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Wahlkampf:Hitlerbärtchen und Beschimpfungen: Wie Wahlplakate verunstaltet werden

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An den Münchner Straßen gibt es auffällig viel zerstörte Politikwerbung. Die Rowdies schlagen bei CSU und SPD gleichermaßen zu.

Von Dominik Hutter, München

Gut möglich, dass die Randale per Bus geschah: Vom U-Bahnhof Neuperlach Zentrum zum Klinikum Neuperlach, über Karl-Marx-Ring und Putzbrunner Straße bis nach Waldperlach zog sich die Spur der Plakat-Verwüstung, berichtet der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger. Also in etwa entlang der Metrobuslinie 55. Der Serie seien in der vergangenen Woche auffällig viele Wahlplakate von CSU, SPD und FDP zum Opfer gefallen - ohne erkennbare politische Aussage, es wurde einfach nur zerstört. Plakatständer wurden eingetreten, Plakate zerfetzt. Wahlkampf radikal.

Neu ist das nicht. Schon immer haben mehr oder weniger politische Haudraufs ihre Meinung über Kandidaten per Fußtritt oder mit dem Filzstift kundgetan. Oft mit ziemlich verqueren Ausreden über den Politikbetrieb - wenn sie denn von der Polizei ertappt werden, was eher selten vorkommt. Deren Sprecher Christoph Reichenbach hat eine Gemeinsamkeit der meisten aufgegriffenen Plakat-Ruinierer ausgemacht: den hohen Alkoholpegel. Allzu gravierend sei das Problem nicht - allerdings registriert die Polizei nur die Taten, die auch offiziell angezeigt werden. Was etwa bei der Neuperlacher Serie noch nicht der Fall gewesen sei.

Bei Stefingers Gegenkandidatin Claudia Tausend (SPD), deren Plakate ebenfalls von dem Zerstörungswerk betroffen waren, hat sich ein erster Eindruck festgesetzt: Es ist schlimmer geworden in diesem Jahr. Sie will nun mit ihren Wahlkampfhelfern prüfen, ob sich dieses Gefühl erhärten lässt. Und sich mit Wolfgang Stefinger besprechen. In solchen Fällen, so beteuert der, halten die Kandidaten zusammen. "Bei uns im Osten geht es fair zu."

Auch Frank Gübner, der Bezirksgeschäftsführer der CSU, hat beobachtet, dass das Problem mit den zerstörten oder beschädigten Wahlplakaten eher zu- als abnimmt. "Von der Masse her auf jeden Fall", dafür sei dieses Mal das Ausmaß der Zerstörung weniger heftig. Bei der CSU werden die Vorfälle inzwischen akribisch registriert und regelmäßig an die Polizei weitergegeben.

Damit sich Schwerpunkte feststellen lassen, die dann bei den Ermittlungen helfen könnten. 140 Meldungen habe man bereits beisammen, so Gübner. Von mit Filzstift gemalten Kringeln, Brillen und Hitlerbärtchen bis zu heruntergerissenen Plakaten und der offenkundig aus rechtsradikalen Kreisen stammenden Bemerkung "Volkstod" auf Merkel-Konterfeis. Sicherheitshalber finden Kontrollfahrten entlang der Plakat-Routen statt.

Schon nach wenigen Stunden zerstört

Bernhard Goodwin, der SPD-Kandidat im Münchner Westen, hatte bereits im März mit eigens gedruckten "Abgesagt"-Fälschungen auf Veranstaltungsplakaten zu kämpfen. Manchmal wird auch ein sogenannter Störer direkt über die Adresse des Veranstaltungsorts gepappt. Damit sie nicht mehr erkennbar ist. Ärgerlich ist das für die Parteien in jedem Fall. Und kostspielig. Die hochwertig gefertigten Plakatständer der CSU kosten 70 bis 80 Euro pro Stück, berichtet Gübner.

Ganz zu schweigen von dem Aufwand, die Plakate nachzukleben. Wer 1000 Plakate benötigt,lässt sicherheitshalber 1200 drucken, schätzt Gübner. Die Randale muss einkalkuliert werden. Brennpunkte seien vor allem das Uni-Viertel, aber auch der Rest der Maxvorstadt und der Rotkreuzplatz. Immer wieder seien frisch geklebte Plakate "schon nach wenigen Stunden wieder kaputt", ärgert sich Gübner. Und in der Sonnenstraße, direkt an den Clubs der Feierbanene, sei die Wahrscheinlichkeit, am Samstagmorgen heile Plakate anzutreffen, durchaus überschaubar, so der CSU-Mann. Goodwin bedauert nicht zuletzt den Zusatzaufwand der ehrenamtlichen Helfer, ohne die Wahlkampf unmöglich wäre. Und Stefinger erinnert an die Bedeutung politischer Werbung für die Demokratie.

Anders als Gübner hat Goodwin aber nicht das Gefühl, dass die Randale im Laufe der Jahre zunimmt. Allerdings hat er selbst auch schon Anzeige erstattet, als seine Plakate mit rechtsradikalen Parolen überklebt wurden. "Alles in allem hat es das aber schon immer gegeben." Bei Goodwin war schon "Ceta" oder "Volksverräter" auf Plakaten zu lesen. Wer den ganzen Plakatständer zusammentrete, wolle jedoch meist keine politische Botschaft vermitteln, sondern leide eher unter allgemeiner Politikverdrossenheit.

Manches nimmt Goodwin auch locker. Filzstiftverzierungen etwa: "Einen Bart habe ich ja schon". Aber auch an den Infoständen gehe es mitunter unfein zu: Wenn jemand laut Volksverräter "oder andere Freundlichkeiten" ruft. Da hilft es dann, wenn zumindest der nächste Passant nette Worte findet. Die braucht manchmal auch der Politiker.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2017
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