Warnstreiks bei der Bahn:"Wer früh aufsteht, muss leiden"

Es traten zwar nur 120 Münchner Bahn-Mitarbeiter in den Ausstand - doch am Hauptbahnhof ging zeitweise nichts mehr. Grund für den Warnstreik: die einst erklärte Arbeitsplatzgarantie.

Katja Riedel

Hilflos stand das ältere Ehepaar am Freitagmorgen, kurz nach 7 Uhr, vor den Gleisen in der großen Halle des Hauptbahnhofs. Sie fahren selten mit der Bahn, und gerade am Freitag, als es nach Görlitz gehen sollte und sie in Dresden umsteigen mussten, wurde auf ihrer Strecke gestreikt. Eine halbe Stunde war ihr Zug schon bei der Abfahrt verspätet.

Geduldig erklärte Siegmund Fenn, Münchner Betriebsrat für den Fernverkehr bei der Bahn, warum die Gewerkschaften GDBA und Transnet am Freitag zu Warnstreiks aufgerufen hatten. Der ältere Herr schüttelte dennoch ratlos den Kopf.

120 Münchner Bahn-Mitarbeiter im Regional- und Fernverkehr traten am Freitagmorgen von 5.30 bis 7.30 Uhr in den vorübergehenden Ausstand. Eine kleine Zahl - und eine große Wirkung. Am Hauptbahnhof ging zeitweise nichts mehr.

Tausende Pendler warteten vergeblich auf ihre Züge, jene von außerhalb, die nach München reisten, konnten in Pasing aus ihren Regionalzügen wenigstens auf die S-Bahn umsteigen. Diese war von dem Warnstreik nicht betroffen. Auch in Nürnberg, wohin viele Fernzüge fahren sollten, legten 200 Bahnbeschäftigte vorübergehend die Arbeit nieder.

Erbost über nicht eingehaltenes Versprechen

Der Grund für den zeitweisen Ausstand, der bis zum Mittag bundesweit zu starken Verspätungen führte: Durch den geplanten Börsengang des Unternehmens will der Vorstand der Deutschen Bahn AG momentan die einst erklärte Arbeitsplatzgarantie bis 2010 nicht mehr gewähren. Diese gilt bisher nur für den Fall, dass das gesamte Unternehmen mit Schienennetz an die Börse geht.

"Besonders erbost" seien die Mitarbeiter laut dem Münchner Betriebsrat Fenn, weil sie bei Abschluss des Tarifvertrags wegen dieses Versprechens auf einen Urlaubstag verzichtet hatten und seitdem eine Stunde pro Woche länger arbeiten.

Tarifverhandlungen zwischen Bahn und Gewerkschaften waren Mitte September gescheitert, in anderen Bundesländern deshalb in der vergangenen Woche der Verkehr schon zweimal zum Erliegen gekommen. Die Beschäftigten fordern jetzt neue Gespräche.

Gemischte Reaktion auf den Streik

Obwohl sie die Sorgen der Bahn-Mitarbeiter versteht, war Pendlerin Vanessa Wiese am Freitagmorgen doch ein wenig verärgert. "Wer früh aufsteht, wer fleißig ist, hat unter dem Streik zu leiden", sagte sie, die für eine Zeitarbeitsfirma in Augsburg arbeitet. Sie wird nach Stunden bezahlt und muss deshalb länger bleiben, wenn sie zu spät zur Arbeit kommt.

Sie hofft, dass es bald zu einer Einigung kommt - oder die Bahn-Mitarbeiter am Mittag streiken, wenn die Pendler nicht betroffen sind. Viele andere Pendler sahen den Warnstreik jedoch gelassen, warteten im Zug auf die Abfahrt, lasen Zeitung. Man könne schon mal zu spät zur Arbeit kommen, da habe der Chef schon Verständnis, sagte eine junge Frau, die ebenfalls in Augsburg arbeitet.

Kein Verständnis hatte eine Geschäftsreisende, die auf ihren Zug nach Stuttgart wartete. Letztendlich sei das "alles Erbsenzählerei", entgegnete sie einer Streikenden. Egoistisch finde sie das Verhalten der Bahn-Mitarbeiter, schließlich müsse sich jeder Arbeitnehmer an härtere Bedingungen gewöhnen.

Im Vergleich zu anderen Branchen gehe es den Bahn-Mitarbeitern doch gut, sagte ein junger Mann. Eine "Beamtenmentalität" werfe er den Streikenden vor. Er dürfe das sagen, meinte er. Schließlich sei er selbst Beamter.

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