Süddeutsche Zeitung

Was wurde aus...:Abgesang mit Dudelsack

Die Britin Ingrid Taylor hat wegen des Brexits die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Beim Stammtisch unterstützt sie verzweifelte Landsleute

Interview von Martina Scherf

Die Britin Ingrid Taylor, 63, lebt seit 31 Jahren in München. Nach dem Brexit-Referendum hatte sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Mit dem Verein "British in Germany" (www.britishingermany.org) kämpfte sie zudem für die Rechte ihrer Landsleute in Bayern. Mehr als 6500 Briten leben allein in München. Die Deutschlehrerin und Übersetzerin hat sich in Vertragstexte eingearbeitet, Briefe geschrieben und beim Stammtisch verzweifelte Menschen getröstet, denen es ähnlich ging wie ihr. Denn viele wussten nicht, ob sie künftig überhaupt noch in München arbeiten und studieren dürfen, oder was aus ihrer Rente wird. Und nun ist es so weit: Am 31. Januar verlässt Großbritannien die EU.

SZ: Frau Taylor, sind Sie inzwischen Deutsche?

Ingrid Taylor: Ja, seit einem guten Jahr. Ich habe die Zeichen der Zeit früh erkannt und rechtzeitig reagiert.

Und wie fühlt es sich an?

Sehr gut. Ich lebe schon so lange hier, aber seit ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe, fühle ich mich noch besser integriert. Ich kann jetzt zu allen Wahlen gehen und bin vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft. Da engagiert man sich auch noch mehr. Auch alle meine Freunde, Bekannten und Nachbarn haben meine Entscheidung begrüßt. Und die Bundesregierung hat uns Briten große Zugeständnisse gemacht: Wir genießen die doppelte Staatsbürgerschaft. Es sind ja Tausende Briten in Bayern Deutsche geworden.

Was hat sich für Sie durch diese Entscheidung geändert?

Es ist zum Glück ein wenig Ruhe in mein Leben eingekehrt. Aber auch für mich sind noch längst nicht alle Fragen beantwortet. Ich weiß zum Beispiel noch nicht, wie es in Zukunft mit der Abwicklung meiner britischen Rente aussieht, was genau mit meiner Kranken- und Sozialversicherung ist. 2020 werden wir noch zittern, bis alles geklärt ist.

Was empfinden Sie angesichts des bevorstehenden Brexits?

Es ist unendlich traurig. Der 31. Januar naht, und Großbritannien geht. Wir laden unsere Landsleute für Freitag zu einer Trauerfeier ein, Titel "A Mournful Drink". Wir haben einen Dudelsack-Pfeifer aus Schottland engagiert, es gibt bayerisches Essen, und wir werden uns gegenseitig beistehen in dieser schweren Stunde. Sehr viele Briten und binationale Paare haben sich angemeldet. Ein paar haben aber auch gesagt: Wir fahren an diesem Trauertag lieber weg.

Was passiert mit den hier lebenden Briten, die keine deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben?

Zunächst ändert sich noch nichts. Für die Übergangszeit haben sie noch alle Rechte auf Aufenthalt, Arbeit und Studieren in Deutschland. Auch danach genießen die Briten, die zum Ende der Übergangszeit hier ansässig sind, diese Rechte auf Lebenszeit. Aber viele Vermieter oder Arbeitgeber wissen das nicht. Die denken womöglich, die Briten seien ab nächster Woche illegal im Land. Das stimmt aber nicht. Unser Verein "British in Europe" hat mit dem Engagement bei der EU, in London und Berlin viel erreicht, um das Schlimmste zu verhindern. Das gilt auch für die EU-Bürger in Großbritannien.

Was haben Sie in den vergangenen drei Jahren alles unternommen?

Wir haben unzählige Briefe an Politiker, Behörden, Verbände und Firmen geschrieben. British in Europe hat sich immer wieder an die EU-Politiker gewandt - Michel Barnier, den Chef-Unterhändler der EU, oder Guy Verhofstadt - und auf die Detailfragen hingewiesen. Aber einiges ist immer noch in der Schwebe. Wie genau das Austrittsabkommen in den 27 Ländern umgesetzt wird, ist noch nicht bekannt. Die Münchner Ausländerbehörde wird zum Beispiel erst ab Oktober die hier lebenden Briten einladen, damit sie ihre Aufenthaltstitel neu beantragen können.

Was ist mit der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU?

Das ist ganz schwierig. Nach dem Ende der Übergangszeit wird sie für die Briten möglicherweise nicht mehr gelten. Sie könnten nicht einfach aus Deutschland in ein anderes Land zum Arbeiten gehen. Ich sage meinen Landsleuten immer: Informiert euch genau, lest die Verträge, glaubt nicht einfach, was jemand auf Facebook postet.

Was denken Sie über Ihre Landsleute auf der Insel?

Es ist frustrierend, dass alles so gekommen ist. Hätten wir Auslandsbriten abstimmen dürfen, wäre diese Wahl sicher anders ausgegangen. Aber schon das Referendum war eine Protestwahl.

Protest gegen wen?

Die Menschen in den ehemaligen Industrieregionen im Norden fühlten sich von der Wirtschafts- und Finanzelite in London abgehängt. Und zuletzt ging es nur noch darum, einen Schlussstrich zu ziehen. Niemand hat sich für Tatsachen interessiert. Es ging nur um diese Stimmung: Get Brexit done. Nun müssen sie mit den Folgen leben. Und wir trauern jetzt erst einmal.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2020
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