Süddeutsche Zeitung

Webserie "Spielzeit":Großes kleines Kino

Die Webserie "Spielzeit" ist eine Liebeserklärung ans Münchner Volkstheater

Von Egbert Tholl

Sina hat eine Wut, aber so eine Wut. Vier Jahre war sie am Haus, im Ensemble. Vier Jahre nur Wurzen, Nebenrollen, die in keiner Kritik Erwähnung finden. Vier Jahre Theaterspielen unter dem Wahrnehmungsradar. Und dann: fristlos gekündigt. Also will sie Rache, und weil sie einen Furor hat, lässt sich Max, der ebenfalls sein Engagement los ist, davon anstecken. Der Plan: Sie brechen nachts ins Volkstheater ein und stehlen eine Puppe (welche Puppe?), die von Generation zu Generation weitergegeben wird. So heißt es, aber wie viel Generationen hat das Volkstheater bislang eigentlich erlebt? Egal, sie wollen die Puppe klauen, hecken einen Plan aus, der zunächst auch halbwegs klappt. Max bezirzt, so hat es kurz den Anschein, die Security-Frau, die beiden räumen die Garderoben aus, tarnen sich mit Superheldenmasken, öffnen einen Tresor - dann hören sie die Stimme der Wachfrau vom Inspizientenpult aus. Sie hat die beiden auf dem Schirm. Dem Bildschirm. Ruft die Polizei. Ja, wieder das Übliche, zwei Schauspieler, die rausgekickt wurden. Polizei kommt, Verhaftung, aus. Siebeneinhalb Minuten.

Christian Stückl, der Intendant des Münchner Volkstheaters, hat immer gesagt, er könne mit Streams nichts anfangen, deshalb gebe es keine aus seinem Haus, in dem seit Monaten so wenig gespielt werden darf wie in allen anderen Theatern. Nun gibt es doch einen. Aber der ist ganz anders. Der ist großes kleines Kino.

"Spielzeit" ist eine Annäherung von vier Studierenden der Münchner Filmhochschule an das Theater, das nicht sein darf, eine Liebeserklärung in acht Episoden, lustig und geistreich. Fanny Rösch, Leo van Kann, Alexander Löwen und Sebastian Husak drehten mit dem Ensemble und Mitarbeitern des Hauses eine Webserie, die einige Fragen beantwortet, die man sich so noch nie zum Theatermachen gestellt hat. Und das ist das Tolle dran.

Sarah, große Augen, große Brille, lustige Haarknubbel, hätte so gerne Autogramme von den Schauspielern und Schauspielern ihres Lieblingstheaters. Die Tür ist auf, drinnen ist niemand, ein Dramaturg kommt, hält sie für die zu spät kommende Regisseurin, holt Sarah auf die Bühne, wo sie erst einmal ein Polaroid macht. Will ja Autogramme. Dann lässt sie spielen, die drei Schauspieler sind begeistert, haben das "immer lesen, lesen, lesen" eh satt, Sarah bittet um ihre Lieblingsszenen, Stückl fragt: "Werd des wos?" Der Dramaturg nickt. Dann kommt die echte Regisseurin.

Ansonsten geht es um Liebesszenen auf Abstand, dunkle Eifersucht, Feueralarm während der Probe, Befindlichkeiten, Endprobenstress, Rollenverständnis, Frauenbilder. Das ganze schöne Theater halt. Eine Hommage mit außerordentlich munteren Darstellerinnen und Darstellern. Rasant und cool.

Spielzeit, Webserie in acht Episoden, zu sehen über Youtube und die BR-Kulturbühne

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Quelle:
SZ vom 03.05.2021
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