Seit 2017 ist Vladimir Jurowski Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB), seit 2021 auch Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München. Insofern hat es eine pikante Note, wenn er nun im benachbarten Augsburg mit seinem Berliner Orchester Station macht. Das RSB befindet sich gerade auf Jubiläumstournee anlässlich seines hundertsten Geburtstags, hat dem Augsburger Mozartfest zu dessen Eröffnungswochenende aber ein Gastgeschenk mitgebracht: Am Anfang erklingt die Ouvertüre zu Mozarts "Don Giovanni", bevor Ivan Karizna unter Jurowskis Leitung das Zweite Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch spielt.
Der junge Cellist ist ein atemberaubender, auch besonderer Musiker, der sich, sogar sichtbar, hineinreißen lässt in Schostakowitschs düstere Welten. Der Ton dafür ist enorm modulationsfähig, kann singen und sägen, tänzeln und attackieren, schillert im Piano und glüht im Forte. Bei Schostakowitsch spürt man die Paranoia, die Wüsten der Einsamkeit, in der Zugabe eine spirituelle Kraft: Zu Giovanni Sollimas "Lamentatio" singt Karizna auch.
Klar kann auch Jurowski Schostakowitsch, aber mehr über den Dirigenten erfährt man im zweiten Teil bei Franz Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie. Denn die geht Jurowski, wie schon Mozart, aus dem Geist der historischen Aufführungspraxis an. Das RSB spielt mit einem scharfen Trennklang; die Bläser dominieren nicht selten die vibratoarmen Streicher, zumal das schwere Blech ganz rechts an der Seite postiert ist. Jurowski schneidet die Phrasen wie mit dem Rasiermesser zu, stuft sie in der Dynamik kleinteilig gegeneinander ab. Die Tempi sind eher schnell, die Energie durchgängig hoch. Crescendi werden als Stilmittel eingesetzt, nicht in pauschalem Bogen, folgen aber Welle auf Welle, bis die pure Lautstärke den Konzertsaal im Kongress am Park fast sprengt. Das ist - ohne jede Wertung - ein anderes Klangideal, als es das Bayerische Staatsorchester von Haus aus anbietet. Und erklärt damit auch, warum sich Jurowski in München bislang eher auf das 20. Jahrhundert und auf Mozart fokussiert.
Mit dem Augsburger Mozartfest hat es dennoch erstmal nicht viel zu tun. Sein umtriebiger Chef Simon Pickel hat eben eingekauft, was die Säle füllt, nicht nur den optisch wie akustisch attraktiveren Kleinen Goldenen Saal. Trotzdem wird dort an den kommenden beiden Wochenenden noch viel Mozart zu hören sein, mit dem Freiburger Barockorchester, dem Tenor Mauro Peter oder Kristian Bezuidenhout am Hammerklavier, ebenso gemischte Programme mit dem Countertenor Bejun Mehta und der Sopranistin Véronique Gens. "Catchy Tunes" lautet in diesem Jahr das Motto, nach der prägenden Kraft von Mozarts Melodien fragend. Und catchy ist Jurowskis Auftritt in Augsburg auf jeden Fall.