Virtuelle Ausstellung:Zven-Buddhismus

Das Online-Fotokunstprojekt "Pensées" des Kabarettisten Sven Kemmler

Von Oliver Hochkeppel

In normalen Zeiten, also bis zum März dieses Jahres, war Sven Kemmler nicht nur der Dandy und Gourmet der hiesigen Kabarettszene, ihr Märchenonkel, Dadaist und Sprachspieler, ihr Chef-Anglizist und Asienversteher, er war auch chronisch ausgelastet. Mit diversen eigenen Programmen, als Gastgeber seines "Meating-Rooms", als Co-Autor und Regisseur für zahlreiche Kabarett-Kolleginnen und -Kollegen. Der Stillstand der Live-Kultur bedeutete für jemanden wie ihn also ein Arbeitsverbot: selbst wenn er an einem neuen - inzwischen wenigstens uraufgeführten - Programm werkeln und als Regisseur mit dem neuen Lach- und Schieß-Ensemble proben konnte.

So auf sich zurückgeworfen sann auch Kemmler über die in kulturministeriellen Sonntagsreden gerne bemühten "neue Formate" - und startete ein Online-Kunstprojekt. "Pensées" nennt er das, inspiriert vom klassischen Dandytum und benannt nach dem Werk von Blaise Pascal, einem legendären Stubenhocker. Was ihm beim Zuhausesein und Um-sich-selbst-Kreisen an komischen wie tiefsinnigen Gedanken kam, hielt er nicht nur in Aphorismen fest, sondern illustrierte diese fotografisch mit aufwendig komponierten Selbstporträts. "Das Motiv bin immer ich selbst, weil das Selfie der spirituelle Kern der Sozialen Medien ist", wie Kemmler erklärt. Die Aufnahmen inszenieren die Situation der Quarantäne und erste Schritte nach. Ein "Zven-Buddhismus" in 94 Bildern, die visuell mitunter grandios komponiert und in ihrer fröhlichen Dekadenz sehr lustig sind.

Das sieht dann zum Beispiel so aus: Kemmler steht im Hemd mit Streifen zwischen Gitterstäben, darunter steht: "Wenn man sich eingesperrt fühlt, weil man keine Baumärkte aufsuchen kann, wurde zuvor die Rübe nicht genug gedüngt. Das gilt für alle Verkaufsflächen." Oder er steht frontal einer VW-Bus-Schnauze gegenüber zur Frage, wie sinnhaft es ist, Kabarett vor Autos zu spielen. Die Texte sind immer deutsch und englisch, allerdings keine Übersetzungen, sondern fast immer ganz verschieden Gags. Weil "Unsinn und Stil Geschwister sind," wie Kemmler findet, spielt Mode eine große Rolle. Die verschiedensten Outfits unterstützen die Spielereien. "Entscheidend ist, dabei Hut zu tragen," sagt der Kopfbedeckungsfetischist. Stets eine andere ziert die 94 Bilder, und so hat Kemmler mit den Bildern schon die #HatsOnForTheNHS"-Challenge gewonnen, eine Spendenaktion für das britische Gesundheitssystem vom berühmten Londoner Hutmacher "Lock & Co. Hatters" .

Was im Netz schon sehr schön ist, sähe als Fotoband natürlich noch einen Zacken besser aus. Dafür hat Kemmler nun auch auf seiner Homepage eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Außerdem wird er die "Pensées" in den kommenden Wochen mit Stream-Aktionen begleiten, bei denen Kemmler "live denkt". Start ist an diesem Mittwoch auf der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Richtung Jahresende ist auch eine analoge Ausstellung angedacht: "Wenn ich mir bis dahin wertige Drucke leisten kann und es die Galerie Truk Tschechtarow noch gibt."

Sven Kemmler: "Pensées", www.sven-kemmler.de

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