Viertel-Stunde:Wo Theodor Gott nahe war

Ím Lochhamer Schlag hat Jesus den Weg in einen Baum gefunden. Eine kleine Kapelle schützt die ungewöhnliche Erscheinung

Glosse von Sonja Niesmann

Die ausgebreiteten Arme wirken wie freischwebend, der Kopf ist hinabgesunken auf den Oberkörper, vom gefältelten Lendentuch ist nur noch ein Teil zu sehen. Der Rest des Corpus, die Balken des Kreuzes: verschlungen. Verschlungen von Holz und Rinde. 1945 ist dieser Christus am Kreuze hier im Wäldchen am Lochhamer Schlag, auf dem Grund des Freiherrn Andreas von Hirsch, an einer Fichte befestigt worden. Mutmaßlich zum Gedenken an jene Menschen, die dort in den Nachkriegstagen ums Leben kamen, heißt es auf einem Täfelchen, denn immer sei die Stelle mit frischen Blumen geschmückt gewesen.

Die geheimnisvollen Gefallenen freilich sind eine Legende. "Wir haben lange geforscht, aber einfach nichts dazu gefunden", berichtet Friederike Tschochner, eine in der Gräfelfinger Historie höchst Kundige. Bis sich endlich ein Mann gemeldet habe, der lange im Ausland gelebt hatte, und erzählte, er habe 1945 im Wald ein Kruzifix auf dem Boden gefunden und es einfach in einen Baum gesteckt. Die unsachgemäße Anbringung ermöglichte es der Natur wohl, sich unaufhaltsam ihren Weg zu bahnen: Im Lauf der Zeit verschwand der Gekreuzigte immer weiter im Holz; heute wirkt es, als schäle er sich soeben aus dem Inneren des Baumes heraus.

Nachdem ein starker Wind die Fichte gefällt hatte, stellte man die untere Hälfte des nackten Stammes mit der Christus-Figur als Marterl auf. Auf Betreiben der Familie Huber, Nachkommen des Gräfelfinger Altbürgermeisters und Ehrenbürgers Josef Huber, errichtete die Zimmerei Georg Rothmair aus Stockdorf dann 1995 eine kleine Kapelle um das Marterl herum. Geweiht wurde der schlichte, auf drei Seiten aus Holzbalken zusammengefügte und nach vorne offene Bau mit seinem inzwischen moosüberwucherten Schindeldach am 24. Juni 1995 von Max Ziegler. In Ansätzen ist davor etwas Gartenähnliches zu erkennen, ein eingefriedetes Beet zum Beispiel. Auch dazu kann Friederike Tschochner etwas beisteuern. Huber junior, der als Waldaufseher die Gegend "kannte wie seine Westentasche", habe im Lochhamer Schlag Schutt gefunden, der von den Führerbauten am Königsplatz stammte. Einige Brocken funktionierte er um, zu einer Vogeltränke, zu Sitzgelegenheiten.

Ein Ort der Andacht, des Innehaltens ist das hier, zwischen dem Fußweg entlang der Lindauer Autobahn und der Würmtalstraße, nahe dem Gräfelfinger Gewerbegebiet. Kein ganz stiller aber - mal behalten die zwitschernden Vögel die Oberhand, mal das Dauerrauschen der nahen Autobahn. In Vasen stehen Sträußchen mit weißen Rosen oder Forsythien, an den Wänden im Inneren des Kapellchens sind Tafeln im Ikonen-Stil befestigt, kleine Kruzifixe und das ein oder andere Bildchen, wie jenes "im Gedenken an Theodor - hier war sein Platz zum Beten, hier war er Gott nahe". Auch einige rote Grabkerzen flackern, es sind LED-Kerzen. Denn seit es wärmer geworden ist, klärt ein Zettel darüber auf, dass nach dem bayerischen Waldgesetz "jegliches offene Feuer" wie Wachskerzen, Teelichter, Grablichter, sogar Räucherstäbchen verboten sei. Um Feueralarm zu schlagen, braucht es das Glöckchen, das da rätselhafterweise an einer Schnur baumelt, also wohl nicht.

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