"Vom Suchen und Finden der Liebe":Alleinsein ist schrecklich: Helmut Dietl über seinen neuen Film

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Helmut Dietl wagt sich vor in die Gefilde des antiken Mythos, auf den Orpheus-Trip, der eigentlich ein Eurydike-Trip ist: Eine Frau versucht, den Mann, den sie verlassen hat, aus dem Hades zu befreien.

Interview: S.Vahabzadeh, F.Göttler

SZ: Was ist denn der Auslöser für die Geschichte, die Sie in "Vom Suchen und Finden der Liebe" erzählen? Dietl: Ich habe mich ja mit der Liebe schon länger beschäftigt ... letztlich geht es in all meinen Filmen um die Liebe. Bei diesem wusste ich lange nicht, wie ich ihn angehen sollte. Dann habe ich mich vor fünf Jahren von Veronica Ferres getrennt und meine neue Frau kennengelernt. Die Erschütterungen, die mit einer Trennung und einer neuen Liebe verbunden sind, düngten also sozusagen den Boden meiner Seele. Meine Frau hat mir dann diese Orpheus-Arie von Gluck vorgespielt, die auch im Film vorkommt und die ich damals nicht kannte, obwohl mich der Orpheus-Mythos früher schon beschäftigt hat - und plötzlich passte alles zusammen. In meinen Vorstellungen war es übrigens immer so, dass die Frau den Mann zurückholt, und nicht umgekehrt, daraus könnte ein Therapeut wahrscheinlich Rückschlüsse ziehen. Wenn ich eine Orpheus-Geschichte erzähle, muss der Held also tot sein; und ich dachte mir, in diesem Zusammenhang kann er sich nur aus Liebeskummer umgebracht haben. Also sagte ich zu Patrick Süskind: Kann man einen Film machen, in dem sich die Hauptfigur nach einer halben Stunde umbringt? Und Patrick sagte: Nein, das kann man nicht. Aber es wäre hochinteressant, es zu versuchen.

SZ: Und dann haben Sie es mit der griechischen Mythologie verwoben. Dietl: In der ganzen griechischen Mythologie geht es ja fast nur ums ... vereinfacht gesagt: Vögeln. Die Mythologie ist, ganz handwerklich gesehen, für mich ein Transportmittel. Sich Mimis Freund Theo zwischenzeitlich als Odysseus vorzustellen, der bei Calypso strandet, war hilfreich - Calypso mochte ich schon immer, und für mich war sie nie so negativ, wie man sie gemeinhin im Mythos betrachtet. Die Figur, die Mimi in den Hades bringt - der Hermes Aphroditos mit der zweifelhaften Gnade der Zweigeschlechtigkeit gesegnet, den es ja so nicht gibt in der Mythologie - hat mir gedient, um von etwas anderem zu erzählen: von Menschen, die sich verstellen und verleugnen und verändern und nicht geliebt werden um ihrer selbst willen.

SZ: Der Umgangston, den Ihre beiden Helden Venus und Mimi miteinander pflegen in den Szenen gleich am Anfang, bevor sie sich trennen, ist ziemlich hart. Dietl: Hätte das netter sein sollen? Das war schon Absicht - alles andere wäre eine Verharmlosung. Es ist in dieser Liebesgeschichte aber von Anfang an klar: Dass Mimi Nachtigal versucht, aus der Gesangsstudentin Gretel Grieneisen die Sängerin Venus Morgenstern zu machen, ist der Liebesbeziehung eher hinderlich. Aber so bin ich auch, ich versuche auch immer, die Frauen umzubauen. Eine professionelle Deformation.

SZ: Sie haben es ja faszinierenderweise geschafft, auch Moritz Bleibtreu, der die suizidale Hauptfigur spielt, irgendwie so aussehen zu lassen wie Ihr Alter Ego. Ist es nicht sehr merkwürdig, über eine auf sich selbst bezogene Figur zu schreiben, die sich umgebracht hat? Dietl: Um den komme ich anscheinend nie herum, um diesen Selbstbezug. Aber um ein paar berühmte Kollegen als Beispiel zu bemühen: Fellini hatte seinen Mastroianni, Truffaut seinen Léaud und Woody Allen sich selbst. Das ist in der Kunst normal, auch in der Literatur. In all meinen Stücken sind die Figuren mein Alter Ego, sogar in "Schtonk" - wo es keiner gemerkt hat: den Fälscher und den Journalisten, die habe ich zu zwei Seiten meiner eigenen Person gemacht, sonst hätte ich sie gar nicht behandeln können. Was den Mimi angeht, der Tod einer solchen Figur quält einen doch - es lebt sich nicht sehr angenehm damit, dass man quasi selbst in einer Figur gestorben ist. Das macht Angst. Man fragt sich, ob es nicht sehr frivol ist - und ob es einem nicht, über den Weg der Abbildung, demnächst selber widerfährt. Aber das ist alles ganz am Anfang des Schreibens. Es nimmt dann eine Eigendynamik an. Diese Figuren sind nicht mehr ich, die Frauen sind nicht mehr bestimmte Frauen, sie setzen sich zusammen. Alle haben mit mir tun - Mimi, den Bleibtreu spielt, die Venus, die Alexandra Maria Lara spielt, Uwe Ochsenknechts Theo und Heino Ferchs Hermes Aphroditos. Das bin alles ich. Man spaltet sich auf, wie in einem Spiegelkabinett, in dem man sich endlos weiterreflektiert.

SZ: Dann müssten Sie bei jeder Figur leiden, die in Ihren Drehbüchern stirbt. Dietl: Naja, nicht ganz. Aber man muss selbst glauben können: Diese Figur bringt sich jetzt um. Im Übrigen glaubt er, es ist vorbei, aber in Wirklichkeit ist gar nichts vorbei. Das glaube ich selber auch nicht, dass im Tod Ruhe herrscht - ich glaube, dass es nach dem Tod sehr unerfreulich wird, es gibt keinen ewigen Frieden.

SZ: Gemessen daran ist Ihr Bild vom Hades ja geradezu idyllisch ... Dietl: Ich habe versucht, es mir schönzureden!

SZ: In diesen unendlich weiten Hades-Räumen allein zu sein, ist aber, bei aller Schönheit, trotzdem grauenvoll. Dietl: Ich glaube, in einer großen Altbauwohnung allein zu sein, ist genauso schrecklich. Alleinsein ist schrecklich.

SZ: Die hypermoderne Wohnung, die Sie dem anderen Paar, Theo und seiner Frau Helena, eingerichtet haben, ist aber auch zum Fürchten, vor allem im Gegensatz zu dem holzgetäfelten Schlafzimmer von Theo ... Man rühmt ja meistens vor allem die Dialoge, den Sprachwitz in den Dietl-Werken - dabei leben diese Filme auch sehr von der Ausstattung, den Kostümen, der Inszenierung. Dietl: Daran haben wir lange herumgebastelt - und es ist wird immer schwieriger, im Kinobereich in Deutschland Leute zu finden, die diese Arbeit beherrschen. Mit dem, was Anke Engelke da in ihrer Rolle als Helena macht, bin ich sehr glücklich - mit dieser Traurigkeit, dieser Verzweiflung. Helena steckt in einem Verhaltenskorsett - und da kommt sie nicht mehr raus. Deswegen sind Beziehungen oft so verfahren, weil Leute sich oft lieber in die Tasche lügen, statt sich offen zu dem zu bekennen, was sie möchten und brauchen. Wir sind Gefangene, so hätte ich den Film auch nennen können. Es ging mir darum, wie man sich wiederfinden kann, wenn man einander schon verloren hat, und nicht um eine klassische Boy-Meets-Girl-Geschichte. Ich berufe mich ungern auf die Realität, aber es gibt jede Menge Beziehungen mit hoher Streitkultur, und die Leute kommen doch nicht voneinander los. Die Sache mit der Liebe ist halt ein großes Rätsel. Und auch noch jedesmal ein anderes.

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