Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Tragischer Weg

Eine kleine Straße in Hadern ist nach Hanna Kirchner benannt - um eine tapfere Frau zu ehren, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben gab

Kolumne von Berthold Neff

Hier würde es ihr sicher gefallen: Drei Häuserzeilen, in denen man ruhig wohnt, der Spielplatz für die beiden Kinder gleich ums Eck, und die Lindauer Autobahn macht sich, je nach Windrichtung, nur durch fernes Rauschen bemerkbar. Es ist ein kleiner Weg in einer beschaulichen Ecke von Hadern, der nach Hanna Kirchner benannt wurde - um eine tapfere Frau zu ehren, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben gab.

Geboren wurde sie am 24. April 1889 in Frankfurt am Main, und weil die Familie Stunz durch und durch sozialdemokratisch geprägt war, trat Hanna mit 18 Jahren in die SPD ein, für die sie von 1926 an als hauptamtliche Funktionärin arbeitete. Von Beruf Sekretärin, half sie schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg überall dort, wo die Not am größten war, insbesondere auch den Kindern, und engagierte sich in der Arbeiterwohlfahrt, der Wohlfahrtspflege der sozialdemokratischen Arbeiterschaft.

Ihre Ehe mit dem Journalisten und SPD-Politiker Karl Kirchner war all dem nicht gewachsen, nach der Scheidung lebten die Töchter Lotte, 1911 geboren, und die zwei Jahre jüngere Inge beim Vater, während Hanna Kirchner nach 1933 schnell ins Visier der Gestapo geriet, weil sie einem Nazigegner bei dessen Flucht geholfen hatte. Am 2. Mai 1933 gelang es ihr, die Mitgliederkartei der Frankfurter SPD aus dem Parteibüro im Gewerkschaftshaus zu schmuggeln, an den SA-Posten vorbei.

Der Verhaftung entzog sie sich durch die Flucht ins damals französisch besetzte Saarland. Zusammen mit Marie Juchacz, der Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, führte sie an der Bahnhofstraße in Saarbrücken eine Pension. Als das Saarland 1935 durch die Saarabstimmung an Deutschland fiel, wich sie nach Frankreich aus und baute im elsässischen Forbach eine Flüchtlingsberatungsstelle auf. Ihre Töchter kamen mit dem Fahrrad zum Besuch der Mutter im Exil und halfen sogar dabei, Nachrichten nach Deutschland zu schmuggeln. Auf ihren Stationen im Exil beteiligte sich Hanna Kirchner an der Verbreitung von Parteimaterial und Flugblättern.

Das blieb den Nazis nicht verborgen. Hanna Kirchner wurde 1937 ausgebürgert, flüchtete weiter nach Metz, wurde von der französischen Polizei festgenommen, kam ins Lager Gurs, flüchtete und versteckte sich im Kloster Aix-les-Bains. 1942 wurde sie verhaftet und von der Vichy-Regierung an die Gestapo ausgeliefert. Im selben Jahr begann ihr Prozess wegen Landesverrats. Ihre Töchter durften sie besuchen und sahen mit Schrecken, was die Haft und die Verhöre mit ihrer Mutter gemacht hatten.

Als das Urteil auf zehn Jahre Zuchthaus lautete, gab es noch Hoffnung, doch Roland Freisler, Vorsitzender des Volksgerichtshofs, setzte eine Wiederaufnahme durch. Am 29. April 1944 lautete nach halbstündiger Verhandlung der Richterspruch: Todesurteil. An ihre Töchter schrieb sie kurz vor der Hinrichtung: "Eure Liebe und eure Tapferkeit sind mir Trost und Beruhigung in meiner letzten Stunde." Und fügte tröstend hinzu: "Trauert nicht um mich, ihr werdet glücklichere Zeiten erleben." Hanna Kirchner wurde am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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