Wandel im Münchner Bahnhofsviertel:Gesundheitstouristen und Whiskeydealer

Wandel im Münchner Bahnhofsviertel: Die Landwehrstraße schläft nie, viele Geschäftsbesitzer kennen sich untereinander.

Die Landwehrstraße schläft nie, viele Geschäftsbesitzer kennen sich untereinander.

(Foto: Robert Haas)

Das Tor zum Orient: Die einst türkischste Ecke Münchens wird immer arabischer. Die Landwehstraße schläft nie - hat aber mit einem Problem zu kämpfen.

Von Thomas Anlauf

Die Straße glänzt, es hat etwas geregnet in der Nacht. Gelbes Licht scheint auf den nassen Gehweg, das Murmeln von Männerstimmen ist zu hören. In dem türkischen Kaffeehaus ist kein Sitzplatz frei, die Männer trinken schweren schwarzen Kaffee. Gleich geht es zur Arbeit, rüber zum Süpermarket Verdi oder hinten ans Eck zum Gemüsebasar Cavuşoğlu. Im Osten färben sich ein paar Wölkchen rot, es ist Freitagmorgen um kurz nach sechs. Die Landwehrstraße schläft nie.

Sie ist der Sūq der Stadt, Münchens arabische Marktstraße. Auf den 830 Metern zwischen Sonnenstraße und Paulskirche reihen sich acht Friseursalons, sechs arabische Lebensmittelgeschäfte, 19 Lokale, vier Shisha-Läden, fünf Spielcasinos, 15 Hotels und zwei Apotheken aneinander. Dazu kommen Import-Export-Läden, in denen sich Teekocher, Messer-Sets und Wasserpfeifen in vergilbten Kartons stapeln, ein Nagelstudio und ein Table-Dance-Schuppen. Menschen aus Dutzenden Nationen leben und arbeiten hier, jeder Zweite stammt aus dem Ausland. Seit den Siebzigerjahren ist die Landwehrstraße Münchens Tor zum Orient, vor allem türkische Gastarbeiter und Geschäftsleute haben sich hier schon vor vier Jahrzehnten angesiedelt.

Gesundheitstouristen aus den Golfstaaten

Das Leben spielt sich vor allem auf der Straße ab. Drei junge Männer sitzen auf der Stufe vor einem Friseurladen mit Teegläsern in den Händen. Drüben beim Gemüsehändler stehen Frauen mit Kopftüchern vor den überbordenden Gemüseauslagen und prüfen streng die Qualität der Ware. Es duftet nach frischen Feigen und Orangen, drinnen im Süpermarket stapeln sich türkische Lebensmittel aller Art in den Regalen. Es gibt Baklava im Sonderangebot, auch arabisches Brot ist gerade besonders günstig. Das muss sich herumgesprochen haben: Ein paar Frauen in schwarzem Tschador und Niqab-Schleier schieben Einkaufswagen durch die engen Gassen des türkischen Supermarkts. Auch sie sind hier seit einiger Zeit zu Hause, die einst türkischste Straße der Stadt wird zunehmend arabisch.

Mohammed Rihani steht vor seiner Apotheke, neben ihm hängt ein Schild mit sechs Flaggen: Türkisch, französisch, russisch, italienisch englisch und arabisch sprechen Rihanis acht Mitarbeiter. Vor allem das Arabische wird immer wichtiger in der Landwehrstraße. "90 Prozent meiner Kunden sind Araber", sagt der promovierte Pharmakologe, "fast alle kommen aus den Golfstaaten." Wegen der Kriege im Nahen Osten und Nordafrika habe sich der Gesundheitstourismus am Persischen Golf völlig verlagert. "Sie kommen jetzt fast alle nach Europa und vor allem nach München", sagt Mohammed Rihani. Wer in den Golfstaaten ein gesundheitliches Problem hat, muss laut Rihani nur ein Formular ausfüllen, schon bekommt er seine Reise nach München bezahlt - für eine Spezialbehandlung bei einem der bekannten Professoren in der Stadt. Und die schicken ihre Patienten mit den Rezepten meist zu Doktor Rihani, schließlich spricht der gebürtige Syrer fließend arabisch. "Die Leute kennen oft nur drei Begriffe von hier", sagt der Apotheker mit dem akkurat gestutzten Bart. "Marienplatz, Zell am See und Rihani."

Die arabischen Patienten müssen natürlich auch irgendwo wohnen in München. Wer nicht in den auf Araber spezialisierten Apartmenthotels im Bahnhofsviertel absteigen will, nimmt sich mitsamt seiner Entourage gleich eine Wohnung. Das hat längst massive Auswirkungen auf den Mietmarkt im Viertel. "Die Mietpreise sind in den vergangenen Jahren um einhundert Prozent gestiegen", sagt Nezahat Gülmez. Die Münchner Maklerin bietet gerade selbst drei Wohnungen und einen Laden in der Landwehrstraße im Paket an: Knapp 1,7 Millionen Euro kostet das für Kapitalanleger. Die bekommen dafür auch was fürs Geld. Monatliche Mieteinnahmen von knapp 4600 Euro. Und die Araber zahlen. Gülmez hat gehört, dass es nicht ungewöhnlich ist, in der Straße 1000 Euro für ein kleines Appartement zu verlangen - pro Woche.

In Hinterzimmern von Shisha-Bars soll mit Whiskey gedealt werden

Noch teurer sind allerdings Gewerbeimmobilien in der Gegend: 25 Euro pro Quadratmeter Ladenfläche und mehr sollen es sein; je näher an der Sonnenstraße, desto teurer. "Das Problem sind vor allem die Spielhöllen, die Betreiber sind bereit, 120 Euro und mehr pro Quadratmeter zu zahlen", sagt Elisabeth Siedel. Die Islamwissenschaftlerin und Ethnologin beschäftigt sich seit langem mit dem Bahnhofsviertel. Auch sie hat festgestellt, dass sich die Gegend gerade in einem grundlegenden Wandel befindet. Die horrenden Mietpreise für manche Läden seien eben verführerisch für viele Hausbesitzer, kleine Geschäftsleute können sich das oft nicht mehr leisten und geben auf.

Oder es laufen im Hintergrund noch andere Geschäfte. Stadtführerin Elisabeth Siedel kann sich nicht vorstellen, wie sich etwa ein kleines Shisha-Lokal sonst überhaupt rechnen soll. Tatsächlich hört man in Gesprächen mit Leuten aus dem Viertel, dass in einigen Hinterzimmern der Shisha-Kneipen flaschenweise Whiskey verkauft werden soll. Bei einem Besuch in einer Shisha-Bar bestreitet ein junger Mann hinterm Tresen jedoch energisch, dass es Alkohol bei ihm gibt. Auf den Diwane liegen ein paar junge Männer und ziehen an ihren Wasserpfeifen. Auf den Tischen stehen nur Coladosen.

Bettler stören den Apotheker

Draußen auf der Landwehrstraße ist deutlich mehr los als in der kleinen Shisha-Kneipe. An der Ecke zur Goethestraße stehen Männer herum, sie warten darauf, einen Gelegenheitsjob zu bekommen. Für viele Geschäftsleute in der Nähe ist der sogenannte Arbeiterstrich eine Zumutung. Die Männer haben keinen Ort, wo sie sich kurz aufwärmen oder eine Toilette benutzen können. Der Versuch der Stadt, einen Aufenthaltsraum für die meist aus Rumänien oder Bulgarien stammenden Männer zu schaffen, ist bislang gescheitert. Weiter unten auf Höhe der Schillerstraße sind es vor allem irakische Kurden, die sich treffen. Und dann sind auch noch einige Bettler in der Straße unterwegs. "Das ist nicht schön", sagt Apotheker Rihani. Immer wieder komme es vor, dass einer der Bettler direkt vor seiner Apotheke sitze. Mittlerweile hat er einen Warnhinweis für seine Kunden ins Schaufenster gehängt, den Bettlern besser kein Geld zu geben, um sie nicht noch mehr zum Betteln zu ermuntern. Die Warnung ist auf Arabisch.

Für Ingrid Theis ist dieses Wimmelbild von einer Straße hingegen faszinierend. Kein Wunder, die blonde Frau aus einem kleinen Ort im Westerwald ist Fotografin. Seit 32 Jahren lebt sie in München, 2003 ist sie mit ihrem Fotostudio in die Landwehrstraße gezogen. Immer wieder fotografiert sie ihre Straße, die Menschen dort, die kleinen Läden. "Hier ist Leben, Tag und Nacht Trubel", sagt Ingrid Theis: "Es ist alles in Bewegung, obwohl eigentlich alles still steht." Tatsächlich ist die Landwehrstraße wie ein statisches Gewusel. Autofahrer kommen meist nur im Schritttempo voran, die Passanten scheinen nirgends hin zu wollen. Viele stehen einfach herum, diskutieren mit dem Nachbarn oder trinken auf der Straße eine Tasse Tee.

Für Ingrid Theis ist dieses Wimmelbild von einer Straße hingegen faszinierend. Kein Wunder, die blonde Frau aus einem kleinen Ort im Westerwald ist Fotografin. Seit 32 Jahren lebt sie in München, 2003 ist sie mit ihrem Fotostudio in die Landwehrstraße gezogen. Immer wieder fotografiert sie ihre Straße, die Menschen dort, die kleinen Läden. "Hier ist Leben, Tag und Nacht Trubel", sagt Ingrid Theis: "Es ist alles in Bewegung, obwohl eigentlich alles still steht." Tatsächlich ist die Landwehrstraße wie ein statisches Gewusel. Autofahrer kommen meist nur im Schritttempo voran, die Passanten scheinen nirgends hin zu wollen. Viele stehen einfach herum, diskutieren mit dem Nachbarn oder trinken auf der Straße eine Tasse Tee.

Abends schauen viele Händler noch gerne bei Manoli Papoutsaki vorbei. Der zierliche Kreter betreibt seit 1988 das Restaurant Arkadi. Er ist eine Institution im südlichen Bahnhofsviertel, schließlich lebt er seit 1972 in München. "Ich bin mit allen hier befreundet", sagt der 74-Jährige, "alle Leute lieben mich und ich liebe all diese Leute." Dass er der einzige Grieche in der Gegend ist, stört Manoli Papoutsaki nicht. Im Gegenteil: Er will die griechische Küche wieder mehr in den Mittelpunkt seines Lokals rücken. Derzeit gibt es im Arkadi neben Moussaka auch Spaghetti, Currywurst und Schweinsbraten. Das kulinarische Allerlei wird nun von der Speisekarte gestrichen. Manoli Papoutsaki besinnt sich auf seine alten Tage seiner kretischen Wurzeln. Und das in der Straße des Orients.

Die Münchner Volkshochschule bietet am Mittwoch, 15. Oktober, eine kulinarische Stadtteilführung durch das südliche Bahnhofsviertel an (14.30 bis 17 Uhr). Anmeldung unter 089/72 10 06-31.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: