klinikums, das eine Anstalt des öffentlichen Rechts ist, also mehr oder weniger wie ein Unternehmen geführt wird. Und da braucht es einen Puffer.

Denn das Klinikum der LMU trägt seine wirtschaftliche Eigenständigkeit kraftstrotzend vor sich her - Uni-Präsident Bernd Huber traut sich bei Festreden nur sehr verklausuliert darauf hinzuweisen, dass ja immer noch die Uni das Mutterschiff sei, was der Tanker Großhadern nicht immer zu akzeptieren scheint. Und so ist der Dekan, nun also Reinhard Hickel, das Scharnier, das Bindeglied zwischen den statusbewussten Chefärzten in Großhadern und in der Nussbaumstraße. Und der Unileitung am Geschwister-Scholl-Platz.

Vor diesem Hintergrund verblasst fast ein wenig die Tatsache, dass sich die Medizinische Fakultät zum ersten Mal in der Geschichte der LMU einen Zahnmediziner zum Dekan gewählt - sowieso aber findet Reinhard Hickel, dass solches Gruppendenken nicht mehr zeitgemäß sei. Interdisziplinär müsse auch die Zahnmedizin sein heutzutage, keine Organtransplantation ohne gründlichen Check der Zustände im Mund des Patienten - wegen möglicher Entzündungen. Und der Diabetiker, der gleichzeitig an Parodontitis leidet, kann weder von der einen noch von der anderen Krankheit geheilt werden, wenn die behandelnden Ärzte nicht zusammenarbeiten.

Reinhard Hickels Büro ist unter den Chefarzt-Büros des Klinikums eines der eindrucksvolleren, Schreibtisch, Besprechungstisch, Sitzgruppe. Von der Decke kann eine Leinwand abgelassen werden, weil die Studenten in diesem Raum auch zum Staatsexamen antreten; wenigstens bequem sitzend auf der Couchgarnitur, während auf die Leinwand die zu lösenden Aufgaben projiziert werden. Die Lehre ist eine der originären Aufgaben des Dekans, und da hat Reinhard Hickel schon ein paar Ideen. So sieht er Nachholbedarf bei modernen Lernformen - andere Häuser verfügten über ganze Simulationskliniken, echte Krankenhäuser für die Ausbildung, mit nur einem Unterschied: Die Patienten sind Puppen, die bereitwillig alle Krankheiten dieser Welt simulieren, von der Lungenentzündung bis zu Herzinfarkt. Am Patienten lernen (oder wenigstens an einer PatientenPuppe), das müsse noch viel mehr forciert werden.

Bei einer Abitur-Note von knapp über 1 liegt derzeit der Numerus Clausus für das Medizinstudium - was ja bedeutet, dass nur sehr gute Leute an die Uni kommen. Aber natürlich gibt es auch unter ihnen stärkere und schwächere. Um die starken, findet Reinhard Hickel, müsse man sich nicht so sehr kümmern, "die schaffen das". Aber das schwächste Drittel, das braucht besondere Fürsorge - und bei dem einen oder anderen vielleicht auch mal jemandem, der ihm deutlich zu einem anderen Studium rät: "Das Staatsexamen zwei Mal zu wiederholen und dann endgültig zu scheitern - das ist der falsche Weg." Regelmäßig übrigens gibt es Studenten, die fordern, es solle überhaupt nicht mehr geprüft werden. Sie entwaffnet Hickel recht einfach mit der Frage, ob sie sich von einem Arzt behandeln lassen würden, der nie nachgewiesen hat, dass er kann, was er tut.

Was die Weiterentwicklung des Klinikums betrifft, so hat Hickel zwar jede Menge Baustellen übernommen - aber geordnete oder solche, auf denen sich andere Leute verantwortlich fühlen müssen. Ein Problem sieht der neue Dekan ebenso erstaunlicher- wie verständlicherweise im Erfolg des LMU-Klinikums: Wann immer Exzellenz-Zentren, Sonderforschungsbereiche, Gesundheitszentren, Kooperationen mit der Helmholtz, Leibniz, Max Planck vergeben werden, immer ist Großhadern mit dabei - und muss immer einen gehörigen finanziellen Eigenanteil leisten. "Wir siegen uns zu Tode", sagt Hickel. "Das ist so, als müsste der FC Bayern für jeden Titel zehn Millionen Euro an den DFB überweisen."

Für zwei Jahre ist der Dekan gewählt, so lange will es Hickel machen, dann erst sehen, ob er noch will und ob die anderen ihn wollen. 60 Jahre ist er jetzt alt, aber mehrmals die Woche geht er ins Fitness-Studio, manchmal macht er sogar beim Kickboxen mit. Kampfsport ist allerdings nicht so sehr gefragt beim Dekan der Mediziner an der LMU - eher Diplomatie und Vermittlungsgeschick. Wie man in dem Job mit Enttäuschungen umgeht, dazu hat ihm sein Vorgänger Maximilian Reiser einen Rat gegeben: Der ist Radiologe, und wenn der Dekan-Frust zu groß wurde, dann fuhr er in seine Klinik und hat Röntgenbilder analysiert: "Dann weiß man wieder, wozu man Arzt geworden ist." Hickel ist Zahnmediziner - folgt er Reisers Rat, dann gilt künftig: Wenn es dem Puffer reicht, greift er zum Bohrer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: