Wachstum:Wie Metropolen mit dem Boom umgehen

Blick über Stockholm

Blick über Stockholm.

(Foto: Mikael Damkier - Fotolia)

Attraktive Städte ziehen viele neue Bürger an - und haben dann ein Problem, sie unterzubringen. Sieben Großstädte und ihre je eigenen Strategien.

Von SZ-Autoren

Wien plant auf dem Weg zur Zwei-Millionen-Stadt neue Viertel

Irgendwann ziehen vor dem Fenster nur noch Wiesen und Felder vorbei, man glaubt, jetzt könne aber wirklich nichts mehr kommen, jetzt sei Wien doch eindeutig zu Ende - und dann fährt die U 2 eine Kurve, und da ist sie: Die Seestadt Aspern, eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Einige tausend Menschen wohnen, derzeit noch zwischen Kränen und Baggern, bereits in diesem neuen Viertel am Rande Wiens. Bis zum Jahr 2028 sollen es 20 000 werden, noch einmal so viele sollen dann dort arbeiten.

Alleine in den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung Wiens um zwölf Prozent gewachsen, von 1,66 auf 1,87 Millionen Einwohner. Vor wenigen Jahren ging man noch davon aus, dass die österreichische Hauptstadt im Jahr 2029 die Zwei-Millionen-Marke erreichen werde; inzwischen rechnen Experten schon für 2022 damit. Auch im sogenannten Speckgürtel, in den kleinen Gemeinden rund um Wien, leben immer mehr Menschen.

Um mit dem Wachstum auch nur annähernd mitzuhalten, fördert die Stadt unter anderem Dachgeschossausbauten und baut sogenannte Smart-Wohnungen. Sie sind kleiner als klassische geförderte Wohnungen und sollen vor allem für Kleinfamilien und Singles interessant sein. Wiens sichtbarste Antwort auf das Wachstum aber sind die großen Stadtentwicklungsgebiete: Das Sonnwendviertel, der ehemalige Nordbahnhof oder eben die Seestadt Aspern.

Bei der Planung dieser neuen Viertel versucht Wien, aus eigenen und fremden Fehlern der vergangenen Jahrzehnte zu lernen. Hier sollen keine Schlafstädte und keine Ghettos entstehen. In der Seestadt Aspern etwa werden rund um einen künstlichen See sowohl kommunale Wohnungen gebaut als auch die Projekte diverser selbstorganisierter Baugruppen umgesetzt.

Kaum ein Gebäude gleicht dem anderen. Platz für Läden, Lokale, Büros, Schulen und Parks ist ebenfalls eingeplant. Das Ziel: Ein lebendiges, sozial durchmischtes Stadtviertel. Ob dieser Plan aufgeht, wird allerdings erst in vielen Jahren wirklich klar sein - dann, wenn Wien längst eine Zwei-Millionen-Stadt ist.

Von Ruth Eisenreich

Moskau hat eingemeindet und plant neue Hochhäuser

Ganz genau weiß niemand, wie viele Menschen wirklich in der größten Stadt Europas leben. Die Angaben schwanken zwischen elf und 15 Millionen. Und der Sog Moskaus ist ungebrochen. Das kann man zum Beispiel im Gebiet Twer beobachten, auf der Strecke Richtung Sankt Petersburg; links und rechts der Straße verfallen die Häuser, die Jungen ziehen weg.

Derweil ist in Moskau der Wohnraum knapp. Auf einen Einwohner kommen rechnerisch etwa 21 Quadratmeter Wohnfläche. Bis 2025 soll dieser Wert auf 36 Quadratmeter erhöht werden, so steht es im Generalplan für die Stadtentwicklung. In Moskau leben im Schnitt 1,3 Menschen in einem Zimmer, in europäischen Hauptstädten etwa 0,8. Um zu einem Verhältnis von einem Zimmer pro Person zu kommen, müssten in Moskau noch 9,8 Millionen Quadratmeter Wohnfläche gebaut werden, haben Experten errechnet.

Die Stadtplaner reagieren darauf mit doppelter Ausdehnung: in die Breite und in die Höhe. 2012 wurde das Stadtgebiet um 1600 Quadratkilometer auf mehr als das Doppelte erweitert. 19 ehemals eigenständige Gemeinden gehören seitdem zum "Neuen Moskau". Nun geht es in die Höhe. Derzeit plant die Stadt, mehr als 4000 Häuser abzureißen, die zur Zeit Chruschtschows erbaut wurden. Die "Chruschtschowki" sind vier oder fünf Etagen hoch, ohne Fahrstühle und mit sehr engen Küchen. Sie wurden eilig hochgezogen, um nach dem Krieg die Wohnungsnot zu bekämpfen. Tausende konnten damals aus Baracken und Gemeinschaftswohnungen ausziehen. Es war der Beginn der Plattenbauweise.

Die Bewohner sind skeptisch, dass die Stadt ihr Versprechen hält, ihnen gleichwertigen Wohnraum in modernen Bauten zur Verfügung zu stellen. Seit Monaten gibt es Proteste. Architekten fürchten, dass sich das urbane Bild radikal ändert und die katastrophale Verkehrssituation noch verschärft, wenn anstelle fünfstöckiger Häuser Gebäude mit zwölf oder 20 Etagen entstehen.

Von Julian Hans

Die Zürcher waren schon mal mehr, brauchen aber Platz

Zürich Schweiz

Blick auf Zürich in der Schweiz.

(Foto: santosha57 - Fotolia)

Zürich ist, auch wenn die Einwohner das völlig anders sehen, keine Großstadt. Dass es immer wieder in einem Atemzug mit New York, Paris oder Tokio genannt wird, macht vor allem Sinn, wenn man sich auf die Mietpreise bezieht. Wer in Zürich drei Zimmer für unter 2500 Euro bewohnt, hat Glück gehabt. Sonst ist hier alles etwas kleiner: Die größte Stadt der Schweiz hat etwas mehr als 400 000 Einwohner, man ist schnell auf einem der Stadtberge.

Von dort aus sieht man vor allem: Dutzende Baukräne. Die Wohnungen, die hier entstehen, ähneln einander. Beton, Fenster bis zum Boden, eine Loggia aus Glas. Es sind große Wohnungen, 100 Quadratmeter und mehr, in denen nicht selten nur zwei Personen leben - der "Wohnflächenverbrauch" eines Zürchers liegt bei mehr als 40 Quadratmetern. So lässt es sich vielleicht erklären, dass viele den Eindruck haben, die Stadt würde aus allen Nähten platzen. Die Realität sieht anders aus: 1962 wohnten fast 450 000 Menschen in Zürich.

Doch während man sich damals eher in der Innenstadt bewegte, werden jetzt etwas abgelegenere Quartiere "überbaut", wie man in der Schweiz sagt. In Altstetten und Albisrieden, einige Kilometer von See und Altstadt entfernt, entstehen besonders viele gläserne Beton-Bunker.

Das klingt kalt - doch viele Neubauten der vergangenen Jahre sind inzwischen Kult geworden, haben mit praktischen Umnutzungen früherer Industriebauten und einer vielfältigen Belegung lebendige Nachbarschaften geschaffen. Nicht wenige Anlagen werden von Genossenschaften verwaltet.

Auch deshalb konstatiert das zuständige Departement der Stadt Zürich einen Trend zu "großen Wohngemeinschaften", wie es sie zum Beispiel in der 2014 eröffneten Kalkbreite gibt. In der Genossenschaft leben 240 Menschen über einem Tramdepot, viele von ihnen in WGs. Um eine der begehrten Wohnungen zu bekommen, müssen die Bewerber eine ungewöhnliche Bedingung erfüllen: Sie dürfen kein Auto besitzen.

Von Charlotte Theile

Barcelona kämpft vor allem mit der Masse an Touristen

In einem Punkt haben die Planer der katalanischen Metropole Glück: Die Einwohnerzahl wächst nicht, im Gegenteil, in den letzten beiden Jahrzehnten ist sie sogar leicht auf 1,6 Millionen gesunken. Die Stadt hat andere Probleme: die hohe Luftverschmutzung durch den Autoverkehr und vor allem 17 Millionen Übernachtungen von Touristen im Jahr; deren schiere Masse ist dabei, die Struktur über Generationen gewachsener Stadtviertel zu zerstören.

Bei den Kommunalwahlen 2015 wurde deshalb die bisherige neoliberale Stadtregierung abgestraft, die auf nahezu bedingungsloses Wachstum der Branche setzte. Unter der neuen linksalternativen Oberbürgermeisterin Ada Colau, die aus der Hausbesetzerszene kommt, gilt die Parole: "Die Stadt ihren Einwohnern zurückgeben!"

Damit wird an frühere Konzepte der "humanen Urbanistik" angeknüpft: Vor 150 Jahren entstand ein neues Zentrum mit einem Gittermuster ähnlich wie in Manhattan. Jeder der quadratischen Blöcke mit großzügigen Innenhöfen ist 133 Meter lang, das Viertel durchzieht überdies eine große Diagonale, die auch so heißt. Im Zuge der Olympischen Spiele von 1992 wurden neue Viertel entlang des Meeres gebaut.

Auf dem Höhepunkt des Booms, vor dem Platzen der Immobilienblase 2008, wurden überdies alte Hafenanlagen zu einem Ausgehviertel umgestaltet. An dieser Struktur der Stadt wird sich vorerst wenig ändern, schon gar nicht ist an Hochhäuser gedacht. Schwerpunkt der Planer ist vielmehr die Verbesserung der Lebensqualität für die Einwohner.

Dazu gehören die Verbannung des Durchgangsverkehrs aus vielen Vierteln, die Umwidmung von Hotels zu Sozialwohnungen sowie administrativer Druck zur Vermietung von derzeit rund 80 000 leer stehenden Wohnungen, die vor allem Banken und Immobilienfirmen gehören. Hinzu kommen Maßnahmen zur Verringerung der Touristenzahlen, beginnend mit der Begrenzung von Lizenzen für Beherbergungsbetriebe, für die private Wohnraumvermietung und für Kreuzfahrtschiffe.

Von Thomas Urban

Stockholm will in die Höhe bauen, über Wasser und Gleisen

Keine Stadt in Europa wächst schneller als Stockholm, das hat jedenfalls die Stockholmer Handelskammer vor knapp zwei Jahren ausgerechnet. Sie ging von elf Prozent mehr Menschen innerhalb von fünf Jahren aus, von mehr als einer Million Stockholmern bis 2020.

Doch schon für die, die bereits da sind, gibt es viel zu wenig Platz: Mehr als eine halbe Million Suchende stehe auf den Listen der städtischen Wohnungsvermittlung, sie warten im Schnitt 14 Jahre auf eine Mietwohnung in der Innenstadt, in manchen Vierteln sogar mehr als 20 Jahre. Deswegen kaufen die Viele, für 9200 Euro pro Quadratmeter im Schnitt. Das treibt viele Stockholmer dazu, sich für ihr Heim hoch zu verschulden.

Das Amt für Wohnungswesen hat ausgerechnet, dass bis 2025 im Großraum Stockholm 261 600 neue Wohnungen gebraucht werden. Die Stadt dagegen plant mit 140 000 neuen Wohnungen bis 2030. Dafür baut sie beispielsweise alte Industrie- und Hafengebiete um, etwa westlich von Östermalm, also recht zentral. Dort entstehen 12 000 neue Wohnungen.

Als es vor rund 50 Jahren akuten Wohnungsmangel in Schweden gab, baute man große, uniforme Siedlungen. "Millionenprogramm" hieß der Plan der Regierung, eine Million Wohnungen für die schwedische Mittelklasse. Heute leben in diesen heruntergekommenen Blöcken hauptsächlich Menschen, die sich die Innenstädte nicht leisten können. Viele von ihnen kommen nicht aus Schweden. Sie leben wie isoliert vom Rest der Gesellschaft. Das Millionenprogramm ist Beispiel dafür geworden, wie man es als Stadtplaner nicht machen sollte.

Weil Stockholm auf Inseln gebaut ist, ist der Platz allein durch das Wasser begrenzt. Deswegen will man in die Höhe stapeln: Die Stadt plant, einen Gürtel aus Gebäuden über die Zuggleise zu bauen, die bisher offen am Wasser zum Hauptbahnhof führen. Ein Architektenbüro hat sogar mehrere Reihen schmaler Hochhäuser vorgeschlagen, um möglichst viel Wohnraum zu schaffen. Die Dächer möchte es mit Brücken verbinden und beides bepflanzen. Dann könnten die Menschen hoch über der Stadt spazieren wie in einem Park. Das allerdings sind bisher Luftschlösser.

Von Silke Bigalke

Frankfurt hat Probleme, die Normalverdiener unterzubringen

Die Stadtentwicklung in Frankfurt ist, wie könnte es anders sein, ein heikles Thema. Aber anders als in den 1970er-Jahren kein Anlass für Randale. Damals herrschte ein Häuserkampf, Linke und Spontis - darunter bekanntlich auch der spätere Außenminister Joschka Fischer - machten mit Gewalt gegen eine höchst zweifelhafte stark von Profitgier getriebene Umgestaltung von Wohngebieten zu Banken-Vierteln mobil. Was Münchner überraschen mag: Friede zog ausgerechnet mit dem Bau von Hochhäusern ein.

Hochhäuser in Frankfurt

Hochhäuser scheinen in Frankfurt am Main (Hessen) in den sommerlichen Himmel über der Stadt zu wachsen.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Frankfurt ist die einzige deutsche Stadt mit einer markanten, von Türmen geprägten Skyline. Die Hochhäuser fanden anfangs längst nicht alle schön, inzwischen blickt man mit Lokalstolz auf die Bauten. Immer mehr schicke Gebäude schrauben sich am Main in den Himmel. Wer es sich leisten kann, lebt in luftiger Höhe mit schönem Blick über den Fluss. Die Hochhäuser mildern zumindest den Druck auf den Immobilienmarkt, jedenfalls für gut und sehr gut Betuchte. Etwa 730 000 Einwohner hat die Stadt, Jahr für Jahr kommen 15 000 dazu. Wohnungen sind knapp, Parkplätze auch.

Wo aber, bitteschön, sollen all jene Leute wohnen, die keine Spitzengehälter verdienen, jene Polizisten, Krankenschwestern und kaufmännischen Angestellten, die in Frankfurt, so wie in allen anderen Großstädten auch, die Mehrheit der Bevölkerung stellen? Schwierig. Es gibt noch ein paar freie Flächen, manche aber dürfen nicht bebaut werden. Etwa weil es dort, des Flughafens wegen, viel zu laut ist. Deshalb werden bestehende Wohnsiedlungen ausgebaut, "verdichten" heißt das im Fachjargon. Dann werden Mietshäuser um ein oder zwei Etagen aufgestockt, auf bisherigen Grünflächen Neubauten errichtet. Altmieter sind dann verärgert, sie möchten ihren Rasen mitsamt Bäumen nicht hergeben.

Wer nicht fündig wird, muss eben ins Umland ziehen. Oder nach Offenbach. Die Stadt grenzt unmittelbar an Frankfurt, gilt immer noch als die arme Schwester der Finanzmetropole. Die Mieten dort sind deutlich günstiger. Heutzutage aber hilft sie, die Frankfurter Wachstumsschmerzen zu lindern.

Von Susanne Höll

Hamburg baut, was geht - und wird kritisiert

Geteiltes Echo auf Urteil zur Elbvertiefung

Blick in Hamburg auf den Hafen.

(Foto: dpa)

Hamburg wächst, und zwar mit großer Begeisterung. Ende 2016 waren 1,86 Millionen Menschen in der Hansestadt gemeldet, so viele wie noch nie. Bürgerschafts-Politiker aller Fraktionen waren sich danach so einig wie selten: Der Rekord spiegle die Attraktivität der Stadt, im Zuzug lägen viele Chancen.

Und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) scheint es viel Freude zu bereiten, eine Politik zu vertreten, die baut und baut und baut: 10 000 neue Wohnung pro Jahr, neue U-Bahn-Linien, einen größeren Arbeitsmarkt durch Investitionen in Forschung und Innovation.

Ob die Art, wie der Senat die Wachstumsziele umsetzt, immer so gut ankommt, ist eine andere Frage. Manche Projekte entfalten eine besondere Faszination. Erst am Donnerstag war Richtfest des größten Holzhauses der Stadt: Das neue Studentenwohnheim in Wilhelmsburg ist zusammengesetzt aus 371 container-ähnlichen Holz-Apartments.

Andere Vorhaben wecken heftige Kontroversen. Die Olympia-Bewerbung für die Sommerspiele 2024 war als großes Stadtentwicklungsprogramm angelegt - und fiel beim Bürgerentscheid durch. Anwohner empören sich darüber, wie Waldstücke in der Nachbarschaft klein gemacht werden. Und auch bei einem der größten Stadtentwicklungsprojekte gab es Widerreden.

Auf 160 Hektar Marschland des Bezirks Bergedorf im Hamburger Osten soll bis 2030 ein neuer Stadtteil für bis zu 15 000 Menschen entstehen. Oberbillwerder soll ein lebendiger Ort werden für junge Familien mit viel Grün und Sportmöglichkeiten.

Kritiker aber befürchten, dass in ihrer Nähe nach dem Stadtteil Allermöhe-West, errichtet zwischen 1982 und 1994, die nächste gesichtslose Großsiedlung wächst. Die Stadt will dem mit ausführlicher zweijähriger Planung vorbeugen - und mit Bürgerbeteiligung. Erst im März hat Bau-Senatorin Dorothee Stapelfeldt die "Ideenwerkstadt Oberbillwerder" ausgerufen. Die Anrainer dürfen mitentscheiden, wie die Wiesen in ihrer Gegend zugebaut werden.

Von Thomas Hahn

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