Vorschlag-Hammer:Alles im Eimerchen

Vielleicht gibt es eine nicht wirklich erforschte anthropologische Prägung, die den Menschen zum Gefäß hinzieht. Zumindest wirkt so manches merkwürdig hypnotisch, was dazu da ist, befüllt zu werden

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Um meinen unausgesprochenen Wunsch, ein besserer Mensch zu werden, zu unterstützen, möglicherweise auch, um die Orangenschalen-Sammlung in der Küche nicht eskalieren zu lassen, schenkte mir meine Frau ein Komposteimerchen. Das Füllen des Eimerchens mit feinstem Biomüll füllt wiederum mich seither mit allerfeinster Zufriedenheit. Ein Tag, der damit beginnt, das Eimerchen an seinem Henkelchen die Treppe hinunter zu tragen, verspricht, ein guter zu werden. Als ich in der Sammlung Afrikanischer Keramik von Herzog Franz von Bayern stand, kam mir der Gedanke, dass die Ursache für das gute Gefühl möglicherweise nicht des Planeten Rettung ist, sondern eine nicht wirklich erforschte anthropologische Prägung, die den Menschen zum Gefäß hinzieht, bis er selbst in ihm verschwindet. Merkwürdig hypnotisch ist in der Pinakothek der Moderne die Reihe, die vom Trinkgefäß über den Kornspeicher zum Aufbewahrungsort für Ahnen führt.

Auf diesen Gedanken schwang ich weiter, als ich, schon im Obergeschoss, an Anselm Kiefers großem Werk "Der Sand aus den Urnen" vorbeilief, das mit den Verweis auf Celans Gedichtzyklus das Kunstlebensspiel von Werden und Vergehen auf eine höhere Bewusstseinsebene hebt. Vielleicht spiegelt sich ja auch nur des Menschen Bewusstsein im Gefäß, so wie es John Baldessari erkannt hat, der das, was in seinem Kopf ist oder sein sollte, exemplarisch anhand diverser Fotos mit Beschriftung in Ordnung bringt. Irgendwo in seinem Kopfgefäß war auch Raum dafür, einer Topfpflanze das Alphabet beizubringen und daraus ein Video zu machen - zu sehen in der Pinakothek - das so länglich wie irrsinnig komisch ist.

Da sind wir heißt der neue, in Übersetzung bei dtv erschienene Roman von Graham Swift, der auf eigenwillige Art sehr unaufgeregt vom Dreiecksverhältnis eines Zauberers, seiner Assistentin und eines Conférenciers in einem englischen Seebad in den Fünfzigern erzählt. Unausweichlich dabei die Frage, ob der Mensch wirklich nicht aus dem Gefäß seines Ichs heraus kann, was passiert, wenn er die Grenzen überschreitet, und ob nicht unser Leben soviel Illusion ist wie ein Zaubertrick Realität. Ob Gefäßwand oder Persönlichkeitsstruktur, beides stiftet Sinn. Und beides ist Konstrukt. So wie die Idee von Nation, die George Orwell in seinem ebenfalls bei dtv erschienenen Essay Über Nationalismus zergliedert. Der Fachschriftsteller für diktatorische Umtriebe zerlegt hier im Kern eine Art des - nur unter Vorbehalt so zu nennenden - Denkens, das sich rein aus negativer Abgrenzung speist und im Bewusstsein, "einer Sache zu dienen", kein Problem damit hat, selbst die größten moralischen Schweinereien zu begehen. Unangenehm an der Aktualität dieses Textes ist, dass er zeigt, wie entwicklungsresistent diese Ungeisteshaltung ist. Locker geschlagen in Sympathiepunkten wird das faule Konzept des Nationalismus vom Konzept eines Komposteimerchens, dem die ständige Erneuerung innewohnt. So wie den Sternen. Nein, diese Kolumne endet nicht im esoterischen Nirwana, sondern bei Frank Spilkers Band, die am Mittwoch, 11. März, im Ampere spielt. Spilker hat das alte Gefäß des Bandnamens mit neuen Musikern gefüllt. Schon funkelt der Sound wieder, fast wie neu.

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