Vorbilder:Diese Beispiele zeigen, dass Seilbahnen in der Stadt funktionieren

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In der bolivianischen Hauptstadt La Paz entsteht das größte urbane Seilbahnnetz der Welt. (Foto: Picasa; Bearbeitung SZ)

Am Frankfurter Ring könnten bald Gondeln schweben. Doch wie sehen die Städte aus, in denen man sich bereits so fortbewegen kann?

Von Johanna Pfund, München

Eine Seilbahn befördert Touristen auf den Berg. Bestenfalls noch bringt sie Besucher zu einer Gartenschau. Punkt. So jedenfalls sieht man die Sache in Deutschland. Weltweit hingegen hat die Seilbahn ihren Siegeszug als günstiges, emissionsarmes und schnelles urbanes Transportmittel schon lange begonnen. Aus guten Gründen.

Vor allem Südamerika hat Seilbahnen als Lösung innerstädtischer Verkehrsprobleme entdeckt. In der bolivianischen Metropole La Paz, die gemeinsam mit El Alto zwei Millionen Einwohner zählt, entsteht derzeit das größte urbane Seilbahnnetz der Welt. Wenn es fertig ist, sollen elf Linien mit einer Länge von knapp 22 Kilometern bis zu 100 000 Passagiere pro Stunde befördern. Vier Linien sind schon in Betrieb, und sie werden gut genutzt. Die Vorteile liegen für die Bolivianer auf der Hand: weniger Verkehr auf den Straßen, weniger Staus, mehr Lebenszeit. Bis zu 16 Tage pro Jahr gewinne ein Seilbahnnutzer, haben die Verantwortlichen vorgerechnet, und zwar einzig und allein deshalb, weil er sich nicht mehr per Auto im Schritttempo durch die Stadt quälen muss.

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In einer der einst gefährlichsten Städte der Welt, Medellín in Kolumbien, entfaltet das Seilbahnnetz offenbar auch eine enorm positive soziale Wirkung. Laut einer Studie, die 2012 im American Journal of Epidemiology erschienen ist, sank die Mordrate nach dem Bau der Bahn dort signifikant, von einst 188 pro 100 000 Einwohner und Jahr auf nur noch 30. Die These: Die sozio-ökonomische Trennung zwischen den Stadtteilen sei dank Bahn aufgehoben worden, ärmere Leute konnten besser zu ihrer Arbeitsstelle in wohlhabenden Vierteln gelangen, Geld verdienen und damit ihre eigenen Stadtteile aufwerten.

Auch Mexiko zieht nach - aus den gleichen Gründen wie La Paz und Medellín. In Ecatepec de Morelos nahe Mexiko-Stadt ist seit Herbst 2016 eine fünf Kilometer lange Seilbahn in Betrieb. Schüler sollen so sicher zum Unterricht, Arbeitnehmer pünktlich zu ihrem Job kommen. In der türkischen Hauptstadt Ankara schließt seit vier Jahren eine Seilbahn die Stadtteile Şentepe und Yenimahalle an das Metronetz der Hauptstadt an. In Europa gibt es immer wieder Gedankenspiele und Pläne, in London bringt eine Seilbahn Gäste über die Themse, und Toulouse arbeitet konkret an einem ähnlichen Projekt.

Seilbahnen müssen an das Verkehrsnetz angebunden sein

Verkehrsexperte Heiner Monheim sieht aber auch in Deutschland durchaus Potenzial für Seilbahnen. 700 Stück seien notwendig, meint er, um die größten Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen. Der emeritierte Professor und Geschäftsführer des Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation bringt die Vorteile auf den Punkt: schnelle Bauzeit, ein geringer Platzbedarf im Vergleich zu Straßen und niedrige Investitionskosten. Eine Seilbahn kostet nur ein bis zwei Drittel dessen, was man auf der gleichen Distanz für andere übliche Verkehrsmittel aufwenden muss, schätzt das österreichische Unternehmen Doppelmayr, neben der italienischen Firma Leitner ropeways Weltmarktführer in diesem Bereich.

Sinnvoll ist eine Seilbahn aber nur, wenn sie an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist, sagt Monheim. Ideal sei sie etwa, um Flüsse oder Täler zu überbrücken oder wie in Toulouse ein Viertel an der Peripherie an das Stadtzentrum anzubinden. Und noch kritisieren viele Menschen vor allem eines: das Gefühl, aus einer Gondel von oben beobachtet zu werden.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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