Süddeutsche Zeitung

Jubiläum und Abschied:Lautes Servus

Warum "Vokal Total", das größte A-Cappella-Festival Deutschlands, ausgerechnet nach seinem Jubiläumsjahr zum 25-jährigen Bestehen verstummt.

Von Oliver Hochkeppel, München

Ob es das alte Sprichwort "Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören" trifft, ist eher fraglich. Auch bei "Vokal total", Deutschlands größtem A-Cappella-Festival, war alles schon einmal größer, problemloser und von den Rahmenbedingungen her freudvoller. Doch Tatsache ist: Die 25. Ausgabe, die an diesem Freitag startet, wird die letzte ihrer Art sein. Denn das Festival geht mitsamt seiner Gründerin und Organisatorin Romy Schmidt in Rente.

Irgendwie logisch, ist das Ganze doch als Seitenstrang der eigentlichen Arbeit von Romy Schmidt entstanden. Die Leipzigerin, die dort lange eine Galerie leitete und noch vor der Wende in die Bundesrepublik übersiedelte, fing 1992 als Kulturpädagogin beim Kreisjugendring der Landeshauptstadt München im Fürstenrieder Freizeitzentrum Intermezzo an. In dem Haus an der Graubündener Straße befand sich bereits das Ur-Backstage, und daraus ging nun noch 1992 - damit auch ein Jubiläumsfall - als sogenannter Kulturschwerpunkt das "Spectaculum Mundi" hervor. Eher eine Experimentierbühne für die Zusammenarbeit mit den Schulen und Jugendeinrichtungen war das zunächst, und Romy Schmidt schaute sich um, was man für ein junges Publikum sonst noch so machen könnte. Schultheater, Musicals und das noch junge Genre des Improtheaters hielten Einzug, Helmut Schleich und Gabi Rothmüller gaben Kabarettseminare, Michael Mittermeier trat vor zehn Leuten auf. Aus der damals aufkommenden Welle der Mittelalter-Popmusik leitete Schmidt 1995 das Festival "Musica antiqua viva" ab. Und im selben Jahr sah sie vor vielleicht 80 Zuschauern im Feierwerk ein paar Jungs, die ganz ohne Instrumente auskamen: The Buddhas aus Hamburg.

Das so entdeckte A-Cappella-Genre faszinierte Schmidt, schon im folgenden Jahr holte sie die Buddhas für zwei Tage ins Spectaculum Mundi. Und im Jahr darauf stellte sie rund um die Truppe ein kleines Festival auf die Beine: "Vokal total" war geboren. Aller Anfang war schwer, mit selbst gemalten Plakaten, Flyern aus gebrauchten Tapeten, Konzerten vor einer Handvoll Besuchern und allem, was sonst so zu einem Neustart dazugehört. Doch erstaunlich schnell wurde die aus der Jugendarbeit geborene Idee ein Kulminationspunkt der Szene, und aus "Vokal total" Deutschlands größtes A-Cappella-Festival. Auch weil einige der Bands zusammen mit dem Festival kometenhaft aufstiegen, von Viva Voce über Six Pack bis zu Die Feisten. Vor allem aber die Kölner Wise Guys, deren Fangemeinde so wuchs, dass sich Romy Schmidt ab 2003 traute, auch in große Säle wie die Muffathalle, die Tonhalle, die Alte Kongresshalle oder sogar ins Zenith zu gehen.

Eine richtige Familie ist so entstanden, mit Romy Schmidt und ihren zwei getreuen Mitstreitern von Anfang an im Zentrum, den für die Technik zuständigen Stefan Sendsitzky und Michael Herzsprung, der sich um die Bar kümmert. Und mit einer treuen Anhängerschar und den vielen immer wieder auf dem Festival auftretenden Gruppen. "Für viele sind wir eine Art zweites Wohnzimmer geworden", sagt Schmidt. Und der Erfolg der Zugnummern verschaffte ihr die Möglichkeit, auch unbekannte neue Bands zu holen. Nicht zuletzt ist der Boom der Münchner A-Cappella-Gruppen in den vergangenen Jahren sicher auch ein Verdienst von "Vokal total".

Das soll natürlich nach der Corona-Zwangspause noch einmal gebührend gefeiert werden, zum 25-Jährigen sinnigerweise mit 25 Acts in 22 Konzerten, außer im Spectaculum Mundi jeweils drei in der Freiheitshalle und in der Alten Kongresshalle. Auch unter denen befinden sich einige Jubilare: Cash-n-go feiern ihr 20-jähriges Bestehen, Maybebop - im übrigen die einzige Band, die bei allen Vokal-total-Ausgaben dabei war - lädt mit "Best off" zum ersten Jubiläumsprogramm der aktuellen, seit 20 Jahren bestehenden Besetzung ein; und die Gesangskapelle Hermann präsentiert eine Revue zu ihrem Zehnjährigen. Sogar eine Wiedervereinigung eigens fürs Festival gibt es: Die U-Bahn-Kontrollöre in tiefgefrorenen Frauenkleidern, nach 30 Jahren "Hardcore-A-Cappella" eigentlich schon im Ruhestand, kehren für "Vokal total" noch einmal an den Ort ihrer größten Untaten zurück. Mit der Kombination aus Musikalität, Humor und einer Portion Wahnwitz, wie sie so viele A-Cappella-Gruppen auszeichnet. Zugleich mit dem Festival sagen zwei Truppen Ade: Basta nehmen mit "Eure liebsten Lieder" von ihren Getreuen Abschied. Und auch Die Füenf befinden sich auf ihrer letzten Tour - 2023 ist "Schluss mit lustig". Ein letztes Mal gibt es am 9. Oktober auch wieder das Erfolgsformat "Chöre wie wir" mit den Großformationen SoulFood Delight, Munich Show Chorus und OstBahnGroove.

Und mit all dem soll nun endgültig Schluss sein? Nun, nicht ganz. "Ich mache noch ein bisschen im Kleinen und für mich weiter", sagt Romy Schmidt. 2023 wird es zwar kein Festival geben, aber zehn Konzerte mit den liebsten Bands, vom Kreisjugendring und dem Spectaculum Mundi unterstützt, aber eben nicht mehr getragen, sondern auf Schmidt eigene Kappe. Die A-Cappella-Gemeinde wird es ihr danken.

Vokal total, Fr., 7. Okt., bis So., 11. Dez., Spectaculum Mundi, Freiheizhalle und Alte Kongresshalle, Tel. 745 765 82

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