Volkstheater:Menschliches Versagen

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Geschichten über Schuld und Angst, Trauer und Zuversicht: Katalin Zsigmondy als Ella in Dea Lohers Stück "Unschuld", das am Volkstheater Premiere hat. (Foto: Gabriela Neeb)

Das Volkstheater eröffnet die neue Spielzeit mit einem Stück der Traunsteiner Dramatikerin Dea Loher. In "Unschuld" werden 19 kleine Geschichten über Schuld und Reue erzählt.

Von Karen Bauer

Fadoul und Elisio, zwei illegale Immigranten, beobachten, wie eine Frau ins Meer geht. Aus Sorge, entdeckt zu werden, greifen sie nicht ein, schauen zu wie die Frau ertrinkt. 2003 wurde Dea Lohers Stück "Unschuld" am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt. Doch die Anfangsszene ist heute aktueller denn je, aufgeladen durch die Bilder der übervoll mit Menschen beladenen Flüchtlingsboote, die regelmäßig im Mittelmeer versinken. Die unterlassene Hilfe von Fadoul und Elisio erinnert schmerzlich an das Wegschauen Europas und die eigene Schuld. Mit dieser so nachdenklich stimmenden Szene eröffnet nun das Volkstheater die neue Spielzeit.

Das Stück inszeniert Lilja Rupprecht, die bereits bei der Uraufführung in Hamburg als Regieassistentin mitarbeitete und voriges Jahr bei "Caligula" am Volkstheater Regie führte. Frei von Schuld ist eigentlich niemand in Lohers "Unschuld": Da ist der Bestatter Franz, der vor lauter Kümmern um die Toten keine Zeit und Energie findet, mit seiner Frau Rosa das erwünschte Kind zu zeugen. Die zuckerkranke Frau Zucker, Mutter von Rosa, zieht bei dem Paar ein, gibt die Verantwortung für sich an die Jungen ab und wird zur Last. Und dann ist da noch Absolut, die blinde Stripperin, die im Club "Blauer Planet" von den Blicken der Männer lebt. Sie sagt: "Nur das Gewissen macht uns schuldig" - und entschuldet damit die anderen.

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19 Geschichten hat die aus Traunstein stammende Autorin Dea Loher in ihrem Stück zu einem Reigen verwoben. Ihre Figuren suchen nach dem Sinn des Lebens, fragen nach der Existenz Gottes - abstrakte Diskurse, die Loher anhand von Bildern und Dialogen anschaulich erzählt. Bei aller Nachdenklichkeit ist das Stück durchaus humorvoll, wenn etwa Frau Zucker, mit dem Phantomschmerz in ihrem abgestorbenen Bein spricht.

Die Regisseurin Lilja Rupprecht hat nun am Volkstheater die Handlung in eine U-Bahn-Station verlegt. Die einzelnen Episoden verlaufen dort zunächst parallel. Dann kreuzen sich die Wege nur vermeintlich zufällig - Lohers Stück ist bis ins Detail komponiert. Musikalisch untermalt wird die Inszenierung vom ruhigen Instrumental-Sound des Berliner Musikers Romain Frequency. "Unschuld" verhandelt die Themen Schuld und Reue auf menschelnde Weise. Gefragt nach seinen Wünschen für die Zukunft antwortet etwa Fadoul: Rettungsschwimmer sein.

© SZ Extra vom22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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