Was guter Geschmack ist und wie der kulturelle Hase läuft, das wissen natürlich wir Feuilletonisten am besten. Jeder für sich, das gehört zur Basis-Qualifikation. So fühlen sich einige auch berufen, über den "deutschen Humor" zu urteilen, beziehungsweise über dessen Probleme und mindere Qualität. Wobei sie sich von dem bestätigt finden, was sie im Fernsehen und Internet sehen. Denn wer hat schon Zeit und Lust, in einen schnöden Kabarett-Laden oder gar zu einer Poetry-Slam-Bühne zu gehen. Leider, so sehe ich das jedenfalls, sind aber genau das die Plätze, wo man sich - und auch das nur, wenn man sie kontinuierlich und regelmäßig besucht - einen echten Überblick über Zustand und Wesen der Komik-Kultur verschaffen kann. Und so kommt es zu Debatten, in denen sich die Gemeinheit der Netz-Kommentatoren und die Feigheit von Funktionsträgern mit den Scheuklappen mancher Kultur-Päpste verbindet. Wo dann nicht einmal mehr die Grundlagen von Satire wie die Funktion des uneigentlichen Sprechens oder der Unterschied von Künstler und Rolle verstanden werden. Wo ausgerechnet die österreichische, noch dazu von der literarischen Form her in Frankreich sozialisierte Lisa Eckhardt für den "deutschen Humor" und am besten noch seinen Antisemitismus stehen soll.
Selbst ein Konsenskomiker wie Dieter Nuhr bekommt es von allen Seiten aufs Haupt, wenn er den Konsens mal ansatzweise verlässt. Man muss ja nicht alles teilen oder gut oder auch nur lustig finden, was Nuhr sagt. Aber man sollte es sich für ein Urteil im richtigen Zusammenhang ansehen, also bei einem Auftritt wie jetzt im Deutschen Museum (Sonntag, 4. Oktober, 16.30 und 20 Uhr, Montag, 5. Okt., 20 Uhr). Nuhr beendet damit die Open-Air-Saison des Flying Circus im Deutschen Museum. Auch anderswo wird es jetzt zu schattig, und keiner weiß, wie es indoor weitergehen kann oder soll. Was wieder die viel zitierten "Solo-Selbständigen" am härtesten trifft, also die Künstler, um die sich auch sonst trotz aller Sonntagsreden keiner so recht kümmert. Weil sie keine Betriebs-, sondern nur Lebenshaltungskosten und Gagen haben, und weil unter dem Primat der Ökonomie Kultur höchstens ein "weicher Standortfaktor" ist.
Relativ besser geht es noch denen, die "breit aufgestellt" sind. Wie die Brüder Cornelius Claudio und Johannes Tonio Kreusch, die nicht nur Musiker, sondern auch Festivalmacher, Produzenten und Veranstalter sind. Im August zogen sie ein famoses "Look Into The Future" in Burghausen durch, jetzt rettet Johannes Tonio das 9. Gitarrenfestival Wertingen in extrem verschlankter Form ins Ziel, mit Workshops vom 2. bis 4. und einem doppelten Doppelkonzert mit ihm selbst und dem Tango-Virtuosen Luis Borda (Samstag, 3. Oktober, 19 und 20.30 Uhr). Und auch das 3. Classical & Beyond Festival bei den von ihnen geleiteten Ottobrunner Konzerten bestreiten die Kreuschs einfach selber und stellen zu Live-Filmprojektionen von Christopher Link ihre neuen Solo-Alben vor. Das sind zwei Literaturvertonungen, einmal Johannes Tonios "Siddharta" nach Hermann Hesse, zum anderen Cornelius Claudios "Zauberberg", inspiriert von Thomas Mann (Samstag, 10. Oktober, 20 Uhr).