Wanderausstellung:NS-Dokuzentrum: Vom Vater, der seinen Sohn tot sehen will

NS-Dokumentationszentrum Mu·nchen

Fotos einiger Opfer werden in der Ausstellung "erfasst, verfolgt, vernichtet" gezeigt.

(Foto: dpa)
  • Mehr als 200 000 psychisch Kranke oder Menschen mit Behinderung wurden unter dem Regime der Nationalsozialisten als "lebensunwert" ermordet.
  • In einer Wanderausstellung, die bis zum 26. Juni im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist, geht es um diese "Euthanasie".
  • Konzipiert hat die Ausstellung "erfasst, verfolgt, vernichtet" die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Von Jakob Wetzel

Es ist nur ein dürrer, handschriftlicher Brief, verfasst in blauer Tinte auf mittlerweile vergilbtem Papier. Doch wer ihn liest, der blickt in einen Abgrund. Bruno O. hat ihn im August 1943 an den Chefarzt einer Pflegeanstalt geschrieben, es ging um den kleinen Helmut, seinen Sohn. Er verstehe ja, dass der Bub nicht erbkrank, sondern nur wegen eines Geburtsschadens behindert sei, schrieb der Vater.

Aber die Krankheit sei doch dieselbe - und so würde man "nur Gutes tun", würde man dem Jungen "eine Gnadenspritze verabreichen". Dann könne er selber die für den Jungen "unnütz herausgeworfenen Gelder meinen beiden kerngesunden Jungens zugute kommen zu lassen". Der Arzt möge also bitte seinen Widerstand gegen die Tötung aufgeben.

Bruno O. setzte sich letztlich durch. Sein Sohn gehört zu den mehr als 200 000 psychisch Kranken oder Behinderten, die unter dem Regime der Nationalsozialisten als "lebensunwert" ermordet wurden, vor allem, um das Geld für die Pflege zu sparen. Die Nazis nannten ihren Mord "Euthanasie", den "guten Tod"; er gilt Historikern heute als Testlauf für den Holocaust. Bis zu 400 000 weitere Kranke wurden zwangssterilisiert. Heute ist der Brief von Bruno O. Teil einer Wanderausstellung, die nun bis zum 26. Juni im NS-Dokumentationszentrum an der Brienner Straße zu sehen ist: "erfasst, verfolgt, vernichtet".

Konzipiert hat die Ausstellung die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN); sie steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim Gauck. Auf 69 in Stahl gefassten Schautafeln und in zwei Medienstationen dokumentiert sie nicht nur Bürokratie und Logistik des Massenmordes, sie erzählt auch von den Biografien einiger Täter und Opfer, befasst sich mit der Ideologie hinter dem Mord - etwa der Rede von "lebensunwertem Leben" - und zeichnet nach, wie die Verbrechen nach 1945 verleugnet wurden: Ärzte und Pfleger blieben in ihren Berufen, die Familien der Opfer fühlten sich stigmatisiert. Erst seit den Achtzigerjahren geraten die Ermordeten in den Blick.

Großes Interesse an der Schau

Die durch Spenden finanzierte Ausstellung ist von einer Kommission von Medizinhistorikern erarbeitet worden und existiert bereits seit 2014; mehrmals wurde sie auch im Ausland gezeigt. Bis Ende 2017 sei sie ausgebucht, sagte am Montag der ehemalige DGPPN-Präsident und Aachener Klinikdirektor Franz Schneider. Die Nachfrage sei so groß, dass es mittlerweile auch eine mobilere Version ohne Stahlrahmen gebe; sie sei derzeit in Dresden zu sehen. Angesichts von Pegida sei es derzeit "ganz gut, dort präsent zu sein."

Über München geht die Ausstellung inhaltlich weit hinaus. Doch er sei froh, sie nun auch hier zeigen zu können, so Schneider, nicht nur wegen des neuen Dokuzentrums, sondern auch, weil München als "Hauptstadt der Bewegung" im Nazireich eine Vorreiterrolle spielte, auch beim Krankenmord.

Zahlreiche Veranstaltungen begleiten die Ausstellung

Begleitend sind Vorträge und Podiumsdiskussionen, eine Theateraufführung, eine szenische Lesung und mehrere Seminare und Rundgänge im NS-Dokumentationszentrum geplant. Parallel arbeitet eine Arbeitsgruppe um die Historikerin Sibylle von Tiedemann und den Psychiater Michael von Cranach an einem Gedenkbuch, das die Namen der etwa 2000 Münchner Opfer dokumentieren soll.

Für die Präsentation im NS-Dokuzentrum hat dieselbe Arbeitsgruppe die Ausstellung um fünf Stelltafeln ergänzt. Sie beschäftigen sich mit Münchner Tätern und Opfern sowie allen voran mit der früheren Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Diese war das logistische Zentrum des Krankenmordes in Oberbayern: Während der "Aktion T4", so benannt nach dem Verwaltungssitz in der Berliner Tiergartenstraße 4, wurden in 20 Transporten mehr als 2100 Patienten über Eglfing-Haar in den Tod geschickt.

Und auch aus diesen Hinterlassenschaften spricht das Grauen: Gezeigt werden Dokumente wie ein Brief von Fritz Ast, Direktor von Eglfing-Haar, an die Mutter einer Münchner Patientin: Da erläutert der Arzt auf 25 Zeilen, dass die Tochter an den Folgen der Zwangssterilisation gestorben sei. Weil die Frau schwanger war, hatte man außerdem ihr Kind zwangsabgetrieben. Sie war im siebten Monat.

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