Wahlkampf-Endspurt:Bayern-Wahl könnte die Münchner Politik auf den Kopf stellen

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Blick vom Maximilianeum auf die Stadt, die ein Zehntel der bayerischen Wähler stellt. (Foto: Stephan Rumpf)

Enden Karrieren bekannter CSU-Politiker? Gewinnen die Grünen erstmals ein Direktmandat? Fällt die bedeutendste SPD-Bastion im Freistaat? Nur eines ist klar: Im Rathaus wird sich danach vieles verändern.

Analyse von Dominik Hutter

Nervös wäre vermutlich zu zurückhaltend formuliert, um die Stimmung vor dem Sturm wiederzugeben. Gleich zwei Parteien können sich den Prognosen zufolge am kommenden Sonntag auf ein noch nie dagewesenes Desaster einstellen: die CSU, normalerweise bei Landtagswahlen auch in München stärkste Partei und seit ihrer Beteiligung an der Rathauskoalition mit gesteigertem Selbstvertrauen ausgestattet. Und die SPD, für die München seit Jahrzehnten eine der bedeutendsten roten Bastionen bayernweit darstellt. Die allmählich zur letzten Zuflucht werden könnte. Entsprechend angespannt dürfte am Wahltag die Stimmung vor den Monitoren des Kreisverwaltungsreferats an der Ruppertstraße sein, wo sich viele Kandidaten traditionell einfinden, bevor sie zu den Wahlpartys ihrer Parteien entschwinden. Oder schnell und unauffällig nach Hause eilen - falls es komplett schief gegangen ist.

Es wird vieles, sehr vieles anders sein als bei der letzten Landtagswahl am 15. September 2013. Das geht schon damit los, dass München wegen des Einwohnerzuwachses nunmehr neun statt der bisherigen acht Landtags-Stimmkreise aufweisen kann. Der Neue, München-Mitte, wäre 2013 mit deutlicher Mehrheit an die SPD gefallen - er umfasst die tendenziell eher rot-grün geprägten Innenstadtbezirke und gilt daher für die CSU als das bayernweit schwierigste Pflaster.

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Ob die Christsozialen dafür davon profitieren, dass es weniger SPD- und Grünen-Wähler in den umliegenden Bezirken gibt, ist unklar - dafür ist das prognostizierte Ergebnis für die Konservativen zu schlecht. 2013 hatte die CSU in München ein Ergebnis von 36,7 Prozent erzielt - dieser damals unterdurchschnittliche Wert wird laut den Vorhersagen derzeit nicht einmal mehr landesweit erreicht. Die SPD kam damals auf 32,1 Prozent, die Grünen auf 12,1, die FDP auf 5,6, die Freien Wähler auf 4,6 und die Linken auf 2,3 Prozent.

Man muss kein Prophet sein, um München aus der Bayern-Perspektive auch diesmal wieder ein untypisches Ergebnis vorherzusagen. Die CSU und auch die Freien Wähler sind an der Isar traditionell schwächer als im Rest des Freistaats, SPD, Grüne, FDP und Linke stärker. 2013 konnte Ruth Waldmann in Milbertshofen das einzige Direktmandat für die SPD in ganz Bayern holen. Das gilt auch diesmal als möglich - genau wie es auch denkbar ist, dass die Grünen in München erstmals eines oder mehrere Direktmandate erringen. Die Öko-Partei war bei der Bundestagswahl 2017 erstmals zweitstärkste Kraft in München, bei Europawahlen hat sie diese Rolle schon länger inne. Grüne Siege gelten in Mitte, in Schwabing und in Milbertshofen als möglich.

Für die CSU-Kandidaten wäre eine Niederlage bei den Erststimmen ein schwerer Schlag. Da die Partei normalerweise das Gros der bayerischen Direktmandate holt, diesmal aber mit einem insgesamt schlechten Ergebnis rechnen muss, dürfte kaum ein Kandidat über die Liste ins Parlament kommen - ganzen politischen Karrieren droht dann das Ende. Prominentestes Opfer könnte der frühere Kultusminister Ludwig Spaenle sein, der vor gut einem halben Jahr vom neuen Ministerpräsidenten Markus Söder geschasst wurde und inzwischen als Antisemitismusbeauftragter der Staatsregierung arbeitet.

Fällt Schwabing an die Grünen und Spaenle damit aus dem Maximilianeum, könnte auch seine innerparteiliche Machtbasis gehörig bröckeln und der Posten als Bezirksvorsitzender der Münchner CSU in Gefahr geraten. Als vergleichsweise ungefährdet gelten Generalsekretär Markus Blume in Ramersdorf, der Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper in Bogenhausen, Digitalminister Georg Eisenreich in Hadern und Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid in Pasing. Sofern man überhaupt noch von relativ sicheren Stimmkreisen sprechen kann bei dieser Wahl, die die politischen Verhältnisse in München wie in Bayern auf den Kopf stellen könnte.

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Neu auf dem Wahlzettel steht die AfD, die 2013 noch nicht angetreten ist. Auf der Liste und teilweise auch auf dem Erststimmenzettel tauchen zudem die bislang nicht vertretenen Bewerber der AfD-Abspaltung Liberal-Konservative Reformer (LKR), der von der ehemaligen Grünen-Politikerin Claudia Stamm mitgegründeten Partei "mut", der Satirepartei "Die Partei", der Partei der Humanisten, der Partei für Gesundheitsforschung, der Tierschutzpartei und der Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer (V-Partei) auf. Nicht mehr dabei sind die Republikaner (2013 in München 0,6 Prozent), die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo; 0,0 Prozent) und Die Freiheit (0,2 Prozent). Die Wahlbeteiligung in München lag 2013 bei 62,7 Prozent. 1,3 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig.

Hätte die Landtagswahl 2013 nur in München stattgefunden, wäre die FDP weiterhin im Parlament vertreten gewesen: 5,6 Prozent stimmten für die Liberalen, landesweit reichte es dagegen nicht fürs erneute Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde. Diesmal sehen die Prognosen für die FDP positiver aus, und auch die Linke darf sich zumindest leise Hoffnungen auf den erstmaligen Einzug ins Maximilianeum machen. Sie kam 2013 in München auf 2,3 Prozent. ÖDP (1,8 Prozent), Bayernpartei (1,7) und Piraten (2,3) treten ebenfalls wieder an.

Wer daheim oder in einem der 618 Münchner Wahllokale vor seinen beiden Stimmzetteln sitzt, muss sich erst einmal von den gewohnten Prinzipien der Bundestagswahl verabschieden. Zwar gibt es auf den ersten Blick auch bei der Landtagswahl eine Erststimme für einen Direktbewerber im eigenen Stimmkreis sowie eine Zweitstimme für eine Liste (Oberbayern). Dennoch ist das bayerische System in wesentlichen Punkten anders: Denn Erststimmen für unterlegene Direktkandidaten fallen nicht unter den Tisch, sondern werden zu den Zweitstimmen dazugezählt.

Auf dem zweiten Stimmzettel können die Wähler entweder direkt einen einzelnen Kandidaten ankreuzen (und so auch die von den Parteien vorgenommene Reihung verändern) oder aber die Liste der Partei unverändert übernehmen (in diesem Fall sollte ein Kreuzchen beim Parteinamen in der Kopfleiste gemacht werden; ein eigens ausgewiesenes Feld zum Ankreuzen gibt es in diesem Fall nicht). Es ist also für Kandidaten eminent wichtig, wie viele Stimmen sie auch in anderen Stimmkreisen holen. Das Reservoir ist höchst unterschiedlich groß: Es schwankt in München zwischen knapp 86 000 Wahlberechtigten in Bogenhausen und fast 124 000 in Giesing.

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Der Wahltag gilt auch in der Stadtpolitik als Zäsur. Sollten die Grünen extrem erstarken, während CSU und SPD in den Keller fahren, erschüttert dies die politische Statik im rot-schwarz regierten Rathaus am Marienplatz. Vor allem bei der CSU herrscht gebanntes Warten, mit welchem Personal der Rest der Stadtrats-Amtsperiode bis 2020 angegangen wird. Ob es Stadtrat Hans Theiss in München-Mitte schafft, ist höchst ungewiss - vermutlich wären viele im Rathaus ganz froh, wenn sie weiter mit dem aufwärts strebenden Politiker rechnen könnten. Theiss gilt als gesetzt für höhere Rathausämter, wenn er nicht ins Maximilianeum wechselt. Da ein Sieg Josef Schmids im traditionell schwarz dominierten Pasing wahrscheinlich ist, würden auf der kommunalen Ebene die Posten des Zweiten Bürgermeisters und des Wirtschaftsreferenten frei werden. Beide dürfen weiterhin von der CSU besetzt werden.

Allerdings ist es im Rathaus ein offenes Geheimnis, dass der einst als "natürlicher Kandidat" ausgerufene Rathaus-Fraktionschef Manuel Pretzl nur geringe Ambitionen hat, jetzt ein Bürgermeisteramt zu übernehmen. Pretzl müsste dafür seine Position als Direktor des Jagd- und Fischereimuseums aufgeben, was für die verbleibende Amtsperiode von nur noch eineinhalb Jahren als Vabanque-Spiel gilt. Wer weiß schon, wie die politische Landschaft nach der nächsten Kommunalwahl aussieht.

Eine Lösung wäre: Pretzl bleibt Fraktionsvorsitzender (und Museumsdirektor), ins Bürgermeisterbüro zieht einer seiner Stellvertreter ein: entweder Theiss oder aber Evelyne Menges, die auf den Rathausfluren derzeit als heißer Tipp gehandelt wird. Die Position des Wirtschaftsreferenten wird möglicherweise ausgeschrieben. Klar ist: Die bisherige Verknüpfung mit dem Amt des Zweiten Bürgermeisters gilt als Auslaufmodell. Das Personalkarussell steht jedoch still. Bei der CSU konzentriert sich alles auf die Wahl - und auf das, was danach kommt. Gut möglich, dass personell kein Stein auf dem anderen bleibt, heißt es aus Parteikreisen. Da will man jetzt keine voreiligen Entscheidungen fürs Münchner Rathaus treffen.

Auch die Grünen könnten zwei Stadträte verlieren: den früheren Dritten Bürgermeister Hep Monatzeder sowie die frühere Fraktionsvorsitzende Gülseren Demirel. Demirel hat bereits eine gewählte Nachfolgerin in der Fraktion: Katrin Habenschaden.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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