Als George Orwell vor einem Dreivierteljahrhundert seinen Roman „1984“ veröffentlichte, schienen Überwachungsmöglichkeiten, wie sie heute zum Standardrepertoire weltweit gehören, pure Science Fiction. Und selbst, als man das Jahr schrieb, in dem Orwells „Big Brother“-Vision angesiedelt war, verortete man einen digitalen Überwachungsstaat noch im Reich der Phantasie. Doch diese wurde von der Realität im 20. Jahrhundert schnell eingeholt. Die Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen, von Verkehrs- und Menschenströmen durch staatliche Institutionen ist längst allgegenwärtig.
Dass dies nicht nur zur Sicherheit und zum Wohle des Volkes eingesetzt wird, zeigen Beispiele in autoritären Staaten. Inzwischen hat sich aber auch eine parallele Überwachungswelt etabliert – durch uns selbst. Ununterbrochen produzieren wir Bildmaterial, Mobiltelefone und Satellitenverbindungen zeichnen Bewegungsprofile auf, Dashcams liefern weiteres Informationsmaterial.
Doch entsteht daraus nicht zwangsläufig ein Horrorszenario. Zusammengenommen können diese Bild- und Informationsquellen auch helfen, Unrecht ans Licht zu bringen. Menschenrechtsorganisationen, Nachrichtenredaktionen und Staatsanwaltschaften nutzen sie längst, um kontroverse Sachverhalte darzustellen und zu analysieren. „Visual Investigations“ – bildbasierte Ermittlungsverfahren – nennt sich diese Disziplin.
Diesen Visual Investigations – zwischen Aktivismus, Medien und Gesetz widmet nun das Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne eine Ausstellung (10. Oktober bis 9. Februar). Was das mit Architektur zu tun hat? Vorgestellt werden sieben Beispiele aus fünf Kontinenten, die zeigen, welche Rolle die Architektur im Gefüge von Aktivismus, Medien und Gesetz spielt, um Recht und Verantwortlichkeit zu klären.
Das erinnert ein wenig an Forensic Architecture, jenen Think Tank, der ebenfalls mit geostrategischen Methoden arbeitet und der unter anderem den NSU-Mordfall Halit Yozgat in Kassel untersucht hat. Auch dessen Arbeit wurde in zahlreichen Museen, Biennalen und auf der Documenta gezeigt.
Dass die Kunst viel mehr als L’art pour l’art ist, ist gewiss keine brandneue Erkenntnis. Schon immer gehörte es zum künstlerischen Selbstverständnis, auch politische und gesellschaftliche Vorgänge zu verarbeiten. Was sich verändert hat, sind die Methoden. Schon vor gut 100 Jahren wollten die Surrealisten mit ihrer Kunst die Wirklichkeit verändern – radikal und international.
Sie prangerten die europäische Kolonialpolitik an, organisierten sich gegen Faschisten, kämpften im Spanischen Bürgerkrieg, riefen Wehrmachtssoldaten zur Sabotage auf, wurden interniert und verfolgt, flohen aus Europa, fielen im Krieg. Gerade der Kampf gegen den Faschismus in mehreren Ländern prägte die Surrealisten und machte sie zu einer streitbaren und international vernetzten Bewegung.
Dies deutlich zu machen, schickt sich das Lenbachhaus mit seiner neuen Ausstellung an. Aber hier leben? Nein danke heißt die Schau über Surrealismus und Antifaschismus, die vom 15. Oktober an dort zu sehen ist (bis 2. März). Angesichts der jüngsten Wahlerfolge rechter Parteien wie der AfD und der FPÖ und mit Blick auf die Höckes und Kickls dieser Welt könnte der Titel kaum zeitgemäßer sein.