Vorschlag-Hammer:Vom guten Altern junger Wilder

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Es mag sein, dass die Protagonisten des zeitgenössischen Tanzes altern. Das heißt aber nicht, dass ihre Kunst aus der Zeit fällt. Das Gegenteil lässt sich beobachten

Kolumne von Eva-Elisabeth Fischer

Der zeitgenössische Tanz kommt in die Jahre. Mit um die 40 - denn seine Geburt kann man ums Jahr 1980 datieren - stünde bald die Midlife Crisis an. Weit gefehlt, denn ohne Gebote oder stilistische Regeln entwickelt er sich, wie sein Name schon sagt, aus der jeweiligen Zeit und überwindet dabei, in alle Richtungen offen, immer wieder zeitgebundene Moden. Es sind die Protagonisten, die altern, was nicht heißt, dass ihre Kunst notgedrungen aus der Zeit fiele. Sie überdauern die Jahre als Heroen ihrer Kunst und agieren parallel zu den Jungen. Das wissen alte Hasen wie Walter Heun, weshalb er für die herbstliche Gastspielsaison von "Access to Dance" gern solche von zeitenüberdauerendem Wert, etwa aus den Niederlanden anrichtete. Heuer ist wieder Altbewährtes dran, nämlich Tanz aus Kanada. Unter dem Titel "Departures - unique dance and performance from Québec/Canada" mit sechs verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen, beginnend mit Louise Lecavalier, die 1986 als lebendes Wurfgeschoss bei Edouard Locks La La La Human Steps in "Human Sex" Furore machte. Spielort damals: die Alabamahalle. Das Tanzprogramm machte Cornelia Albrecht und legte damit den Grundstein für eine gedeihliche künstlerische Kooperation von München und Québec bis heute.

Louise ist jetzt 62 und knüpft mit atemberaubender Bühnenpräsenz an ihre besten Jahre an und damit auch an diese offiziell seit 30 Jahren bestehende Städtefreundschaft, die 2002 ihren Höhepunkt erlebte in einem finanziell bestens abgepolsterten Künstleraustausch zwischen München und der Agora de la danse in Montreal. Anlass war die Tanzbiennale Dance mit ihrem exorbitanten Kanadaschwerpunkt, kuratiert wiederum von Cornelia Albrecht, die diese fruchtbare Liaison ausgehandelt hat. Jahre später rief dann Nina Hümpel, seit 2010 künstlerische Leiterin von Dance, Québec aus als Brutstätte aufregend jungen kanadischen Tanzes.

Und nun also wartet Walter Heun mit sechs Gastspielen aus Québec an verschiedenen Spielorten auf. Eine sichere Nummer in Zeiten, da nichts sicher ist. Eröffnet wurde die Reihe just mit der vogelwilden Louise ( siehe Kurzkritik). Zu den Alten gehört Daniel Léveillé, ein, wie Lecavalier, ungemein präsenter, raumfüllender Minimalist mit seinem "Solitudes Solo" (13. u. 14.10., Muffathalle). Man ist gespannt auf die vielsprechenden Performances zweier Frauen, die hierzulande noch Nonames sind: Mélanie Demers mit ihren Frauenporträts von der Jungfrau Maria bis zu Beyoncé in "Icône Pop" (16. u. 17. 10., Schwere Reiter). Nach hartem Tobak klingt Daina Ashbees Solo "Serpentines", in dem sie die Gewalt gegen indigene Frauen anprangert (19. u. 20.10., Hoch X). Den Schlusspunkt der "Departures" setzt I sabelle Van Grimde mit ihrer kritischen Installation zur Künstlichen Intelligenz, "Eve 2050" ( 5. bis 8. 11., Muffatwerk).

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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