Vor der Olympiaentscheidung:Sieg oder stirb

Es wird gerechnet und orakelt: In Durban fällt die Entscheidung, wer die Winterspiele 2018 austragen wird. Bis zuletzt werden die IOC-Mitglieder umgarnt. Doch die Deutschen glänzen vor allem in einer Disziplin. Sich stark zu reden.

Thomas Kistner, Durban

Grau und windig war der Montag an Durbans Nordstrand. Am Dienstag sollte die Sonne aufgehen über Münchens Bewerber-Team: Franz Beckenbauer schwebte ein in der Küstenstadt, der Fußballheros, der in der Heimat als "Lichtgestalt" firmiert. Südafrikas Winterklima aber konnte auch Beckenbauer nicht ändern, der Dienstag blieb trist und zugig.

123rd IOC Session Durban 2011

München gilt mit seiner Olympiabewerbung als Favorit der Herzen. Ob die bayerische Landeshauptstadt den Zuschlag für die Spiele bekommt, ist indes ungewiss.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Es ist indes ein anderes Klima, das dem deutschen Kandidaten vor der Kür am Mittwoch Kopfschmerzen bereitet: die Großwetterlage in den Luxushotels und Kongresshallen von Durbans Strandzone. Hier sind die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) versammelt, um die Winterspielstätte 2018 zu wählen. München oder Pyeongchang - so lautet die Frage. Annecy gilt allgemein als Füllkandidat; denn mit nur zwei Interessenten hätte das IOC einen so unspektakulären Bewerb erlebt wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Jetzt werden letzte Wackelkandidaten umgarnt, es wird gerechnet und orakelt. Während München dezent auftritt, agieren Südkoreas Werber immer offensiver- sie fordern diese Winterspiele ein. Zweimal sind sie knapp gescheitert, 2003 an Vancouver mit 53:51Stimmen, 2007 an Sotschi mit 51:47. Stets lagen sie in Runde eins vorne, danach verloren sie an Boden. Auch das soll in Durban vermieden werden: Korea setzt auf die absolute Mehrheit in Runde eins.

Und sie pochen auf Zusagen. Zuletzt, 2007 in Guatemala, versprachen ihnen einige IOC-Leute gar in die Hand, Pyeongchang werde beim nächsten Anlauf definitiv siegen. Zu Hause haben sie ihr komplettes Olympia-Areal erstellt; ein drittes Scheitern würde Pyeongchang nicht mehr als sportliches Votum begreifen, heißt es drohend, sondern als grundsätzliche Zurückweisung: für Korea, für Asien. Denn von 22 Winterspielen bisher, auch das halten sie den Herren der Olympischen Ringe vor, durfte der riesige Erdteil überhaupt nur zwei austragen.

München operiert aus der Gegenposition heraus. Es hatte schon die Sommerspiele 1972, nun peilt es als erste Stadt des Globus auch das andere Event an. Und während Pyeongchang dem Wintersport "neue Horizonte" - sprich: neue Märkte - öffnen will, verheißt München ein Festival der Freundschaft. Eine emotionale Olympia-Party, die Rückkehr an die Wurzeln des Wintersports.

"Wir wollen", sagte am Dienstag Ski-Olympiasieger Markus Wasmeier in Durban, "das Vermächtnis von Lillehammer erhalten." Lillehammer, die Spiele von 1994, gelten bis heute als das letzte wirklich stimmungsvolle Winter-Event. Hier wollen sie anknüpfen. In Pyeongchang, stichelt Münchens Stratege Michael Payne, sei ja nur mit "Publikum aus einer Nation" zu rechnen. Insofern sei klar: "Das IOC muss zwischen Schwarz und Weiß wählen."

Lange galt die südkoreanische Stadt Pyeongchang als Favorit, München war schleppend gestartet. Die Winterbewerbung ist auch den Thronambitionen des IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach geschuldet, niemand bezweifelt mehr, dass der fränkische Anwalt bei der Session 2013 zur Präsidentenwahl antreten will. Diesen Plan hätte eine Sommerkandidatur mit Berlin oder Hamburg durchkreuzt, denn beim IOC-Kongress 2013 wird nicht nur Jacques Rogges Nachfolger gekürt, sondern auch der Sommerspielort 2020. Zweimal Gold auf einen Streich für Deutschland aber würde es nicht geben vom IOC, dieser globalen Sportinstitution.

München wirkte führungslos, agierte dilettantisch. Bewerberchef Willy Bogner ging bald von Bord. Widerstände in Garmisch kulminierten Anfang Mai dieses Jahres in einem Bürgerentscheid, der den frühen K.o. hätte herbeiführen können - das allerdings wurde knapp vermieden.

München - Favorit der Herzen

Bei der letzten Präsentation in Lausanne sei das Pendel umgeschwungen, sagt Kuratoriumschefin Kati Witt: "98 IOC-Mitglieder haben uns hoch konzentriert zugehört." Sogar das Branchenblatt Around the Rings (ATR) sah plötzlich die Bayern vorne, in Durban beschwört das Münchner Team jetzt einhellig ein "Momentum" - die schicksalshafte Gunst der Stunde. Redet sich der Kandidat da selbst stark? Am Montag sagte ATR-Herausgeber Ed Hula, die Spitzenbewertung für München sei "nur auf technische Aspekte" bezogen.

Die Stimmungslage in Durban signalisiert, dass das IOC vielleicht nicht so abstimmen wird, wie es das am liebsten täte. München gilt als Favorit der Herzen, aber den Ausschlag geben könnte, neben Koreas Vorgeschichte, auch die geopolitische Konstellation hinter der Kür.

Pyeongchang wird von He Kun Lee gesteuert, dem Samsung-Chef. Immerhin, die enorme Werbekraft des Konzerns springt einem schon am Flughafen Durban ins Auge. Samsung ist IOC-Topsponsor, Lee sitzt im IOC, sein Konzern sponsert die halbe Sportwelt. Zugerechnet werden ihm die Voten Afrikas und Lateinamerikas, die Lobby der Fußballer und Leichtathleten.

Und Europa? Hier lebt zwar rund die Hälfte der IOC-Leute, aber viele verfolgen eigene Pläne. Die Schweiz hat fünf IOC-Mitglieder - und eine Wintersportbewerbung für 2022 mit St. Moritz im Viser. München 2018 würde diese Pläne ebenso durchkreuzen wie die der vier Italiener im IOC, die gerne die Sommerspiele 2020 in Rom veranstalten würden. Überdies stehen Madrid und Istanbul am Start, falls der Winter 2018 an Asien geht.

So bringt Last-Minute-Werber Franz Beckenbauer Südkorea kaum aus dem Konzept. Im Olymp gilt der Münchner, der im Fußball alles gewann, eher nicht als Siegertyp. Hier ist er der Mann, der im Schatten der vergangenen Pyeongchang-Bewerbungen zweimal als Helfer für Salzburg gescheitert ist; 2003 in Prag war er sogar zur Abstimmung mitgereist. Nun soll er die Fußballer im IOC umstimmen, Weltverbandschef Sepp Blatter und Afrika-Chef Issa Hayatou. Zwei, die nicht bekannt dafür sind, klaren Sachargumenten zu folgen. Jüngst vergab ihre Fifa die WM 2022 nach Katar, wo die Sportler eine Sommerhitze von bis zu 50 Grad erwartet. Nach Durban werden zumindest die Athleten mit jeder Wahl gut leben können.

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