"Wannda Circus":Techno statt Tiger

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Die Zukunft des "Wannda Circus" ist ungewiss. (Foto: Minusvier.com)

Daniel Hahn, Jakob Ritzenhoff und Fabian Elbert haben vor einem Jahr den "Wannda Circus" gegründet. Einen Sommer lang begeisterten sie mit ihrem subversiven Manege-Mix aus Party, Straßenkunst und Akrobatik - jetzt stehen sie vor einer ungewissen Zukunft.

Von Natalie Mayroth

Hinter dem Zaun blitzt ein rot-blau-gestreiftes Zirkuszelt hervor. In den Himmel ragen schimmernde Discokugeln, die sich in die Zeltstadtkulisse einbetten. Ein Esel stolpert über die Wiese, überall entdeckt man geschminkte Gesichter, verkleidete Artisten. Sie tanzen ausgelassen in der warmen Sommersonne zum Rhythmus der Musik.

Auf der Waldorfschule haben sie sich kennengelernt: Daniel Hahn, Jakob Ritzenhoff und Fabian Elbert, alle 23 Jahre alt. Im November vergangenen Jahres gründeten sie nach reichlicher Überlegung den Verein Wannda - ein Freundeskreis aus ehemaligen Schulkameraden, Geschwistern und Bekannten. Das junge Kollektiv aus mittlerweile 40 Helfern bespielte von April bis in den August hinein das Gelände in der Schwere-Reiter-Straße mit bunten Techno-Open-Airs, Zirkusvorstellungen, Theater und gelegentlichen Flohmärkten. Durch Zufall haben sie von der freien Fläche erfahren und nach langen Mühen von der Stadt München die Erlaubnis bekommen, das Areal zu nutzen.

"Wir wollten einen Raum für Begegnung schaffen, der zum Austausch anregt und uns ermöglicht, andere Horizonte und Denkansätze kennenzulernen", erklärt Daniel, "einen Ort, bei dem es um mehr geht, als sich nur zu betrinken." Manch junger Mann kauft sich mit 21 sein erstes Auto, der angehende Veranstaltungskaufmann besorgte sich vor zwei Jahren sein erstes Zirkuszelt. Danach war er mit seinen Freunden Jakob und Fabian auf der Suche nach einem Ort, um es aufzustellen.

Manche Mitstreiter aus dem Kollektiv haben selbst Zirkuswurzeln und einiges an Fundus geerbt. Dieses Familiengefühl lebt bei Wannda weiter. "Ein Zirkus als einfacher Familienbetrieb ist heute wirtschaftlich kaum mehr möglich, durch das Fernsehen und Internet sind wir zu verwöhnt", sagt Daniel. Ein Leben ohne Smartphone wäre für ihn nicht mehr denkbar, trotzdem hält er an einem alternativen Lebensentwurf fest.

"Wir konstruieren uns ein soziales Leben, in einer Welt voller Widersprüche, das uns erfüllt und das uns ein Weltbild ermöglicht, ohne sich der Gegenwart zu verschließen oder aller modernen Technik zu entsagen." Wannda ist wie eine Großfamilie. Sie treffen sich täglich zum Austausch. Auf dem Gelände haben sie sich vieles zusammengebastelt. Der Platz soll aber auch als Plattform für Kreative dienen, der Austausch zwischen jungen Menschen und Künstlern ist ihnen wichtig. Durch ihre unkonventionellen Open-Air-Partys hat sich ihr Name schnell herumgesprochen.

Bei ihrem "Wannda Circus" gibt es kein festgeschriebenes Programm, dafür warten etliche Kleinigkeiten, besonders beliebt ist das Schminken und Verkleiden. Neben kleinen Buden reihen sich Feuerspucker, Trickzauberer sowie Pantomimen. Workshops laden zum Mitmachen ein. Es wird gemalt, hoch über den Köpfen der Besucher wird Vertikalseil getanzt. Für die Kleinen gibt es Kasperltheater.

Zirkusschüler auf der Bühne
:Indiana Jones am Trapez

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Anna Schultes

Die Stimmung reißt einen mit: "Leute kamen mit ihren eigenen Sachen bei uns vorbei, bauten ihre Stände auf oder zeigten ihre Künste. Einer kam mit seinem Zweimeterhochrad, andere mit ihren Instrumenten oder welche, die mit Stäben jonglieren", sagt Daniel. Die Fläche, die ihnen zur Verfügung steht, teilen sie. Das Gelände überlassen sie zeitweise älteren Damen für Theaterproben, zudem initiieren sie einen Kinderzirkus. Der Aaber-Kunst-Award hat im Juli ebenfalls bei Wannda gastiert.

Alle drei arbeiten selbständig im Veranstaltungsbetrieb und Messebau, Daniel ist zudem seit einem Jahr Auszubildender im Club Harry Klein. Mit Wannda toben sie ihre eigenen Ideen aus: "Je vielfältiger unser Kollektiv zusammengestellt ist, desto spannendere Denkansätze entstehen", sagt Daniel. Für diese Vielfältigkeit steht auch die junge Modemacherin Emine Capartas, ebenfalls Gründungsmitglied von Wannda. Sie hat auf der Meisterschule für Mode gelernt und kümmert sich im Zirkus um die Kostüme und die ganze Dekoration. Früher hat sie die Träumerpartys in den Postgaragen veranstaltet. Für Emine ist "der inspirierende Austausch mit anderen Künstlern" wichtig, sagt sie - die vielen Kontakte zu anderen Kreativen seien den großen Aufwand wert.

Auf Sponsoren und Förderungen haben sie bisher verzichtet. Sie wollen autonom sein, sich als Verein selbst tragen. Geld, das sie erwirtschaftet haben, wurde sofort in neue Projekte gesteckt. Um den "Wannda Circus" überhaupt starten zu können, haben sie sich am Anfang Geld leihen müssen - den Kredit müssen sie noch zurückzahlen. Als bloßes Hobby kann man ihre Leidenschaft aber nicht mehr bezeichnen, dafür opfern sie ihre komplette Freizeit.

Jetzt haben sie sich in die Sommerpause verabschiedet. Im August haben sie angefangen, das Gelände abzubauen. Im 280 Quadratmeter großen Lager türmt sich die Veranstaltungsausstattung: Bretter, Planen, alte Kostümen und jede Menge Krimskrams. "Wir sind jetzt nicht weg, aber das Gelände konnten wir über die Sommerpause nicht unbewacht stehen lassen", sagt Daniel. Wie es weitergeht, wissen sie nicht.

Zur Not auch als Wanderzirkus

Ob sie von der Stadt München erneut eine Lizenz für das Gelände an der Schwere-Reiter-Straße erhalten, klärt sich erst im Herbst. Ein Platzangebot außerhalb von München liegt ihnen bereits vor, aber eigentlich wollen sie in der Innenstadt bleiben - zur Not auch als Wanderzirkus.

Begeistert von ihrer Mischung aus Techno, Straßenkunst, Ausstellung und Akrobatik ist jedenfalls Angelika Fink, die künstlerische Leiterin des Pathos Transporttheaters, die schon mehrfach mit Daniel zusammengearbeitet hat: "Ich finde, die jungen Wilden müssen ihren Platz in der Stadt haben", sagt sie. Angelika Fink würde es begrüßen, wenn der "Wannda Circus" weiterhin am Leonrodplatz bleibt. "Eine Szene wie diese findet man nur schwer in München, ausgeflippt und subversiv."

Weitere Texte finden Sie auf: www.sz-jugendseite.de.

© SZ vom 02.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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