Kontroverse um Theaterstück "Vögel":"Inkorrekt, verkürzt oder aus dem Kontext gelöst"

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Eine Leibesvisitation, die Grenzen überschreitet und die sich sehr unterschiedlich deuten lässt: Szene aus dem Stück "Vögel", als es am Metropoltheater noch zu sehen war. (Foto: Jean-Marc Turmes/Metropoltheater München)

Ist das Theaterstück "Vögel" antisemitisch? Der Verlag, in dem das Werk erscheint, weist die Vorwürfe zurück. Die Studenten, die diese erheben, fühlen sich im Stich gelassen.

Von Anna Hoben und René Hofmann

Vor zwei Monaten hat das Metropoltheater die Aufführung des Stückes "Vögel" nach Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt, nun nimmt die Kontroverse darüber neue Fahrt auf. Die Studentenverbände, die die Debatte ausgelöst hatten, werfen der Politik Untätigkeit vor. Und der Verlag, der das Werk des Autors Wajdi Mouawad in Deutschland verlegt, widerspricht in scharfen Worten einer Analyse, die die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (Rias) vorgelegt hat. Dieser wird vorgeworfen, Zitate "zum Teil inkorrekt, verkürzt oder aus dem Kontext gelöst" wiedergegeben und antisemitische Tropen erst in das Stück hineinkonstruiert zu haben, um sie gegen es zu verwenden.

"Wir sind beide nicht besonders happy, wie das weitergeht", sagt Anna Staroselski über sich und Michael Movchin. Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und der Vorsitzende des Verbands jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) hatten am 11. November in einem offenen Brief das Stück als antisemitisch kritisiert und die Stadt München aufgefordert, die Förderung für das Theater zu streichen.

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Bei einer Veranstaltung der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie äußerten Staroselski und Movchin ihren Unmut. "Nach wie vor sind wir leider noch nicht dort angelangt, wo wir hinwollten", sagte Staroselski: "Wir wollten, dass ein Expertengremium eingesetzt wird." Dies sei nicht passiert. "Es sollte ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt werden. Deshalb wurde das Stück abgesetzt. Und jetzt wird die Debatte ausgesetzt." Movchin fordert: "Wir müssen über diese Themen sprechen, wir müssen diese Diskurse weiter führen. Ansonsten passiert da nichts."

Die Idee eines Expertengremiums war zirkuliert, als sich die Vertreter der Studierendenverbände auf Einladung der Grünen-Fraktion im Münchner Rathaus mit Jochen Schölch, dem Intendanten des Metropoltheaters, getroffen hatten. Schnell, so viel ist inzwischen klar, wird es keinesfalls kommen. Man wolle zunächst ein Symposium abwarten, das Kulturreferat und die Fachstelle für Demokratie zu dem Thema veranstalten wollten, sagt Dominik Krause, der Fraktionsvorsitzende der Grünen.

Die Partei von Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden hatte die Kritik von JSUD und VJSB früh aufgenommen. Nun räumt Krause ein: Man habe nicht deutlich genug gesagt, dass eine Streichung der städtischen Förderung für das Theater nicht zur Diskussion stehe - "weil das für uns klar war".

Wann das Symposium stattfinden soll, ist indes unklar. Die zuständigen städtischen Stellen lassen ausrichten: "Das Kulturreferat und die Fachstelle für Demokratie der Stadt München halten es für wichtig, dass dem gegenseitigen Zuhören - gerade auch der Position der Jüdischen Studierendenverbände - noch mal ein adäquater nicht-öffentlicher Raum gegeben wird."

"Unbedingter Wille, dem Autor Bösartigkeit zu unterstellen"

Wie unterschiedlich sich das Stück sehen lässt, belegt unterdessen die Replik des Verlags der Autoren auf die Analyse, die die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (Rias) Mitte Dezember veröffentlichte. Auf sechs Seiten hatte diese damals dargelegt, wieso der Text aus ihrer Sicht "antisemitische, meist Schoah-relativierende Motive" aufweise. Mit Übersetzer Uli Menke zusammen weist der Verlag dies als "nicht haltbar" zurück.

In einer am Donnerstag veröffentlichten Replik wird Rias in 40 Punkten widersprochen. Zu dem Vorwurf, "Handlung und Figuren in 'Vögel' erwecken den Eindruck, israelische Juden hätten aus der Erfahrung der Schoah 'nichts gelernt' und würden als Wiedergänger der Nationalsozialisten die an ihnen vergangenen Verbrechen nun den Palästinensern antun", heißt es: "Dies ist unzutreffend. Im Kern ist 'Vögel' ein Familiendrama, in dem die Figuren der einzelnen Familienmitglieder aus unterschiedlichen Motiven unterschiedliche Standpunkte vertreten und um diese streiten."

Auf die Rias-Ausführung, "die vermeintliche Unfähigkeit, mit dem Trauma der Schoah umzugehen, wird Juden zum Vorwurf gemacht", wird erwidert: "Es gibt keine einzige Stelle im ganzen Stück, die diesen Vorwurf impliziert." Zu einer Szene, in der eine israelische Soldatin bei einer Leibesvisitation eine Araberin sexuell bedrängt, bis in der Nähe ein Anschlag passiert, hatte Rias geschrieben, dies könne "als Legitimation von Terror verstanden werden". Dazu der Verlag: "Um eine solche Interpretation nahezulegen, bedarf es des unbedingten Willens, dem Autor Bösartigkeit und niederste Gesinnung zu unterstellen." Sein Fazit: Rias habe das Stück und dessen Aussage "verfehlt".

Das Theater Lüneburg plant, "Vögel" vom 11. Februar an zu zeigen. Am 12. Februar soll es am Thalia Theater in Hamburg zu sehen sein und Ende Februar zweimal am Berliner Ensemble. Ob und in welcher Form es ans Metropoltheater zurückkehrt, ist noch nicht entschieden.

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