Vorwurf der sexuellen Belästigung:Die Folgen einer Dienstreise

Zentrale des Münchner Abfallwirtschaftsbetriebs, 2010

Der beschuldigte Mann arbeitet beim Abfallwirtschaftsbetrieb (AWM). Dort soll die Frau auch aussagen, doch das will sie nicht.

(Foto: Robert Haas)
  • Eine Frau sagt, ein Kollege habe sie sexuell belästigt. Der Mann bestreitet das.
  • Der Arbeitgeber der beiden ist die Stadt München. Die muss sich jetzt mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass sie den Geschehnissen nicht nachgegangen ist und die Frau nach der sexuellen Belästigung allein gelassen habe.
  • Der zuständige Kommunalreferent aber sagt: "Wir müssen uns keinen Vorwurf gefallen lassen."

Von Andreas Glas

Es geschah auf einer Dienstreise. Ein Mann rückt seiner Kollegin zu nah, fasst ihr zwischen die Beine, versucht nachts in ihr Hotelzimmer einzudringen. So steht es in einem Brief, den die Frau nach der Dienstreise an ihren Arbeitgeber, die Stadt München, geschickt hat. Fünf Monate ist das her, passiert sei seitdem nichts, sagt die Frau - und bringt ihren Arbeitgeber damit in Bedrängnis. Nun steht der Vorwurf im Raum, die Stadt sei den Geschehnissen nicht nachgegangen, habe weggeschaut, die Frau nach der sexuellen Belästigung allein gelassen.

"Wir müssen uns keinen Vorwurf gefallen lassen", sagt dagegen Axel Markwardt. Er ist als Kommunalreferent nicht nur oberster Vorgesetzter der mutmaßlich belästigten Frau, die in der Verwaltung des Referats arbeitet. Er ist auch der Vorgesetzte des mutmaßlichen Täters, einem Angestellten des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebs (AWM). Was auf der Reise wirklich geschah, weiß auch Markwardt nicht. Doch er ist der Chef, er muss sich rechtfertigen. Und zwar im Namen einer Stadt, die eigens eine Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung eingerichtet hat. Und die auf ihrer Homepage verspricht, dass sie "allen Verdachtsfällen offensiv nachgeht".

"Dass nichts passiert wäre, ist also nicht richtig"

Als er von den Vorwürfen erfahren habe, sagt Markwardt, sei sein spontaner Gedanke gewesen, den Beschuldigten zu suspendieren. Darüber habe er sofort mit der Personal- und der Rechtsabteilung beraten. Weil aber Aussage gegen Aussage stand, habe es "keine Basis für eine dienstrechtliche Verfügung" gegeben. Um sich ein besseres Bild der Geschehnisse zu machen, habe die AWM-Personalabteilung die betroffene Frau deshalb zu einem persönlichen Gespräch geladen. Außerdem habe man ihr geraten, sich an die Gleichstellungsstelle der Stadt zu wenden, die Frauen in solchen Fällen berät. "Dass nichts passiert wäre, ist also nicht richtig", sagt Markwardt.

Doch zum persönlichen Gespräch mit dem AWM war die 32-jährige Frau nicht bereit. Stattdessen schickte sie den Brief, in dem sie ihre Erlebnisse auf der Dienstreise schildert. Nicht genug, um ein Disziplinarverfahren gegen den beschuldigten Mitarbeiter einzuleiten, sagt Markwardt. Ohne eine persönliche Anhörung der Frau habe es "keine rechtliche Grundlage für eine Disziplinarmaßnahme" gegeben.

Kündigungsdrohung als "Einschüchterungstaktik"

Anwalt Gerald Promoli hält das für eine "zu formale Sichtweise". Er sagt, dass der Brief ein "detailliertes und minutiöses Gedächtnisprotokoll" gewesen sei. "Wenn die Stadt also sagt, sie hätte deshalb nichts machen können, weil ihnen das sehr ausführliche Gedächtnisprotokoll meiner Mandantin nicht gereicht hat, dann kommt mir das komisch vor", sagt Promoli. Außerdem könne er verstehen, dass seine Mandantin sich nicht mündlich äußern wollte. Es berge schließlich "eine gewisse Problematik", sich ausgerechnet gegenüber dem Arbeitgeber des Beschuldigten rechtfertigen zu müssen. Dazu komme, dass der Personalratschef des Kommunalreferats - ebenfalls ein AWM-Mitarbeiter - der Frau mit Entlassung gedroht habe. Dies angeblich mit der Begründung, dass die Belästigungsvorwürfe den Betriebsfrieden störten.

Eine Kollegin der 32-Jährigen interpretiert die Kündigungsdrohung als "Einschüchterungstaktik" des AWM. Auch sie fühlt sich als Opfer, weil sie eingeschritten sei, als der 41-Jährige gegen die Hotelzimmertür ihrer Kollegin getrommelt habe - woraufhin der Mann sie grob angepackt haben soll. Dieser Vorfall wurde am Mittwoch bereits vor Gericht verhandelt. Das Verfahren wurde eingestellt, allerdings muss der AWM-Mitarbeiter eine Strafe von 800 Euro wegen Körperverletzung zahlen.

"Die Übergriffe sind inakzeptabel"

Nun will Anwalt Promoli "mit Nachdruck" dafür sorgen, dass auch die "viel gravierendere sexuelle Belästigung" zur Anklage kommt. Solange dies nicht geschehe, sagt Referent Markwardt, "können wir nicht mit aller Kraft gegen jemanden vorgehen und hinterher sind die Vorwürfe vielleicht nicht haltbar". Es ist ein Dilemma: Einerseits muss Markwardt seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem mutmaßlichen Opfer nachkommen, doch solange Aussage gegen Aussage stehe, müsse er auch Schaden vom mutmaßlichen Täter abwenden.

"Die Übergriffe sind inakzeptabel", sagt eine Sprecherin der städtischen Gleichstellungsstelle, doch bei der Stadt sieht auch sie "keine Fehler". Es sei eben vertraglich so geregelt, dass in diesem Fall die Ermittlungshoheit beim AWM liege. Alle anderen Stellen, an die sich die 32-jährige Frau über Monate erfolglos gewandt hatte - vom Gesamtpersonalrat bis zum Zweiten Bürgermeister Josef Schmid (CSU) - seien gar nicht befugt, etwas zu unternehmen.

Dass die Stadt die Gerichtsverhandlung wegen sexueller Belästigung abwartet, bevor sie womöglich arbeitsrechtliche Konsequenzen gegen den Mann zieht, sei also richtig, aber auch "ein großes Problem für die Betroffene, weil sie zunehmend das Gefühl hat, allein gelassen zu werden", sagt die Sprecherin der Gleichstellungsstelle. Gut möglich, dass die Frau dieses Gefühl noch eine Weile aushalten muss. Noch ist nicht absehbar, ob und wann die Belästigungsvorwürfe verhandelt werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: