Süddeutsche Zeitung

Von der Nische zum Mainstream:Frei und ein grünes Gewissen

Seit 30 Jahren druckt der Oekom-Verlag ausschließlich Umweltbücher. Gegenwind ist Verleger Jacob Radloff gewohnt, denn Ökologie und Wirtschaftsinteressen prallen immer wieder aufeinander. Doch nun stand er in Bozen vor Gericht. In einer Provinzposse, bei der es um viel mehr geht als um schöne Äpfel

Von Martina Scherf

Jacob Radloff ist erleichtert. Er muss nicht noch einmal in Südtirol vor Gericht erscheinen, nur weil er ein Buch verlegt hat, das einem dortigen Provinzpolitiker nicht gefiel. Das Landesgericht Bozen erklärte am Mittwoch dieser Woche, die Ermittlungen gegen ihn würden eingestellt. "Das ist zumindest ein Teilerfolg", sagt Radloff am selben Tag in seinem Oekom-Verlag am Münchner Goetheplatz. Die Meinungsfreiheit ist also noch nicht verloren. Nur ein Teilerfolg ist es aber, weil der Prozess gegen seinen Autor Alexander Schiebel und den Agrarreferenten Karl Bär vom Umweltinstitut München weiter geht.

Eine Woche vorher stand Radloff noch auf dem Gerichtsplatz in Bozen. Es ist ein Ort mit faschistischer Architektur, unter Mussolini erbaut. "Man soll sich klein fühlen im Angesicht der hohen Säulen", dachte sich der Münchner Verleger, als er kurz stehen blieb und sich innerlich für die bevorstehende Anhörung wappnete. Aber die gezielte Einschüchterung tat bei Jacob Radloff nicht die gewünschte Wirkung. Nervös war er schon, gibt er zu, "es war ja das erste Mal, dass ich vor Gericht stand". Aber Sich-klein-machen, das widerspricht seinem Charakter.

Sein Oekom-Verlag druckt ausschließlich Umweltbücher, und das seit mehr als 30 Jahren. Kontroversen gab es immer wieder. Denn Ökologie und Wirtschaftsinteressen prallen regelmäßig mit Wucht aufeinander. Radloff ist ein kluger, redegewandter und meist fröhlicher Mensch. Er findet, dass solche Diskussionen, bleiben sie sachlich, alle Beteiligten nur weiter bringen können. Aber einen Prozess wie in Südtirol, das hat er auch er noch nie erlebt.

Hätte die ganze Sache nicht eine beträchtliche politische Tragweite, man könnte sie als Provinzposse abtun. "Einerseits ist das ja absurdes Theater, andererseits ist der Gerichtssaal aber wirklich der falsche Ort, um über diese großen Fragen zu verhandeln", sagt Radloff. Denn tatsächlich geht es um viel mehr als um ein Buch und den darin enthaltenen Vorwurf, auf Südtiroler Apfelplantagen würde zu viel Gift verspritzt. Es geht um das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Als Radloff 2017 Alexander Schiebels Buch "Das Wunder von Mals - Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet" herausbrachte, dachte er nicht im Entferntesten daran, welche Folgen dies haben würde. Der Autor und Filmemacher - sein gleichnamiger Dokumentarfilm lief auf vielen Festivals - lernte die Bewohner von Mals im Vinschgau durch Zufall kennen, die sich in einem Bürgerentscheid mit Dreiviertel-Mehrheit entschieden, ihr Dorf pestizidfrei zu machen - während die Bauern ringsum tonnenweise Gift versprühen.

Südtirol ist Europas größte Apfelplantage. Und weil die Malser sich dem System aus Massenproduktion, Umweltzerstörung und Preisdiktat widersetzten, wurden sie von der Gegenseite heftig bekämpft. Der Apotheker in Mals wurde angeklagt, weil er den Bürgerentscheid angezettelt hatte, der Bürgermeister, weil er ihn zuließ. Und schließlich der Autor Alexander Schiebel, weil er darüber schrieb. Dann kam der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und damalige stellvertretende Landeshauptmann Arnold Schuler von der SVP auch noch auf die Idee, Jacob Radloff anzuzeigen, als "Mittäter im Verbrechen der erschwerten üblen Nachrede".

"Ich nahm das erst gar nicht ernst", sagt Radloff "ich dachte, der will halt seine Muskeln spielen lassen." Bis die Vorladung nach Bozen kam. Doch am Ende lehnte die deutsche Staatsanwaltschaft Amtshilfe für die italienischen Kollegen ab. Die Ermittlungen gegen ihn wurden aus Mangel an Beweisen eingestellt. "Bei uns zählt die Meinungsfreiheit noch sehr viel", sagt Radloff lächelnd und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er wird jetzt Autor Schiebel und Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut weiter unterstützen.

Der Prozess schlägt Wellen bis nach Brüssel. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, nahm Stellung zu den zunehmenden Slapp- Klagen (Strategic Lawsuit Against Public Participation) gegen Medien, Nicht-Regierungsorganisationen und Umweltschützer. Sie nannte den Bozener Angriff gegen Oekom und das Umweltinstitut ausdrücklich als Beispiel. Es gehe den Klägern häufig darum, kritische Journalisten mürbe zu machen. Denn für Freiberufler, und das sind die meisten Dokumentarfilmer und Buchautoren, bedeutet so ein Prozess einen hohen Zeitaufwand und ein finanzielles Risiko. "Wenn das Schule macht, wirkt die Schere im Kopf früher", sagt Radloff. "Darin sehe ich eine große Gefahr." Auch Margarete Bause, Bundestagsabgeordnete der Grünen, und Sarah Wiener, Promi-Köchin und EU-Abgeordnete, forderten Schuler auf, seine Klagen zurückzuziehen.

"Für mich ist Schiebels Buch weniger ein Anprangern der Apfelbauern, sondern vielmehr eine Ermutigung, zu zeigen, dass es einen Ausweg aus der Spirale der Umweltzerstörung gibt", sagt Radloff. Er habe schon Bücher mit viel schärferer Rhetorik herausgebracht, "Die Pestizidlüge", zum Beispiel. Keiner hat dagegen geklagt. Kritische Reaktionen, ja, die kämen öfter, "aber die können uns nur voran bringen. Wir haben die Wahrheit ja nicht gepachtet."

Der Münchner ist ein positiv denkender Mensch. Er lacht gerne und viel. Und er hat das freie Denken schon sehr früh geübt. Sein Vater war Künstler und SPD-Gemeinderat im überwiegend schwarzen Feldafing am Starnberger See. "Das machte uns Kinder zu Außenseitern." Er verteilte mit dem Papa Wahlkampfbroschüren und lernte, dass man Dinge, die alle für selbstverständlich halten, in Frage stellen kann. Mit elf Jahren sammelte er Unterschriften, weil sein geliebter Schlittenberg durch eine Straße geteilt werden sollte. Er gründete den "Anti-Chemikalien-Club" und druckte den dazugehörigen ACC-Kurier. Am Tutzinger Gymnasium war er Schülersprecher, gab die Starnberger Umweltzeitung heraus - und hatte in der Oberstufe einfach keine Zeit mehr für Schule. Er ging in der elften Klasse ab und verdiente sich sein Geld als Journalist. Mit Unterstützung der Ernst-Friedrich-Schumacher-Gesellschaft, benannt nach dem Ökonomen, dessen Buch "Small is beautiful" das Leitbild der Öko-Bewegung wurde, gründete er 1987 die Zeitschrift "Politische Ökologie." Sie gehört noch heute zu seinem Verlagsprogramm.

Radloff heiratete seine Jugendfreundin, die als Hebamme arbeitet, zog mit ihr vier gemeinsame Kinder groß. Und mit seiner rhetorischen Überzeugungskraft und seinem Optimismus hat er seinen kleinen Verlag immer wieder vor dem Ruin gerettet. 75 stille Teilhaber stützen das Unternehmen, weil sie vom Konzept überzeugt sind.

Seit ein paar Jahren geht es stetig aufwärts. Aus dem Nischenthema Ökologie ist Mainstream geworden. Rund 100 Bücher hat er zuletzt pro Jahr herausgebracht, dazu elf Zeitschriften. 45 Mitarbeiter hat der Verlag. Das "Münchner Klimabuch" ist ein Klassiker, der "Plastik-Ratgeber" verkaufte sich schon mehr als 100 000 mal. Auch der "Slowfood-Genussführer" ist beliebt. Und auch wenn Oekom keine Honorare bezahlen kann wie die großen Verlagskonzerne, hat er treue Autoren und Leser.

Corona bremste den Erfolg, "aber Klima und Umweltschutz, die Themen bleiben trotz der Pandemie", sagt Radloff zuversichtlich. Sie entwarfen schon vor längerer Zeit ein Subskriptionsmodell. Autoren schlagen ein Buch vor, wenn der Verlag die Idee für gut hält, stellt er sie auf seine Homepage. Interessierte Leser können das Buch dann vorbestellen. Kommen genügend Anfragen zusammen, wird es publiziert. Eine Art Crowdfunding, von dem alle etwas haben. Im "Zukunftssalon", den sie als Verein Oekom einrichteten, fanden jede Woche Veranstaltungen statt. Politiker trafen dort auf Umweltschützer, Ingenieure auf Biobauern. "Der Perspektivwechsel ist wichtig. Es hilft nicht, wenn jeder auf seinen Positionen beharrt."

Das muss jetzt auch der Bozener Landesrat Schuler lernen. Denn die Apfelgeschichte bekommt eine Dynamik, die er sich wohl kaum gewünscht hat. Radloffs Anwälte haben beantragt, dass die Fakten auf den Tisch kommen, dass die Betriebsbücher der Apfelbauern geprüft werden. Da wird erst das ganze Ausmaß des Pestizideinsatzes klar, vermutet Radloff.

Seit Jahren zieht sich der umtriebige Unternehmer regelmäßig in ein Benediktinerkloster nach Südtirol zurück. "Dort gewinne ich Abstand zum Alltag, dort prüfe ich mich: Was mache ich, was ist wirklich wichtig?" Er fährt mit der Bahn hin, denn er hat nie einen Führerschein gemacht. Und seit Jahren beobachtet er dort, wie die Apfelbauern ihre Betonpfeiler in die Berge rammen, wie sie einen Berghang nach dem anderen einnehmen. "Die Gegend ist dafür gar nicht geeignet. Aber die Bauern sind längst Gefangene des Systems."

Weil er aber ein geborener Optimist ist, glaubt er an die Kraft der Veränderung. Und als er vor Kurzem in Bozen stand, da konnte er über dem Gericht auch den Spruch lesen, den die Gemeinde vor drei Jahren erst dort anbringen ließ: "Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen". Ein Satz der Philosophin Hannah Arendt, gesprochen im Prozess gegen den Nazi Adolf Eichmann. Wenn das keine Bestärkung ist.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2020
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