Vorwürfe gegen Verkehrspolizisten:Mehr Tatorte für die Karriere

  • Zwei Beamte der Verkehrspolizei stehen im Verdacht, ihrer Betrunkenen-Trefferquote zuliebe Akten manipuliert zu haben.
  • Je mehr davon die Polizisten erwischen, desto besser besser für die Karriere der Beamten.
  • Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Landeskriminalamt mit Ermittlungen beauftragt.

Von Bernd Kastner

In den Tagen des Blitzmarathons will die Polizei medienwirksam Raser ausbremsen. Im Verborgenen dagegen halten täglich Fahnder in Zivil nach jenen Ausschau, die sich betrunken ans Steuer setzen. Je mehr davon die Polizisten erwischen, desto besser für die Verkehrssicherheit. Desto besser aber auch für die Karriere der Beamten, jeder Treffer bringt sie weiter. Es gibt eifrige unter ihnen, und womöglich auch übereifrige. Zwei Beamte der Verkehrspolizei in München stehen im Verdacht, ihrer Trefferquote zuliebe Akten manipuliert zu haben.

Nicht die Promillewerte, aber doch die Tatorte. Der Vorwurf ist heikel, auch für das Münchner Polizeipräsidium: Weil er nicht etwa von verärgerten Fahrern kommt, sondern von Kollegen; und weil das Präsidium den Fall intern klären wollte, ihn als Bagatelle bewertet und sich nicht wirklich engagiert um Aufklärung zu bemühen scheint. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Heft in die Hand genommen und das Landeskriminalamt mit Ermittlungen beauftragt.

Verkehrspolizeiinspektion Verkehrsüberwachung, kurz VPI-VÜ, nennt sich die Dienststelle in der Bad-Schachener-Straße, wo sich etwa 115 Polizisten um den Verkehr kümmern. Einer von ihnen, nennen wir ihn B., verfasste eine zweiseitige Stellungnahme an den Dienststellenleiter, das war Ende Juni 2013: Seit Längerem sei es Gesprächsthema auf der Inspektion, dass zwei Kollegen angeblich regelmäßig außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Münchner Präsidiums (Stadt und Landkreis München und ein kleiner Teil des Kreises Starnberg) Autofahrer auf Alkohol kontrollierten.

In den Akten hätten sie diese "Tatorte", also Anhaltestellen, dann aber immer wieder ins Münchner Gebiet verlegt. B. schreibt, dass er, nachdem so viel geredet worden sei, auf eigene Faust direkt bei drei Autofahrern recherchiert habe: Die Alkoholfahrt hätten sie eingeräumt und die Strafe akzeptiert; der Tatort aber sei in den Akten wohl falsch angegeben. Einer der Autofahrer bestätigte diese Vermutung im Gespräch mit der SZ und erklärt, dass er bis heute nicht offiziell befragt worden sei.

Auf dem Land sind mehr Fahrer betrunken

Motiv für die angebliche Manipulation könnte sein, wird in der Inspektion gemutmaßt, dass es ein Regelverstoß sei, wenn Beamte im Gebiet eines anderen Präsidiums wildern. Zugleich sei aber genau in diesem Grenzbereich die Trefferquote höher als in Stadtnähe: Auf dem Land seien mehr Fahrer betrunken unterwegs, zudem sei die Kontrolldichte, also die Konkurrenz durch andere Kollegen, geringer.

"Je mehr Treffer ich bringe, desto schneller komme ich voran", so beschreibt ein Verkehrspolizist die Karrierechancen. Intern werde von einer "Strichliste" mit Treffern gesprochen. Im Präsidium verneint man zwar die Existenz von Listen; selbstverständlich aber würden Beamte nach ihrer Leistung beurteilt. Treffer ließen sich per Computer auswerten, Strichlisten brauche es dafür nicht. Es sei auch irrelevant, wo man einen Treffer lande.

Der Inspektionschef leitete im Juli 2013 die belastende Stellungnahme von B. an die Disziplinarabteilung im Präsidium weiter, intern P 3 genannt. Die Juristen dort aber gaben dem Vorwurf keine Priorität: kein Hinweis auf eine Straftat, wenn überhaupt, dann irgendwas im unteren disziplinarischen Bereich. Die Sache blieb länger liegen. Dabei ist die Konstellation ungewöhnlich: Ein Beamter widersetzt sich dem oft kritisierten Korpsgeist und tut, was der Innenminister ausdrücklich wünscht: Er macht den Mund auf. Träfe der Verdacht zu, wäre das Vertrauen nicht nur in diese beiden Polizisten erschüttert. Man müsste fragen, ob noch mehr in Polizeiakten nicht der Realität entspricht.

Das Präsidium erklärte alles für erledigt

Es dauerte gut ein Jahr, bis B. als Zeuge vorgeladen wurde. Laut Präsidium gab es zuvor Telefonate und Schriftwechsel, aber B. habe seine Vorwürfe nicht konkretisiert. Mehrere E-Mails, die der SZ vorliegen, sprechen jedoch eine andere Sprache. B. bat darin den Chef von P 3 immer wieder, endlich vernommen zu werden. Als dies schließlich geschah, hatten die Beschuldigten ihre Stellungnahmen bereits verfasst. Die Reihenfolge erstaunt. Wäre es nicht sinnvoller, sich zuerst ein Bild des Beamten zu machen, ehe man die Beschuldigten mit den Vorwürfen konfrontiert?

Polizeisprecher Thomas Baumann sagt, die Reihenfolge der Vernehmungen sei nicht relevant. P 3 habe 14 Alkoholtreffer der beiden Beamten untersucht und die Akten "auf Plausibilität" geprüft. Nur bei zwei Fällen könnten eventuell Unregelmäßigkeiten vorliegen. Auf das Befragen von Autofahrern habe man verzichtet: Diese hätten in ihren Strafverfahren ja nie gegen die Tatortangabe protestiert. Vermutlich wollte die Polizei bei den Bürgern keinen schlechten Eindruck erwecken und sich über das Vorgehen von Kollegen erkundigen. Also stützt sich P 3 ausgerechnet auf jene Unterlagen, die womöglich manipuliert sind. Im September 2014 beendete man das Disziplinarverfahren mit einer Belehrung. Die Beamten gelten als sehr engagiert und weiterhin für höhere Aufgaben geeignet, heißt es.

Desinteresse der Disziplinarermittler

In der VPI-VÜ ist manch Kollege frustriert vom so empfundenen Desinteresse der Disziplinarermittler. Polizeisprecher Baumann wiederum betont: Gemessen am Vorwurf sei sehr aufwendig ermittelt worden. Da die P-3-Juristen keinen Verdacht auf eine Straftat erkannten, erklärt Baumann, hätten sie den Vorgang auch nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Dort aber ist der Fall doch noch gelandet, spät und durch die Hintertür. Ein Verkehrsrichter am Amtsgericht hatte davon erfahren und dem Verdacht so viel Gewicht beigemessen, dass er die Staatsanwaltschaft einschaltete. Und diese eröffnete ein Ermittlungsverfahren - wenige Tage, nachdem das Präsidium alles für erledigt erklärt hatte. Strafrechtlich steht nun der Verdacht des "Vortäuschens einer Straftat" im Raum, auch wenn die eigentlichen Taten, die Alkoholfahrten, unbestritten sind. Derweil arbeiten die beiden Beschuldigten längst nicht mehr in der VPI-VÜ; sie haben die nächste Station ihrer Laufbahn erreicht. Eine anstehende Beförderung aber liegt vorerst auf Eis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: