Vorübergehende Nutzungen:Zwischendrin und gleich vorbei

Warum nicht auch ein Frauengefängnis? Hauptsache: leer. Kreative suchen nach Immobilien, die abgerissen oder umgebaut werden sollen, um sie für einige Monate zu nutzen. Etwa als Bar. Beim Publikum kommt das gut an. Nur gibt es in München viel zu wenig Häuser, die sich dafür eignen.

Franziska Gerlach

Der Laden brummt. Wer rein will in die Rubybar, braucht mitunter Stehvermögen. Im Februar hat der Münchner Musikproduzent Mathias Modica gemeinsam mit den Gastronomen Robert Gränitz und Robinson Kuhlmann das Restaurant Santini in einen temporären Ausgeh-Ort verwandelt. In der Mitte der Bar steht ein rotes Pferd in Lebensgröße. auf das sich bisweilen junge Szenegängerinnen schwingen.

Vorübergehende Nutzungen: Noch bis Ende des Jahres ist die Rubybar in Betrieb. Dann wird das ehemalige Restaurant abgerissen, hier entsteht ein Wohnhaus.

Noch bis Ende des Jahres ist die Rubybar in Betrieb. Dann wird das ehemalige Restaurant abgerissen, hier entsteht ein Wohnhaus.

(Foto: France Hoyer/oh)

Besonders dann, wenn von den Plattentellern die Beats der DJ-Duos Marvin & Valentino oder Kill The Tills ertönen. Bis Ende des Jahres dürfen sich die Münchner noch an diesem Spektakel erfreuen, dann wird der flache Neubau gegenüber der Reichenbachbrücke abgerissen.

Die Rubybar ist ein Beispiel dafür, dass Gebäude, denen der Abriss bevorsteht, nicht brach liegen müssen. Das Konzept der sogenannten Zwischennutzung und der Charme des Vergänglichen kommen an. Offenbar strömen die Leute in Massen in Interims-Läden wie die Rubybar, um nichts zu verpassen. Doch das Angebot ist in einer teuren Stadt wie München begrenzt, weshalb manche Investoren ungern allzu lange mit neuen Projekten zögern. Egal wie beliebt ein Interimskonzept ist.

So bestand auch das Kulturprojekt Puerto Giesing im früheren Hertie-Kaufhaus an der Tegernseer Landstraße gerade einmal ein knappes Jahr - bis zum Abriss des Gebäudes Ende 2010. Die Veranstalter Zehra Spindler und Team from Hell hatten dort den Münchnern ein illustres Unterhaltungspaket aus wilden Partys und kulturellen Veranstaltungen geboten - Giesing war seinerzeit angesagt wie nie. Und das ehemalige Jugend- und Frauengefängnis am Neudeck in der Au war diesen Juli unter anderem Schauplatz für das Kunstprojekt Variété Liberté - ein viertägiges Wagnis, das vor der beklemmenden Knast-Atmosphäre mit der Fusion aus Kunst, Musik und Slam Poetry das Thema Freiheit aufgriff.

An Ideen mangelt es nicht

An Ideen, wie freie Flächen zu kulturellen Schaubühnen umgemodelt werden können, mangelt es nicht. Doch der Münchner Projektentwickler Michael Buckenmayer glaubt: "Der Markt wird eher enger werden." Zumindest seien ihm keine neuen Pläne von Interimsprojekten bekannt. Buckenmayer hatte den Machern des Puerto Giesing im vergangenen Jahr für ihr Nachfolgeprojekt, das Art Babel, ein altes Trafohäuschen in der Maxvorstadt zur Verfügung gestellt - und damit gute Erfahrungen gemacht. Einige Immobilieneigentümer hätten zwar Bedenken, dass Nachbarn von nächtlichem Lärm gestört werden könnten.

Diese Sorge teilt Buckenmayer nicht. Ein Sprecher der Patrizia Immobilien AG, mit der Puerto-Giesing-Macherin Zehra Spindler ebenfalls schon einmal über eine Zwischennutzung auf der Praterinsel verhandelt hatte, äußert sich zurückhaltender: Prinzipiell sperre man sich nicht gegen Zwischennutzungen, allerdings müsse die wirtschaftliche Grundlage gegeben sein und die Interessen im Mietumfeld müssten zueinander passen. Will heißen: Die einen sollten nicht gerade dann mit dem Feiern aufhören, wenn andere am gleichen Ort morgens zur Arbeit gehen.

Die Stadt München indes fördert derartige Projekte gerne. Vorausgesetzt, das Kulturreferat hält diese für förderungswürdig, wie dort zu erfahren ist. Kulturschaffende zahlen unter anderem nur geringe Leihgebühren für Veranstaltungstechnik und werden an die entsprechenden Genehmigungsstellen weitervermittelt. Es gibt sogar ein Büro für Zwischennutzungen. Dieses rief der Stadtrat vor knapp sechs Jahren als Anlaufstelle für potenzielle Interessenten ins Leben. Geeignete städtische Objekte werden auf der Homepage der Landeshauptstadt angeboten.

München hat zu wenig Platz

Doch derzeit liegen keine Angebote vor, München hat zu wenig Platz. Anders als zum Beispiel Leipzig, wo 35.000 Wohnungen leer stehen. Hier kümmert sich der Verein Haushalten darum, dass die Altbauten der Gründerzeit nicht verfallen, und vermittelt gezielt Zwischennutzungen. "Wächterhaus-Prinzip" heißt das, wie Katrin Weber vom Verein erklärt. Und das funktioniert so: Die Nutzer tragen lediglich die Betriebskosten, dafür bringen sie neue Geschäftsideen in die alten Räume. Sie haben auf fünf Jahre befristete Mietverträge, müssen also keine Angst haben, unvermittelt vor die Tür gesetzt zu werden, sobald ein zahlungskräftiger Interessent anklopft.

Manchmal wird aus einem Provisorium auch eine Dauerlösung, wie der so beliebte Vergleich Münchens mit Berlin zeigt. Dort hat die Zwischennutzungsagentur Coopolis die Lebensqualität im Reuterkiez im Bezirk Neukölln vorangetrieben. Der Weg zu "Läden mit belebten Schaufenstern statt runtergelassener Jalousien", wie Wiebke Rettmann von Coopolis sagt, war gut durchdacht: Erst schufen die Planer bei den Eigentümern Verständnis für die Situation der Nutzer, meist Existenzgründer mit überschaubarem Startkapital. Dann handelte das Büro flexible Mietverträge mit kurzen Laufzeiten aus. Nach einer "Phase des Experimentierens", so Rettmann, hätten mittlerweile etwa 80 Prozent der Zwischennutzer die Option der Vertragsverlängerung wahrgenommen.

Dass dies auch der Kulturstätte Import Export an der Münchner Goethestraße so gehen würde, hatten viele Kunst- und Musikinteressierte bis zuletzt gehofft. Vergeblich allerdings - Ende September läuft der Vertrag endgültig aus. Die Kulturschaffenden selbst, wie etwa Michael Schild und Tuncay Acar vom Import Export, sehen Zwischennutzungen als "Experimentierfelder", auf denen man sich bei verringerten Finanzdruck ausprobieren könne. Sie geben damit den Münchnern das, wonach sie offenbar gieren: eine Alternative zum offiziellen Kulturbetrieb.

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