Mittersendling:Hier wohnte Franz Josef Strauß zehn Jahre hinter Panzerglas

Familie Strauß in ihrer Münchner Wohnung

Nach dem Einzug 1978 gaben Franz Josef Strauß und seine Frau Marianne mit den Kindern Franz Georg, Monika und Max (von links) einen seltenen Einblick ins neue Wohnzimmer.

(Foto: GEBHARDT-SZ)

Einst suchte die Familie hier hinter Gräben und Panzerglas Sicherheit vor der RAF, nun hat der jüngste Sohn Franz Georg das Anwesen in der Hirsch-Gereuth-Straße verkauft.

Von Jan Bielicki

Es ist ein durchaus stattliches Haus. 419 Quadratmeter Wohnfläche, 254 Quadratmeter Nutzfläche, drumherum ein großer Garten - doch unter den Ein- und Zweifamilienhäusern in der Hirsch-Gereuth-Straße, einer ruhigen Wohnstraße in Mittersendling, fällt es nicht weiter auf.

Hinter einer hohen, dichten Hecke liegt es verborgen, an der Einfahrt zur Doppelgarage weist nichts darauf hin, dass hier in Hausnummer 28 zehn Jahre lang bayerische Zeitgeschichte gemacht wurde. Und von außen erinnert nichts daran, wer hier einst wohnte: Franz Josef Strauß, immer noch Übervater der CSU, mehrfach Bundesminister, Kanzlerkandidat und in der Zeit, als er hier wohnte, von 1978 bis zu seinem Tod 1988 Ministerpräsident Bayerns.

Noch wohnt sein jüngerer Sohn im Haus, aber nicht mehr lange. Franz Georg Strauß hat das Haus verkauft, an einen Käufer aus der Nachbarschaft, wie er am Telefon bestätigt. Im April zieht er aus, große Gefühle für das Anwesen habe er nicht, er hänge nicht an Häusern und auch nicht an diesem, sagt er, so wenig wie einst seine Eltern. Er hatte es schon einmal für viele Jahre vermietet, und nun: Seine Kinder sind aus dem nun zu großen Haus, eine neue Wohnung in Bogenhausen ist gefunden und ein Käufer für die alte: "Es hat halt gepasst", sagt Strauß.

Marianne Strauß, 1979

Marianne, die Frau von Franz Josef Strauß, vor dem Anwesen in der Hirsch-Gereuth-Straße. Auf der Rückseite gibt es aus Sicherheitsgründen keine Fenster.

(Foto: SZ Photo)

Über den Preis sagt er nichts, aber billig war das ursprünglich 1939 errichtete und später mehrfach umgebaute Haus mit Schwimmbad und Sauna im Keller und Solaranlage auf dem Dach sicher nicht. 2015 war es schon zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben, weil Strauß' Beteiligungsfirma in Finanzierungsschwierigkeiten geraten war. Für 2,7 Millionen Euro war die Immobilie damals aufgerufen. Strauß konnte sich aber rechtzeitig Geld beschaffen, und seither sind die Immobilienpreise in München noch mal kräftig gestiegen.

Franz Georg Strauß war 16, als die Familie 1978 hier einzog. Es war ein überstürzter Umzug, so erinnert er sich, "zwischen die Handwerker", die das Haus gerade um- und ausbauten. Der Grund für die Eile: Seine Mutter Marianne Strauß wollte nicht mehr länger in der alten Wohnung bleiben, oben im 14. Stock eines Wohnblocks am zwei Kilometer entfernten Listseeweg. Sie hatte Angst, erzählt ihr Sohn, "furchtbare Angst um ihre Familie". Die Wohnung war einsehbar von den Hochhäusern gegenüber, es war die Zeit des mörderischen Terrors der Rote-Armee-Fraktion - und die Fenster waren nicht aus Panzerglas.

Wie nahe die linksextremen RAF-Terroristen der Familie Strauß wirklich kamen, ist ungewiss. Als die damalige Terroristin Verena Becker im Mai verhaftet wurde, fand sich bei ihr eine Kalendernotiz: "Strauß FJ" - vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Terrorgruppe den CSU-Chef ausspähte. Jahrzehnte später berichteten dessen Kinder von womöglich weit fortgeschrittenen Anschlagsplänen. Strauß' Tochter Monika Hohlmeier erzählte in Interviews, sie und ihr älterer Bruder Max hätten auf dem Schreibtisch ihres Vaters Kopien von Schriftstücken gesehen.

Daraus sei hervorgegangen, dass Verena Becker eine konspirative Wohnung im Hochhaus gegenüber angemietet habe, aus der die Bewegungen der Familie beobachtet und aufgezeichnet wurden. "Unseren Eltern wurde sogar die fast irre Idee übermittelt, dass ein Sprengstoffanschlag mit einem Modellflugzeug auf unsere Wohnung möglich sei", sagte Hohlmeier der Augsburger Allgemeinen. "Doch seltsamerweise sind alle Dokumente zu dieser konspirativen Wohnung im Hochhaus gegenüber später verschwunden."

Sicher ist: Franz Josef Strauß war einer der gefährdetsten Politiker im Land. Der CSU-Chef polarisierte wie kaum ein anderer, für Teile der Linken war Strauß geradezu eine Hassfigur, erst recht, als er 1980 als Spitzenkandidat der Union nach der Kanzlerschaft griff. Die Villa der Familie in der Hirsch-Gereuth-Straße wurde fast festungsartig ausgebaut. Hier gab es Panzerglas - und keine Fenster auf der Rückseite. Im Garten wurden Gräben ausgehoben, die verhindern sollten, dass Autos dem Haus zu nahe kamen. Und in die Einfahrt ließ die Polizei einen Stahlcontainer hieven, als Bunker für die Bewacher. Acht, bisweilen auch 16 Polizeibeamte hatten das Haus und seine Umgebung im Auge. Auch die Kinder wurden von schwer bewaffneten Polizisten in die Schule gefahren.

"Helmut Kohl hat sich immer erst ein bisschen mit uns unterhalten"

Franz Josef Strauß selber hat sich um die Ausstattung des Hauses kaum gekümmert. "Der Vater ist von der Arbeit gekommen und hat gesagt: Sagt mir, wo ich hingehen soll", erzählt sein Sohn Franz Georg, "meine Mutter hat hier alles gemacht." Das Haus gehörte der Unternehmertochter Marianne Strauß bis zu ihrem Unfalltod 1984 auch allein.

Für ihren Mann war das Haus ein Rückzugsort. Hof hat der Ministerpräsident hier praktisch nie gehalten. Nur der chinesische Machthaber Hua Guo Feng war während eines Staatsbesuchs in Bayern auch ins Straußsche Wohnzimmer geladen - und saß im Rauch des Kamins, weil die Abzugsklappe nicht geöffnet war, wie sich Franz Georg Strauß erinnert. Natürlich wurden bisweilen auch Minister oder CSU-Funktionäre wie Edmund Stoiber in die "Hirsch-Gereuth" zitiert, wie das Haus des Chefs im Parteijargon hieß. Und oft war der DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski da, der hier im Geheimen mit Strauß den umstrittenen Milliardenkredit aushandelte - welcher das SED-Regime letztlich auch nicht rettete.

Aber die Arbeit kam hauptsächlich in Pilotenkoffern voller Akten ins Haus, ein Dutzend solcher Koffer brachten die Fahrer oft hinauf ins Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten, so erzählt sein Sohn, "im Laufschritt". Wenn das Telefon klingelte, gingen meist "wir Kinder dran, er hat dann genickt: Ja, er ist da. Oder er hat den Kopf geschüttelt: Leider nicht da." Gute Erinnerungen hat Franz Georg Strauß ausgerechnet an Helmut Kohl, den Erzrivalen seines Vaters in der Union: "Er hat sich immer erst ein bisschen mit uns unterhalten."

Franz Georg Strauß hat das Haus nach dem Tode seines Vaters geerbt. (Sein Bruder Max bekam die Wohnung in der Klosteranlage Rott am Inn, seine Schwester Monika das Ferienhaus in Südfrankreich.) Längst sind der Polizeicontainer weg, die Gräben zugeschüttet, das Panzerglas ersetzt - es war "thermisch sowieso eine Katastrophe", sagt Strauß. Im Esszimmer erinnert eine Wand voller Fotos noch an den berühmtesten Bewohner. Auch die Bilder werden umziehen.

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