Es gibt eine hübsche Zeichnung von F. K. Waechter, die trägt den Titel "Frauenfreigehege Dingolfing". Sie stammt aus dem Jahr 1978 und nimmt, so eine mögliche Interpretation, aus der damaligen Sicht der Dinge eine Zukunft voraus, in der es keine Frauen mehr gibt, oder nur noch Restbestände, die dann zum Bestaunen auf einer Art Affenfelsen - pardon, Äffinnenfelsen - zur Betrachtung freigegeben werden.
Heute, also 38 Jahre nach F. K. Waechters bösem Strich, kämpfen die Frauen immer noch um gleiche Bezahlung, gegen sexuelle und auch weniger sexuelle Ausbeutung, mit einer Quote gar um ein paar Prozentpünktchen mehr Präsenz in den Führungsetagen. Es hat sich also nicht so arg viel geändert in diesem Zeitraum, zumindest was die Rolle der Frau in der Gesellschaft angeht.
Wenn man, was hier nun passieren soll, sich um die Zukunft des "Münchner Gefühls" zu kümmern hat, so geht es um ein paar Parameter wie "Gemütlichkeit" und "Grant" und "Bier" und "Wiesn"; aber auch um die Veränderung der Gesellschaft an sich bis zum Jahr 2050.
Wecker verbannt die Gemütlichkeit ins Heimatmuseum
Ob hierzu Kardinal Reinhard Marx Interessantes beizutragen hat? Oder Konstantin Wecker, der ein Lied schrieb über die Maderl, die "wie Äpfel ausschaugn"? Oder Innegrit Volkhardt, als Chefin des Hotels Bayerischer Hof eine der wenigen Spitzenmanagerinnen der Stadt? Das Münchner Lebensgefühl als Zukunftsspekulation bietet ein weites Feld. Aber schon die Frage, wie es dann um die Münchner Gemütlichkeit bestellt ist, zeigt: In diesem Feld liegt einiger Zündstoff. Schon deswegen, weil es mit Gerhard Jussenhoven ein Kölner Komponist war, der einer alten Traditionsmelodie die Form zur tausendfachen Wiederholung gab: "Ein Prosit der Gemütlichkeit" stammt vom Rhein, nicht von der Isar.
Nimmt man einen heute weltweit bekannten Stützpunkt dieser ganz besonderen Gemütlichkeit - nein, nicht das Oktoberfest, sondern den Chinesischen Turm -, dann klingt eine diese 1792 eröffnete Sehenswürdigkeit betreffende Prognose gar nicht so gemütlich. Konstantin Wecker, Barde und Dichter, aber auch Mahner und Warner, malt ein Bild, in dem dieser Turm der Gemütlichkeit im Jahr 2050 einer klitzekleinen Minderheit vorbehalten sein könnte: jenem einem Prozent von Deutschlands Superreichen, die dann 99 Prozent des Eigentums besitzen und sich zur Jahrestagung am Chinesischen Turm treffen, um über die neuesten Tricks zur Gewinnmaximierung zu referieren.
Wecker: "Der Rest des Volkes wird dann bestenfalls mit panem et circenses abgespeist und ruhig gehalten, was aber nur bedingt gelingt; denn immer wieder flammen Aufstände und Rebellion auf." Und des Münchners typische Attribute Grant und Gemütlichkeit? Bekommen vielleicht einen Platz im Heimatmuseum. Grant und Gemütlichkeit hängen dann möglicherweise neben Waechters "Frauenfreigehege".
Düstere Visionen von Innegrit Volkhardt
Während also Weckers düstere Ahnung dahin geht, dass es sich die Bonzen der Republik am China-Turm gemütlich machen, sieht Innegrit Volkhardt die Zukunft einer schon lange in ihrem Haus beheimateten internationalen Konferenz auch nicht viel positiver. Diese hieß einst Wehrkundetagung, dann Münchner Konferenz für Sicherheit und Ordnung und aktuell Münchner Sicherheitskonferenz. Und wenn man Innegrit Volkhardt dezent das Wort "Friedenskonferenz" nahebringen will als Synonym für den Weltenzustand im Jahr 2050, lehnt sie strikt ab und blickt dabei recht bedrückt drein: "Ich glaube nicht, dass die Zukunft eine friedlichere und der Mensch ein freundlicherer sein wird."
Sie denkt laut darüber nach, dass künftige Auseinandersetzungen auf der Welt, die dann auf der im Bayerischen Hof stattfindenden Konferenz diskutiert werden würden, allesamt aus Fremdeinflüssen resultierten; dass also, wenn man Frau Volkhardts Gedanken richtig verstanden hat, künftige Kriege - noch mehr als heute schon - Stellvertreterkriege sein würden. "Ich fürchte, da haben wir das Rennen um eine bessere Zukunft schon verloren."
Das haben alle drei Gesprächspartner zum Thema "Zukunft des Münchner Lebensgefühls" gemeinsam: dass sie sich immer wieder von der Gemütlichkeit argumentativ verabschieden, sich hinwenden zu so ungemütlichen Themen wie Stadtflucht, Pegida oder Verlust der Perspektiven.
Für Marx liegt die Zeit des Christentums vor uns
Was allerdings Gott angeht, in dessen Auftrag Kardinal Reinhard Marx aus Geseke in Nordrhein-Westfalen seit 2008 im Erzbistum München und Freising wirkt, so ist der Kirchenmann überraschend optimistisch. "Die große Zeit des Christentums liegt noch vor uns", lautet sein Mantra. Auch wenn ihn gerade die europaweite Jugendstudie mit dem Titel "Generation What?" des renommierten Sinus-Instituts überrascht hat, laut der nur ganze zwei Prozent der 18- bis 34-Jährigen religiösen Institutionen voll und ganz vertrauen.
Konstantin Wecker, obwohl von dieser Altersgruppe als 1947 Geborener weit entfernt, hat eine ähnliche Skepsis schon vor vielen Jahren zum Kirchenaustritt bewogen. Heute allerdings, angesichts des ungewöhnlichen Auftretens des derzeit amtierenden Papstes Franziskus, denkt sogar der Sänger wieder über die katholische Kirche nach und kommt zu dem Schluss, dass, sollte sich auf dem Heiligen Stuhl nach Franziskus dessen Kirchenpolitik fortsetzen, er möglicherweise wieder über den Wiedereintritt nachdenke. Macht dann aber einen Nachsatz, der den guten Willen doch eher ins Unwahrscheinliche hebt: "Wenn dann eine Frau Päpstin ist."
Etwas weniger kühn, dafür eher technischer Art sind die Spekulationen der Hotelmanagerin Volkhardt. Ja, Hotels im Segment der drei oder vier Sterne würden sehr bald schon in weiten Bereichen mit Robotern arbeiten, beim Putzen, im Service, vielleicht sogar beim Kochen sei das denkbar. Nicht nur, weil es kostengünstiger sei, mit Maschinen zu kooperieren, sondern weil man bald vielleicht die Menschen nicht mehr finde, die solche Arbeiten verrichten können. Oder wollen.