Neuer Regionalkrimi:Fast wie im richtigen Lehm

Neuer Regionalkrimi: Schatzsuche im Lehm: Volker Klüpfel und Michael Kobr (von links) bei den Ausgrabungen in Pforzen.

Schatzsuche im Lehm: Volker Klüpfel und Michael Kobr (von links) bei den Ausgrabungen in Pforzen.

(Foto: Hans Scherhaufer)

Das Autoren-Duo Volker Klüpfel und Michael Kobr hat für den zwölften Kluftinger-Krimi akribisch recherchiert. Tatort ist die Tongrube Hammerschmiede bei Pforzen, Fundort des aufrecht gehenden Menschenaffen "Udo". Ein Ortstermin.

Von Sabine Reithmaier, Pforzen

"Wir möchten betonen, hier gibt es nichts zu sehen." Klingt erstmal seltsam, der groß geschriebene Satz am Eingang der Tongrube Hammerschmiede in Pforzen (Ostallgäu). Aber die Aussage trifft tatsächlich zu. Von "Udo" Danuvius guggenmosi, dem elfeinhalb Millionen Jahre alten, aufrecht gehenden Menschenaffen oder einer anderen der 134 hier entdeckten Wirbeltierarten ist nichts zu sehen, nicht der kleinste Knochen. Stattdessen stapfen Journalisten gemeinsam mit dem Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr durch klebrigen Lehm, jeder Schritt schmatzt. Zeit genug, um an das Mordopfer im neuen Kluftinger-Krimi zu denken, das in dem grauen Schlamm stecken bleibt, der Bagger hat ein leichtes Spiel. Das wirkt plötzlich gar nicht mehr übertrieben.

Geredet wird bei dem Ortstermin in der Grube aber dann nicht über den Mord, sondern fast ausschließlich über die Arbeit der Paläontologen dort. Nicht nur der Allgäuer Kultkommissar findet sie so faszinierend, dass er am liebsten sofort mit graben möchte. Ähnlich erging es den beiden Autoren, als sie das erste Mal vor Ort waren. Gerade als sie sich von Grabungsleiter Thomas Lechner alles erklären ließen, brachte eine Studentin ein eben zu Tage gefördertes "undefinierbares Teil". "Der warf nur einen kurzen Blick darauf, sagte dann, das ist der dritte Halswirbel einer Säbelzahnkatze", erzählt Michael Kobr. Klar, dass sich diese Szene ganz ähnlich im Krimi wiederfindet.

"Lechners Begeisterung und sein Pioniergeist haben uns sofort gepackt", sagt Kobr. Denn der junge Wirbeltier-Paläontologe der Universität Tübingen, der hier 2015 als Masterstudent startete, kennt nicht nur jeden Knochen. Er ist auch ein fantastischer Erzähler, der die öde grau-braune Grube mühelos in eine weite, grüne Landschaft mit Wäldern, Flüssen und Bächen, aber auch Steppenzonen verwandelt. Die Palette der hier nachgewiesenen Tierarten reicht von der Spitzmaus über den 1,20 Meter großen Riesensalamander hin zu Münchner Waldantilopen, Nashörnern, Elefanten, Urhirschen oder Hirschferkeln - "sieht so ähnlich wie ein Reh aus" (Lechner). Acht verschiedene Schildkrötenarten haben die Forscher entdeckt, jede Menge Schlangen und Vögel, beispielsweise einen der größten Kraniche der Welt oder den Schlangenhalsvogel, sonst nur in subtropischen Zonen heimisch. Und natürlich Udo, den Lechners Chefin, die Tübinger Paläontologin Madelaine Böhme, vor drei Jahren der Öffentlichkeit präsentierte. Eine Weltsensation, weil dessen Knochenbau eine aufrechte Gangart vermuten ließ, was die bisherigen Annahmen zur Entwicklung des aufrechten Gangs infragestellte.

Als ein Schlüsselmerkmal für Zweibeinigkeit gilt die physiologische X-Stellung der Beine

Weil der Tag, an dem Böhme die Bedeutung des Funds bewusst wurde, genau mit dem 70. Geburtstag des Musikers Udo Lindenberg im Jahr 2016 zusammenfiel, erhielt der Primat den Spitznamen Udo. 37 Knochen - "vielleicht sind es auch schon 40" (Lechner) - haben die Wissenschaftler bisher gefunden, nicht alle stammen von Udo, manche sind auch von zwei weiblichen Affen und einem Jungtier. Als ein Schlüsselmerkmal für die Zweibeinigkeit gilt die physiologische X-Stellung der Beine, einzigartig in der Menschenaffengruppe. Ein enormer Fortschritt in der Außenwahrnehmung der Allgäuer, findet Volker Klüpfel. "Wir werden nicht mehr als O-Beiner beschimpft, sondern jetzt sind wir X-Beiner." Ob freilich Michael Kobr die Ansicht des Kollegen teilt, die optische Verbindung zum Uraffen zeige sich stärker bei ihm als bei Klüpfel, bleibt offen.

Beeindruckend auf jeden Fall, wie akribisch die beiden Autoren recherchiert haben und wie gekonnt und locker sie alles zu einer ebenso spannenden wie amüsanten Geschichte verknüpfen. Kluftinger und sein Team vergießen in der "Affenhitze", so der Krimititel, jede Menge Schweißtropfen, bevor sie den Täter fassen. Verdächtige gibt es viele, schließlich sind sich, zumindest in der Fiktion, die Wissenschaftler untereinander nicht besonders wohlgesonnen. Und dann ist da auch noch eine obskure Kommune, der der Lehmabbau ein Dorn im Auge ist.

Neuer Regionalkrimi: Volker Klüpfel und Michael Kobr im Gespräch mit Ausgrabungsleiter Thomas Lechner (links).

Volker Klüpfel und Michael Kobr im Gespräch mit Ausgrabungsleiter Thomas Lechner (links).

(Foto: Sabine Reithmaier)

Sogar die "Rosie" haben Klüpfel und Kobr im Buch untergebracht, das Rotationssieb, das Thomas Lechner, angeregt durch die Goldgräber in Alaska, aus einer alten Heizungsanlage, einem Scheibenwischermotor, Feuerwehrschläuchen, einer Motorradkette, einer Autobatterie und Solarpaneelen zusammengebastelt hat. 2020 tauchten darin sogar zwei Zähne von Udo auf. Meist werde aber mit Ausbeinmessern und Skalpellen gearbeitet, sagt Lechner. 60 bis 70 Kubikmeter Material bewegt das Team in Millimeterarbeit jährlich, ungefähr 3500 Funde fallen an.

In der Hammerschmiede können - das spielt im Krimi eine große Rolle - Hobby-Paläontologen mitarbeiten, natürlich erst nach Anmeldung und Absprache. Einfach so kommen geht nicht, schließlich baut der Betreiber der Grube den Lehm dort wirtschaftlich ab. Anders als im Buch, in dem das Autoren-Duo der Dramaturgie zuliebe manche Feindschaft erfunden hat, kommen die Paläontologen mit der Abbaufirma gut zurecht. "Ohne den Tonabbau gäbe es überhaupt keine Grabungen", sagt Lechner, während Torsten Stöckle, zweiter Bürgermeister von Pforzen und Gründer des Fördervereins "Udo", versichert, die Gemeinde täte alles, um der Firma ein gefahrloses Arbeiten zu ermöglichen und die Besucherströme von der Grube fernzuhalten.

Ansonsten sei sein Ort noch nicht zu 100 Prozent auf dem Udo-Trip, sagt er. Manche könnten mit den elfeinhalb Millionen Jahre alten Knochen einfach nichts anfangen. "Aber dass der legendäre Kommissar Kluftinger hier ermittelt, hätten wir uns vor drei Jahren noch nicht träumen lassen." Demnächst eröffnet auch ein "Udo-Wanderweg"; Besucher-Pavillon und Plattform sind geplant. Dann kann man von oben den Grabungen zusehen. Später soll ein Besucherzentrum folgen, eine Machbarkeitsstudie gab es bereits, die Suche nach einem Betreiber läuft. Der Ministerpräsident war übrigens auch schon da. In der Wirklichkeit und im Krimi, dort fühlt sich Kluftinger, Interims-Polizeipräsident, angesichts des huldvollen Landeschefs "wie ein Firmling vor dem Weibischof".

Im Sommer beginnen die Grabungen wieder. Sechs bis acht Wochen sind die Wissenschaftler dann vor Ort. Lechner hofft, noch ein Sprung- oder ein Fersenbein von Udo zu finden. Den Krimi findet er übrigens super. Endlich sei die Paläontologie mal so spannend dargestellt, wie sie für ihn in Wirklichkeit ist.

Volker Klüpfel / Michael Kobr: Affenhitze. Kluftingers neuer Fall. Ullstein Verlag. Lesungstermine unter www.kluepfel-kobr.de/termine.html

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