Vorurteile und Straftaten:Wie Münchner Juden Antisemitismus erleben

Mann mit Kippa im Bahnhofsviertel in München, 2015

Anfeindungen auf offener Straße erleben Juden in München selten, subtile Vorurteile aber durchaus.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Zahl judenfeindlicher Straftaten in München verdoppelt.
  • Jede dritte antisemitische Straftat in Bayern wird inzwischen in München registriert.
  • Volksverhetzung ist laut Polizei das häufigste Delikt.

Von Martin Bernstein und Jakob Wetzel

Es kommt oft wie aus dem Nichts. Neulich etwa habe er sich mit einem Mitschüler über ihre Pläne für die Zukunft unterhalten, erzählt Uri Sharell; der 17-Jährige bereitet sich gerade auf die Abiturprüfungen vor. Das Gespräch kam zufällig auf ein mögliches Studium im Ausland. Und da sagte der andere zu Sharell: "Für euch ist das ja kein Problem, vom Geld her." Gemeint war: für euch Juden. Und es sollte nicht einmal ein Vorwurf sein.

Die Juden, die sind doch alle reich. Alle paar Monate wieder werde er mit solchen Klischees konfrontiert, sagt Sharell. Es seien nicht direkt Anfeindungen, eher dumme Sprüche. Manchmal seien die Parolen sogar witzig gemeint. "Aber die Assoziationen sind eben da. Die Stereotype sind in den Köpfen drin."

Und nicht nur in den Köpfen. Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich die Zahl judenfeindlicher Straftaten in München verdoppelt. Auch wenn die absoluten Zahlen (24, 37 und 51 Delikte in den Jahren 2015 bis 2017) auf den ersten Blick niedrig wirken: Jede dritte antisemitische Straftat in Bayern wird inzwischen in München registriert. Volksverhetzung ist dabei laut Polizei das häufigste Delikt (24 Fälle). Wie aggressiv sich Judenhasser dabei äußern, erlebten die Fahrgäste eines Busses, der im vergangenen Jahr als Schienersatzverkehr zwischen Hauptbahnhof und Pasing fuhr.

Sechs junge Männer und Frauen aus München und Ebersberg pöbelten und warfen mit antisemitischen Beleidigungen um sich. Eine 38-jährige Sekretärin schritt als einzige ein, die anderen 40 Fahrgäste wollten das Geplärre lieber überhören. Und längst nicht alle Vorfälle landen im Polizeibericht. Antisemitismus hat viele Gesichter; er beginnt nicht erst, wenn Juden beschimpft oder bedroht werden.

Das erlebt auch Robert Rajber, Präsident des Vereins TSV Maccabi München. Ihm begegne Antisemitismus auf eher subtile Weise, sagt er. Sein Bruder, ein Metzger, sei etwa einmal von einem Kollegen um Rat beim Aktienkauf gebeten worden. Er antwortete, davon verstehe er nichts. Da hieß es: "Ich dachte, ihr kennt euch damit aus." Ihr, die Juden. Er selbst habe erst am Freitag etwas ähnliches erlebt, sagt Rajber: Er habe mit anderen über schöne Strände gesprochen und dabei von Tel Aviv geschwärmt. Da wurde er gefragt, ob er denn manchmal überlege heimzukehren. Dabei sei München sein Zuhause, sagt Rajber, Israel empfinde er allenfalls als Feriendomizil. "Aber es ist im Bewusstsein nicht angekommen, dass zu München und Deutschland Juden ganz normal dazugehören."

Vorurteile und Straftaten: "Es ist im Bewusstsein nicht angekommen, dass zu München und Deutschland Juden ganz normal dazugehören": Bild von einer Chanukka-Feier der Sinai-Grundschule im jüdischen Gemeindezentrum.

"Es ist im Bewusstsein nicht angekommen, dass zu München und Deutschland Juden ganz normal dazugehören": Bild von einer Chanukka-Feier der Sinai-Grundschule im jüdischen Gemeindezentrum.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Rajber erzählt auch von Kindern, die ihren Gegenspielern auf dem Fußballplatz ein "Du Judensau" entgegenschleudern. Das werde dann meist relativiert und mit den Emotionen entschuldigt. Wobei der Bayerische Fußball-Verband deutlich sensibler geworden sei; er setze sich mittlerweile vorbildlich gegen Rassismus und Antisemitismus ein. Rajber erzählt auch von Verhandlungen im Tischtennis: Sein Verein tritt aus religiösen Gründen nicht zu Spielen am Schabbat an.

Meist würden die Spiele dann verschoben, sagt er, einzelne gegnerische Vereine aber hätten einer Verschiebung nicht zugestimmt, die Spiele fielen aus. Jetzt drohte der Zwangsabstieg, Rajber wollte ihn abwenden, am Ende mit Erfolg. Doch zuvor musste er sich von einem Funktionär eines anderen Vereins anhören, sie würden "schon wieder eine Extrawurscht" einfordern: sie, die Juden. Und natürlich würden Juden ständig ungefragt mit dem Nahost-Konflikt konfrontiert. "Israel und Juden, das ist alles eins. Wir Juden müssen immer Israel verteidigen", sagt Rajber. Wobei ihm selber das nichts ausmache, er tue es gern.

Andere nehmen das nicht ohne Weiteres hin. Myriam Schippers etwa, die sich in der liberalen Münchner Gemeinde Beth Shalom engagiert, ist genervt. Sie fühle sich keineswegs eingeschüchtert, im Alltag sei sie kaum bis gar nicht mit Stereotypen konfrontiert, sie sei ja auch nicht als Jüdin erkennbar, sagt sie. Doch wenn das Gespräch zufällig darauf komme, bekomme sie geradezu reflexhaft Vorhaltungen darüber zu hören, "was ihr da treibt": ihr, die Juden. Die Vorwürfe reichten von der Behauptung, Israel sei ein Apartheid-Staat, bis hin zum Nazi-Vergleich. "Ich bin dann sofort nicht mehr Münchnerin, sondern Israelin", sagt Schippers. Mittlerweile lasse sie sich auf Debatten über Israel kaum noch ein.

Florian Gleibs hat Konsequenzen gezogen. Bis 2016 betrieb der Gastronom an der Augustenstraße eine israelische Gaststätte namens "Schmock". Doch insbesondere nach dem Gaza-Krieg 2014 berichtete er von Drohanrufen und davon, dass sein Auto, auf dem ein Davidstern prangte, zerkratzt worden sei. Und ständig mit der israelischen Politik konfrontiert zu werden, zermürbte ihn. Er war es leid, sich ständig für Israel rechtfertigen zu müssen.

Ein Zeichen gegen Judenhass

"Zusammenstehen gegen Antisemitismus!" ist das Motto einer Kundgebung am kommenden Freitag, 8. Juni, um 14.30 Uhr auf dem St.-Jakobs-Platz. Dazu aufgerufen haben Oberbürgermeister Dieter Reiter und ein breites Bündnis von Institutionen und Organisationen, unter ihnen die Arbeiterwohlfahrt, der Bayerische Flüchtlingsrat, Bellevue di Monaco, der DGB, die christlichen Kirchen, das Jüdische Museum, der Kreisjugendring, die Ludwig-Maximilians-Universität, der Verein "München ist bunt" und das Münchner Forum für Islam. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hofft auf "ein deutliches Signal" durch die Münchner: "Ich hätte nicht gedacht, dass man zulassen würde, dass Antisemitismus wieder eine ernsthafte Bedrohung für jüdische Menschen in unserem Land werden würde." Am Samstag jährt sich zudem die Zerstörung der ehemaligen Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße zum 80. Mal. Daher, so Knobloch, sei die Solidaritätsaktion am neuen Jüdischen Zentrum nicht von der Erinnerung an die Zerstörung der Hauptsynagoge zu trennen. "Dieser Gewaltakt zerstörte eines der größten und prachtvollsten jüdischen Gotteshäuser Europas und damit die Herzkammer der Münchner jüdischen Gemeinde." Heute sei München jedoch zu einem Vorreiter im Kampf gegen jede Form von Antisemitismus geworden. Mehrmals hätten die Bewohner eindrucksvolle Zeichen für eine freiheitliche, demokratische und offene Stadtgesellschaft gesetzt. bm

"Man geht ja auch nicht zum Italiener, bestellt sich Spaghetti alle vongole und erklärt dann dem Wirt, dass Italien vielleicht bald eine faschistische Regierung haben wird", sagt Gleibs. Bei Israel hielten viele aber ein solches Verhalten offenbar für normal. Am Ende sperrte er das "Schmock" zu, eröffnete stattdessen ein laotisches Restaurant. "Jetzt biete ich keine Angriffsfläche mehr", sagt er. In zwei weiteren Restaurants freilich verkauft er nach wie vor ähnliche Gerichte wie zuvor im "Schmock". Der israelische Vorspeisenteller heiße aber dort "arabischer Vorspeisenteller". Und schon gebe es keine Probleme mehr.

Dabei ist der wachsende Antisemitismus in München keineswegs ein durch muslimische Flüchtlinge importiertes Problem: Die entsprechenden Straftaten 2017 etwa rechnet die Polizei samt und sonders der politisch rechts motivierten Kriminalität zu. In einem offenen Brief an Juden in Deutschland hat der Münchner Stolpersteine-Aktivist Terry Swartzberg, der in der Öffentlichkeit seit fast sechs Jahren stets eine Kippa trägt und dabei nach eigenen Angaben noch nie behelligt wurde, kürzlich gewarnt: "Lassen wir uns nicht zum Werkzeug einer anti-muslimischen Hysterie instrumentalisieren."

Doch es gibt sie auch in München: die Kundgebungsplakate, auf denen Israel zugunsten eines Palästinenserstaates von der Landkarte radiert ist; Sprüche auf einer Demonstration wie "Stop doing what Hitler did to you"; Boykottaufrufe gegen Israel; oder auch den Versuch einer angeblich linken "Friedensbewegung", sich mit dem alten Stereotyp von der "zionistischen Finanzclique" zu profilieren. Doch antisemitische Delikte hat die Münchner Polizei weder 2017 noch 2018 bei pro-palästinensischen Demonstrationen registriert. Ihren Judenhass äußerten Münchner Rechtsradikale nahezu exklusiv.

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