Es ist ein unscheinbarer Ort am Rande der Stadt. Gleise führen nach Süden, Container stehen herum. Eine kleine Grünanlage schließt sich dem Friedhof am Perlacher Forst an, ein Weg führt dort zwischen Bäumen und Büschen noch weiter an den Stadtrand. Den Park an der Herbert-Quandt-Straße in Obergiesing kennen wohl nur Münchner, die in der Nähe wohnen.
Für Naturschützer ist er jedoch etwas ganz Besonderes: Ihm wird eine "sehr hohe bioklimatische Bedeutung" zugemessen, wie es offiziell in der Stadtklimaanalyse vermerkt ist. Doch ausgerechnet die Stadt will durch den öffentlichen Park eine Straße bauen. Dafür müssten nach Angaben des Bund Naturschutzes zwischen 174 und 394 Bäume gefällt werden.
Per Online-Petition hat die Münchner Kreisgruppe in kurzer Zeit etwa 1000 Unterschriften gegen den Straßenausbau gesammelt. Am vergangenen Mittwoch sollte der Stadtrat über den Bau der Straße abstimmen. Doch die Entscheidung wurde bis zum Frühjahr vertagt, die Politiker wissen: Wenn es um den Erhalt von Bäumen und Grünflächen geht, verstehen die Münchner keinen Spaß.
Stadtentwicklung:Wo in München um Grünflächen gestritten wird
Die Stadt braucht dringend mehr Wohnungen, doch wenn die Gebäude auf Grünflächen gebaut werden, regt sich bei den Anwohnern häufig massiver Widerstand. Vier umstrittene Projekte.
Eine Bürgerinitiative aus Trudering, die um den Erhalt einer schlichten Wiese an der Unnützstraße kämpft, will nun das Thema grundsätzlich angehen. Sie will stadtweit mindestens 35 000 Unterschriften sammeln, um einen Bürgerentscheid für den verbrieften Schutz von allen Parks und Grünanlagen in München zu erzwingen. "Obwohl Freiflächen in München bereits Mangelware sind, will die Stadt für die Bevölkerung wertvolle, sogar im Flächennutzungsplan ausgewiesene Grünflächen durch Bebauung dauerhaft vernichten", sagt der Sprecher der Initiative, Stefan Hofmeir. Er ist zuversichtlich, dass die Unterschriften zum besseren Schutz der Münchner Grünanlagen schnell zusammenkommen, denn auch in anderen Stadtteilen regt sich immer wieder Protest gegen Bauvorhaben, die Freiflächen zerstören.
Zunehmend protestieren Münchner sogar gegen den Bau neuer, günstiger Wohnungen wie beim Projekt "Wohnen für alle" am Dantebad. Dort befürchteten Nachbarn einen sozialen Brennpunkt im Viertel, weil in die Apartments Geringverdiener und anerkannte Flüchtlinge einziehen. Auch an der Unnützwiese in Trudering soll "Wohnen für alle" umgesetzt werden: Vier Häuser mit 57 Wohnungen werden dort entstehen - am Rand der Wiese, wie Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den wütenden Anwohnern in einer Bürgersprechstunde versicherte: "Von einem Zubauen der Wiese kann keine Rede sein."
Reiter ist zunehmend verwundert über die Haltung vieler betroffener Anwohner. Schließlich braucht München Tausende bezahlbare Wohnungen. Mit einem ehrgeizigen Bauprogramm sollen bis 2020 insgesamt 42 500 Apartments entstehen, die sich auch Geringverdiener leisten können. Doch selbst Deutschlands größtes kommunales Wohnungsbauprogramm, das der Stadtrat vor zwei Wochen beschlossen hat, wird nicht ausreichen, um die seit Jahren angespannte Lage am Münchner Mietmarkt zu beruhigen.
Muss die Stadt also um jeden Preis Wohnungen bauen? Die Stadtplaner sind sich einig, dass der enorme Druck auf München weiter anhalten wird, schon steuert die Landeshauptstadt auf die Marke von 1,6 Millionen Einwohnern zu, die voraussichtlich 2018 erreicht sein wird. Trotzdem mehren sich die Stimmen, die vor Aktionismus warnen. Zwar stimmte die CSU für das 870 Millionen Euro teure Maßnahmenpaket "Wohnen in München VI", doch im Vorfeld mahnte Wirtschaftsreferent Josef Schmid (CSU): "Manchmal wird mir die Wohnungsbauseite zu sehr einseitig betont." Er fordert auch mehr Gewerbeflächen, außerdem sieht er durch die Wohnungsbaupolitik zunehmend die städtischen Grünflächen in Gefahr. "Die unglaubliche Lebensqualität hier hängt auch mit den Grünflächen zusammen", so Schmid.
Damit trifft er wohl den Nerv von vielen Münchner Gartenstadtbewohnern, die seit Jahren um den grünen Charakter ihrer Siedlungen bangen. Es werde derzeit "auf geradezu hektische Art wie wild um sich gebaut", ohne dabei auf Bauvorschriften, Bürgerbelange und Stadtratsbeschlüsse zu achten, findet Andreas Dorsch von der Bürgerinitiative Gartenstadt Harlaching. Jahrzehntelang habe die Politik München zu einer boomenden Metropole geredet. "Jetzt hat man es geschafft! Und wie weiter?", fragt sich Dorsch. Es werde weitgehend planlos gebaut, "dafür müssen Bäume und Grünflächen weichen, dadurch wird vor allem die Innenstadt öder und heißer. Muss das so sein?"
47 000 Bäume wurden gefällt - und nur 25 000 nachgepflanzt
Das muss nicht sein, finden auch Münchens Naturschützer. Zwar sei der hohe Wohnungsdruck auf München eine "große Herausforderung", allerdings müssten die städtischen Grünflächen wegen des Klimawandels und zur Erholung der Bevölkerung erhalten bleiben, sagt Daniel Reitmeier von der Münchner Umweltorganisation Green City. "Der Erhalt jeder Grünfläche ist uns wichtig." Seiner Meinung nach sei die wichtigste wohnungspolitische Maßnahme, kleinere Wohnungen zu bauen, um weniger Fläche zu verbrauchen. "Das ist aus unserer Sicht der einzige Weg", so Reitmeier.
Der Bund Naturschutz in München warnt sogar den Stadtrat, Grünflächen für Bauvorhaben zu opfern. "Wir brauchen keine Zerstörung der Parks, sondern Puffer zur Anpassung an den Klimawandel und mehr Erholungsflächen", sagt Christian Hierneis, Vorsitzender des Bund Naturschutz in München. Am Beispiel des geplanten Ausbaus der Herbert-Quandt-Straße etwa werde sich zeigen, "ob der Stadtrat seinen Beschluss zum Klima- und Naturschutz überhaupt ernst meint", sagt der Umweltschützer. Erst vor zwei Wochen hat der Stadtrat ein umfangreiches Konzept beschlossen, in dem auch der Erhalt und Ausbau von Grünanlagen in München als Ziel vorgegeben wurde, um den erwarteten Temperaturanstieg durch den Klimawandel erträglich zu halten.
Doch die Realität sieht anders aus. Stadtbaurätin Elisabeth Merk ließ im Frühjahr errechnen, dass zwischen 2010 und 2015 mehr als 47 000 Bäume in München gefällt wurden, hingegen nur 25 000 nachweislich gepflanzt worden seien. Merks Planungsreferat bestätigt, dass "durch das Anwachsen der Stadt der Pro-Kopf-Anteil an Grün- und Freiflächen sinkt".