Vorschau:Ort der Nähe und des Aufbruchs

Womit die Philharmoniker das Areal bespielen werden

Von Egbert Tholl

Man hat den Eindruck, die Münchner Philharmoniker haben nur auf das Ausweichquartier gewartet, um in alle Richtungen explodieren zu können. Matthias Ambrosius vom Orchestervorstand berichtet, die Musikerinnen und Musiker hätten einen Ideen-Katalog erarbeitet, von dem in der ersten Saison nur ein Bruchteil umgesetzt werden könne, so umfangreich sei er. Dabei wird ungeheuer viel passieren. In Sendling.

Das Orchester giere nach der Nähe zum Publikum, eh klar, aber hier bekommt das Erfüllen dieser Gier neue Dimensionen. Ähnlich wie 2019, als die Philharmoniker an einem Tag ganz Haidhausen bespielten, in Werkstätten, Geschäften oder Kneipen musizierten, werden sie bereits Mitte Juli Sendling erkunden. Am 18. September folgt der feierliche Umzug: Zuerst wird noch in der "alten" Philharmonie gespielt, dann geht es zu Fuß zur Isarphilharmonie, vorbei an philharmonischen Klangstationen. Am 2. Oktober beginnt die Zusammenarbeit mit örtlichen Kulturstätten wie dem Bahnwärter Thiel oder der Utting, am 8. Oktober ist dann die eigentliche Eröffnung. Vermutlich schon an diesem Tag mit einer Inszenierung von Christoph Marthaler, aber was das genau sein wird, werden die Mitwirkenden selbst erst zwei Wochen zuvor wissen. Und dann beginnt an diesem Tag auch der "normale" Konzertbetrieb: Valery Gergiev dirigiert Strauss und Strawinsky, Stücke von Henri Dutilleux und Olga Neuwirth, Uraufführungen von Thierry Escaich und Rodion Shchedrin und beginnt mit Daniil Trifonov dessen Zyklus aller fünf Beethoven-Klavierkonzerte.

Die zehntägige Eröffnung von 8. Oktober an sei ein Festival, sagt Intendant Paul Müller. Eines von mehreren - in der ersten Sendlinger Saison folgen zwei Ausgaben von MPhil-360⁰ und überhaupt ein Repertoire, das Tradition mit Innovation mit Neugier verbinden will. Das Zentrum der Vielschichtigkeit wird neben der eigentlichen Isarphilharmonie die Halle E sein. Foyer, offene Bibliothek von in der Früh bis nach dem letzten Konzert geöffnet, Bar und Konzertsaal in einem. Hier wird man nach Konzerten die Musikerinnen und Musiker zum Kennenlernen an der Bar treffen, hier finden experimentelle Konzerte und Klanginstallationen mit Live-Musik statt, entworfen etwa vom Philharmoniker in Ruhestand, Gunter Pretzel. Und von hier aus werden Kammermusikensembles der Philharmoniker ausströmen, um das ganze Gelände zu bespielen.

Kulturreferent Anton Biebl birst vor Stolz, berechtigterweise, betont, wie viel die Stadt mit Gasteigsanierung, HP8 und Volkstheater in die Kultur investiere, sieht das Areal als Kulturquartier aller Sparten und vieler Institutionen und betont, wie dezidiert man die Nähe zur Nachbarschaft suche. Diese bestand ja die vielen vergangenen Monate nur digital, 500 000 Menschen sahen die 23 Philharmoniker-Streams. Paul Müller dehnt die Nähe aus: Man plane zwei Asientourneen (falls die möglich sind), Residenzen in der Elphi und in Paris - frei nach dem Motto, in Sendling daheim, in der Welt zu Hause. Matthias Ambrosius weiß zwar derzeit noch nicht, wie sich alle Projekte und Formate mit der natürlichen Belastungsgrenze der Musikerinnen und Musiker vereinbaren lassen, aber das werde sich schon von allein zeigen; erst einmal wolle man alles hinkriegen. Die Aufbruchseuphorie im Orchester ist ganz offenbar enorm. Valery Gergiev: "It will be magnificent."

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