Süddeutsche Zeitung

Vor 60 Jahren:Die Nacht, in der die Bomber kamen

Der Beginn der Zerstörung: Am 25. April 1944 wird München von 400 englischen Flugzeugen angegriffen und in Brand gesetzt.

Von Manfred Hummel

An diesem Sonntag auf den Tag genau vor 60 Jahren, dem 25. April 1944, heulen um 0.59 Uhr die Luftschutzsirenen. Eine Minute auf- und abschwellender Ton. Fliegeralarm! Es findet an diesem Dienstag der 18. Angriff auf München statt, ausgeführt von den Engländern. Seit 1942 ist München Ziel der britischen Bomber. Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941 hat zum Abzug von Luftwaffeneinheiten geführt und die Verteidigungskräfte geschwächt.

Die Engländer haben eine neue Generation von Flugzeugen entwickelt, die bis nach Bayern fliegen können. Auch das Radar-Leitsystem wurde verbessert. Seit dem Frühjahr 1943 ergänzen die Amerikaner die meist nachts geflogenen Angriffe der Engländer durch Tagesangriffe ihrer "Fliegenden Festungen".

In seinem Buch "Fliegeralarm - Luftangriffe auf München von 1940 bis 1945" (Hugendubel,vergriffen) beschreibt Richard Bauer den strategischen Verlauf des Großangriffs: Die Alliierten täuschen einen Scheinangriff auf Karlsruhe vor, um die deutschen Nachtjäger zu binden.

Währenddessen fliegt die 5. Bomberflotte nach Südfrankreich ein. Über Annecy in den französischen Hochalpen südlich von Genf sammeln sich die Maschinen zu einem geschlossenen Bomberstrom. Die Armada überquert die neutrale Schweiz und beginnt von Tirol aus den direkten Anflug auf München.

Geglückte Täuschung

Während sich die Spitzenmaschinen des Bomberpulks bereits über dem Starnberger See befinden, sind die Nachtjäger noch über Karlsruhe im Einsatz. Sie müssen nach und nach landen, weil ihre Tanks leer sind. Der Angriff der 5. Bomberflotte läuft somit reibungslos ab wie ein Manöver, schreibt Bauer.

Die Flakdivision meldet 350 bis 400 feindliche Flugzeuge, die in Pulks von je 50 bis 70 Maschinen angreifen. Als erste Gruppe tauchen elf Mosquitos auf, drehen mehrere Runden in 5000 Meter Höhe und werfen Staniol-Streifen ab, um die deutschen Funkmessgeräte unbrauchbar zu machen und so die Flugabwehr lahm zu legen.

Mehrere Mosquitos markieren im Sturzflug das Angriffsziel Hauptbahnhof mit roten Leuchtbomben. Es folgt ein dichter Teppich von Brandbomben. Explosionswolken steigen hoch. Die ersten "Wohnblock-Knacker" detonieren, Bomben von ungeheurer Sprengkraft. Die meisten Bomber können ungehindert bis über das Zentrum der Stadt vordringen. 13 Maschinen werden von der Flak im Raum München abgeschossen, drei schlagen im Stadtgebiet auf.

Nach akribischen Zählungen der deutschen Behörden werden in dieser Nacht abgeworfen: sieben Sprengbomben mit je 2000 Kilogramm, 24 Sprengbomben zu 500 Kilogramm, 54 zu 250 Kilogramm, 844 Flüssigkeitsbrandbomben, rund 550000 Stabbrandbomben, 14160 Phosphorbrandbomben zu 14 Kilogramm, 10245 Flammstrahlbomben zu 13 Kilogramm, 459 Blitzlichtbomben, 36 Zielmarkierungsbomben und rund 2500 Flugblätter.

"Zischend, krachend und pfeifend sausten die eisernen, Verderben bringenden Bomben hernieder und streuten Phosphor, Feuer, Brand und Schrecken in die Straßen und sprengten Häuser auseinander", zitiert Bauer den Zeitzeugen und Chronisten Franz Fendt. Es ist der schwerste Luftangriff auf München seit Kriegsbeginn. Rund 136 Menschen fallen ihm zum Opfer, weitere 4185 werden verwundet, davon 500 schwer, 1876 leicht; 1809 Personen erleiden Augenverletzungen.

Das Gesicht der Stadt ist dramatisch verändert. Wertvolle geschichtliche Bauten und Baudenkmäler sind zerstört, darunter die Residenz, das Odeon, das Rokoko-Palais, die Bürgersaalkirche, die Heiliggeistkirche, die Damenstift- und die Herzogspitalkirche. Viele Wohnungen gehen verloren. 70000 Menschen werden obdachlos. Um 2.53 Uhr meldet ein einminütiger hoher Dauerton das Ende der Luftgefahr.

Die Stadt brennt. Nach Angaben der Feuerschutz-Polizei werden rund 7100 Brandstellen gemeldet. Die Peterskirche übersteht die Bombennacht zwar einigermaßen unbeschädigt und wird erst in den letzten Kriegsmonaten stark verwüstet, doch ihr Turm steht in Flammen. Zur Verstärkung werden Feuerwehren aus der Umgebung nach München beordert, darunter auch aus Starnberg.

Der letzte noch Lebende dieses Löschtrupps ist der Starnberger Druckereibesitzer Josef Jägerhuber. Damals 18 Jahre alt, ist er gerade auf Heimaturlaub. "Gegen zwei Uhr früh ertönte die Feueralarmglocke in meiner elterlichen Wohnung, worauf ich sofort zum Gerätehaus eilte." Die erste Löschgruppe ist bereits gegen Mitternacht nach München gefahren, jetzt soll Jägerhuber mit der zweiten folgen. In ihre gummierten Lederol-Mäntel gehüllt, nimmt die Mannschaft auf der offenen Magirus-Motor-Spritze Platz.

Die Nacht ist sternenklar, es ist kalt. Durch den Forstenrieder Park geht es in Richtung München. In der Einsatzzentrale in der Lindenschmidtstraße am Harras heißt es: "Fahrt sofort zum Alten Peter, denn es sollen auf höhere Anordnung hin nur mehr die historischen Bauten zu retten versucht werden."

Die Löschgruppe kämpft sich ins Stadtzentrum vor. "Eine Fahrt, die von den Kameraden unserer Löschgruppe keiner so schnell vergessen hat." Die Sonnenstraße, die Kaufingerstraße und das Gebiet um den Marienplatz sind ein einziges Flammenmeer. "Wir hatten es nur der routinierten Fahrkunst unseres Kameraden Simon Fink sowie der Vollgummi-Bereifung des alten Magirus-Wagens zu verdanken, dass wir überhaupt am Einsatzort ankamen und auch gleichzeitig eine intakte Wasserführung zustande brachten."

Und Stadtpfarrer Strittner notiert in sein Tagebuch: "Die kleine Mannschaft arbeitete mit größter Einsatzfreudigkeit, allein die herabstürzenden Balken und glühenden Eisenteile erlaubten keine zu große Annäherung an den Brandherd." Jägerhuber und ein Kamerad steigen mit einem C-Rohr hinauf in den Turm. Doch dessen Spitze ist nicht mehr zu halten. "Wir hatten das große Glück, dass wir uns noch rechtzeitig vor einem herabstürzenden Glockenstuhl in die Empore retten konnten."

Die furchtbare Frage stand vor uns allen, so Stadtpfarrer Strittner: "Wohin wird der brennende Turm sich neigen?" Um 8.45 Uhr vormittags stürzt die Turmpyramide mit einer kleinen Wendung zur Ecke am Marienplatz in die Tiefe. Die Spitze bohrt sich tief in den Boden. Der Brand im Turminneren tobt weiter.

Die einzige nach Ablieferung der Glocken noch vorhandene gotische Glocke stürzt vom Glockenstuhl, bleibt aber, auf dem Mantel liegend, zwischen Balken und Schienen eingeklemmt. "Im Freien wieder angekommen, waren wir überrascht", berichtet Jägerhuber, "dass die brennende Rosenstraße und das Rosental durch die Hitze-Entwicklung einen Feuersturm entfachte, der es uns unmöglich machte, trotz des wolkenlosen ruhigen Wetters aufrecht zu gehen; man musste sich stets einen festen Halt suchen, um nicht weggefegt zu werden." Einem Kameraden fliegt ein glühender Holzsplitter ins Auge. Er wird durch die brennende Stadt in die Augenklinik gebracht.

"Überall flammten lodernde Riesenfeuer auf und hüllten die Stadt in ein Inferno von Flammen, Rauch und Qualm; gelbe, graue, schwarze und braune Schwaden und Dämpfe wälzten sich durch die Straßen und verwehrten dem um sechs Uhr aufsteigenden Tag bis in den Mittag hinein das Licht", schildert Chronist Fendt.

Bis gegen 19 Uhr sind die Starnberger im Einsatz, dann löst sie ein Löschzug aus Weilheim ab. "Wir kamen gegen 21 Uhr völlig erschöpft und verrußt in Starnberg an und dankten unserem Schöpfer, dass wir wieder gesund diesem Inferno entkamen. Trotz der Ereignisse, die ich ein halbes Jahr später an der Ostfront im Kriegseinsatz, bei meiner Verwundung und anschließender Gefangenschaft erlebte, waren diese Stunden im Feuerwehr-Einsatz in München in meinem späteren Leben eine nachhaltige Erinnerung", berichtet Jägerhuber.

"So lang der Alte Peter..."

Der Brand im Alten Peter kann erst am darauf folgenden Samstagmorgen endgültig gelöscht werden. Der Turm ist nur noch ein ausgebrannter Stumpf. Insgesamt 73 offiziell registrierte alliierte Luftangriffe verwandeln in der Folgezeit die "Hauptstadt der Bewegung" in eine Trümmerwüste. Weit mehr als 6000 Luftkriegsopfer sind zu beklagen. Der Alte Peter, das Wahrzeichen Münchens, ist so schwer zerstört, dass sogar über seinen Abbruch nachgedacht wird.

Doch engagierte Münchner setzen sich für den Wiederaufbau ein. Spenden werden gesammelt. Auch der Bayerische Rundfunk ruft dazu auf: mit den ersten Takten des Liedes über den Alten Peter. Junge amerikanische Studenten kommen nach München und helfen beim Aufbau der zerstörten Stadt.

Ein Film des Studentenwerks München zeigt einige Szenen aus dieser Zeit. Auch unzählige Detailfotos des Architekten und Denkmalschützers Erwin Schleich sind von unschätzbarem Wert beim Wiederaufbau, erinnert sich der Stadtpfarrer von St. Peter, Herbert Kuglstatter. 1951 wird der Turm eingeweiht, zwei Jahre später die ganze Kirche.

Das Bayerische Fernsehen sendet am Samstag um 20.15 Uhr die Dokumentation "Schicksalsjahre eines Königsschlosses - Wiederaufbau der Residenz".

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