Süddeutsche Zeitung

Von München nach New York:Steine der Menschlichkeit

In der Mayer'schen Hofkunstanstalt ist gewaltiges Mosaik entstanden, das von nun an die wiedereröffnete U-Bahnstation des World Trade Centers ziert. Monatelang hat die Künstlerin Ann Hamilton mit den Münchnern daran gearbeitet

Von Susanne Hermanski

Wer die Bilder des 11. September 2001 einst gesehen hat, dem verschlug es die Sprache. Die Künstlerin Ann Hamilton baut trotzdem auf die Kraft der Worte in ihrem Werk für die neue U-Bahn-Station am einstigen World Trade Center: "Menschen", "Gerechtigkeit", "Nationen" und viele Worte mehr lässt sie da in plastischen Lettern hervortreten aus dem gewaltigen, 400 Quadratmeter großen Werk, das sie für die Bahnsteigwände geschaffen hat. Um es verwirklichen zu können, hat sie zwei Jahre lang mit den Mosaikmeistern der Mayer'schen Hofkunstanstalt in deren Münchner Werkstätten daran gearbeitet.

Abertausende Steinchen aus hellem, bruchrauem Carrara Marmor wurden dafür von Hand gelegt und zusammengefügt. Jeder einzelne Buchstabe wurde nachträglich ausgeschnitten - dabei kam erstmals eine hochtechnische Wasserstrahlschnittmethode zum Einsatz -, geschliffen und erhaben wieder eingesetzt. Von den Münchner Ateliers am Stiglmaierplatz wurden die Teile dann nach New York transportiert. Dort haben Fachleute sie schließlich zu jenem monumentalen, fest installierten, steinernen Wandteppich zusammengesetzt, an dem in Zukunft Tag für Tag Tausende Menschen vorbeilaufen werden.

Die Worte, die sie sehen können, hat Ann Hamilton Dokumenten von internationaler Bedeutung entnommen. Der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" und der "Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker" etwa. Sie hat sich auf Textpassagen konzentriert, wonach "alle Männer und Frauen gleichwertig erschaffen worden sind". Sie hat sie aufgebaut in der Form eines Kreuzworträtsels.

In Form, Farbe und dem zurückhaltenden Stil der Arbeit bezieht sich Ann Hamilton auch auf das oberirdische 9/11-Mahnmal, über dem Bahnhof, jenes schwarze Loch, das an die rund 3000 Opfer der Terroranschläge am 11. September 2001 und des Bombenanschlags von 1993 auf das World Trade Center erinnert. Zu ihrer Herangehensweise sagt sie: "Die Station ist in der Erde. Das Fundament ist der Ort, wo wir uns auf alles vorbereiten, was wir oben bauen. Was anderes sind die Dokumente, die unseren zivilen Bestrebungen zugrunde liegen, die kollektiv verfasst worden sind?"

Ausgewählt wurde Hamiltons Konzept aus einer ganzen Reihe von Bewerbern. Weil die Arbeit so "hypnotisierend und kraftvoll war und einem aufgeladenen Ort eine beruhigende Wirkung verliehen würde", sagt Sandra Bloodworth, die Leiterin des Kunst- und Designprogramms der New Yorker Transportbehörde MTA. Ann Hamilton ist seit den Achtzigerjahren für gewaltige Multimedia-Installationen bekannt. Darin hat die 62-Jährige sich häufig von Textilien wie Wandteppichen inspirieren lassen und diese meist mit Poesie im wahrsten Sinne verwoben.

Von diesem Samstag an wird ihr neues Opus für die New Yorker Öffentlichkeit sichtbar, ja lesbar sein. 17 Jahre nach dem verheerenden Anschlag, der die Zwillingstürme zum Einsturz gebracht hat. Zum Jahrestag in der nächsten Woche sollen der entsprechende Teil des Bahnhofs und das Werk offiziell eröffnet werden, in Anwesenheit von Ann Hamilton. Und mit neuen Namensschildern, die ebenfalls die Mayer'sche Hofkunstanstalt gefertigt hat: "World Trade Center".

Bis zum 11. September 2001 hieß dieser Bahnhof der Linie 1 in Lower Manhattan Cortland Street Station. Als Haltestelle zu bekannten Orten wie dem "National September 11 Memorial and Museum" wird der Station eine besondere Bedeutung zukommen.

Ann Hamilton hat schon in früheren Projekten mit der Mayer'schen Hofkunstanstalt zusammengearbeitet. So auch für eine Sonderedition, die das Familienunternehmen im vergangenen Jahr anlässlich seines 170-jährigen Bestehens herausgegeben hat. Gegründet wurde die Firma von Joseph Gabriel Mayer als "Kunstanstalt für kirchliche Arbeiten" zunächst als Bildhaueratelier. Die Glasmalerei und die Mosaikabteilung kamen später hinzu. Das Unternehmen, das von Michael und Petra Mayer in der fünften Generation geführt wird, arbeitet weltweit mit Künstlern zusammen. In den USA zum Beispiel mit Clifford Ross, dessen neun mal neun Meter große Glaswand im Gericht von Austin jüngst eingeweiht wurde.

In New York hat die Hofkunstanstalt schon mehrere U-Bahnhöfe mitgestaltet. Erst im vergangenen Jahr etwa wurde an der 42. Straße eine große Arbeit gemeinsam mit dem Künstler Vik Muniz umgesetzt. Der hatte sich 42 "Perfect Strangers" ausgedacht, die dort an der Wand warten. Sie sind nur ein kleines bisschen größer als die leibhaftigen Unbekannten - und ebenso lässig oder ungeduldig.

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SZ vom 08.09.2018
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