Vor Gericht:Die Justiz gerät im Waffenhändler-Prozess an ihre Grenzen

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Im viel zu kleinen Gerichtssaal herrschen teils chaotische Zustände. Wo ist da noch Platz für Respekt vor dem Tod von neun Menschen und dem Leid ihrer Familien?

Kommentar von Martin Bernstein

Am Münchner Landgericht geht ein Prozess in seine entscheidende Phase, der momentan vor allem eines zeigt: die Grenzen der Justiz. In dem Strafverfahren gegen den Mann, der die Waffe besorgte für die neun Morde am Olympia-Einkaufszentrum, sieht es derzeit so aus, als stünde ein Verlierer schon fest. Die Würde - die des Gerichts, vor allem aber die der Opfer und ihrer Angehörigen.

Warteschlangen vor einem heillos überfüllten, weil viel zu klein gewählten Gerichtssaal, Nebenkläger und ihre Anwälte, die sich wie Schulkinder in engen Tischreihen umsetzen lassen müssen, Anwälte, die sich über die Köpfe des Richters hinweg der Beleidigung bezichtigen, Beifallsbekundungen und Zwischenrufe. Wo ist da noch Platz für Respekt vor dem Tod von neun Menschen und dem Leid ihrer Familien?

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Von Martin Bernstein

Es war von Anfang an nicht zu erwarten gewesen, dass dies ein normaler Prozess wegen fahrlässiger Tötung und illegalen Waffenhandels würde werden können. Zu vieles stand und steht ungeklärt im Raum: die ausländerfeindliche Gesinnung des Attentäters und seines Waffenhändlers. Die Frage, was einen Amoklauf von einem Anschlag unterscheidet. Und der bisher nicht ausgeräumte Verdacht, dass der Angeklagte doch mehr geliefert haben könnte als Pistole und Munition, nämlich zumindest seine klammheimliche Freude über die Tat.

Die Familien der Getöteten wollen Gerechtigkeit. Und meinen: jemanden, gegen den sich ihre Wut und ihre Verzweiflung richten kann, der schuld ist an ihrem Leid. Der Schütze ist tot. Doch der Mann, ohne dessen Zutun die neun Opfer womöglich noch am Leben wären - er sitzt im Gerichtssaal, nur ein paar Meter entfernt.

Und er schweigt von Anfang an. Schweigt zur Tat. Schweigt zu den grässlichen Wunden, die die von ihm besorgte Waffe angerichtet hat. Schweigt zur Verzweiflung einer Mutter, die vor ihm zusammenbricht, weil sie ihren 14 Jahre alten Sohn verloren hat. Schweigen ist das gute Recht eines Angeklagten. Unerträglich ist es dennoch.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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