Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Reden in Varianten

Der Bogenhauser Bezirksausschuss tagt im Gehörlosenzentrum an der Lohengrinstraße. Um bei Kellnerin Katharina Pentenrieder etwas bestellen zu können, hat jedes Mitglied seine eigene Art der Kommunikation entwickelt

Kolumne von Nicole Graner

Die blonden Haare hat sie dieses Mal zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Manchmal trägt sie sie auch offen. Und sie lächelt. Immer. An Katharina Pentenrieder kommt man nicht vorbei, wenn man bei der Sitzung des Bezirksausschusses (BA) Bogenhausen im Gehörlosenzentrum an der Lohengrinstraße etwas trinken will. Die 31-Jährige ist seit ihrer Geburt stark hörgeschädigt und schaut genau auf die Lippen des Gastes. Sie versucht zu verstehen, die Wünsche abzulesen. Das macht sie mit großem Charme, blickt den Menschen offen, klar ins Gesicht.

Seit vier Jahren tagt das Gremium des 13. Stadtbezirks an der Lohengrinstraße. Und seine Mitglieder, jeder auf seine Weise, haben sich angewöhnt, mit Händen und Füßen zu sprechen, wenn sie an der Theke etwas zu trinken bestellen. Oder, was Katharina Pentenrieder am allerliebsten ist, ganz deutlich und langsam zu sprechen. "Ich hätte gerne eine J-o-h-a-n-n-i-s-s-a-f-t-s-c-h-o-r-l-e."

Katharina Pentenrieder nickt. Dann neigt sie ihren Kopf zur Seite, reibt die vor der Brust verschränkten Arme und buchstabiert leise das Wort "kalt". Sie legt die Hände auf den Bauch und formt das Wort "warm". Aha. Man darf sich eine kalte oder warme Schorle aussuchen. Manchmal deutet sie auch noch auf die unterschiedlichen Gläser im Regal. Andere BA-Mitglieder haben sich eine spezielle Zeichensprache mit ihr ausgedacht. Die kennt sie dann schon. Zur Not gibt es eine Preistafel, auf der man das entsprechende Getränk nur antippen muss.

Die 31-Jährige arbeitet gerne hinter der Theke im Gehörlosenzentrum. Es tue ihr gut, artikuliert sie ganz langsam. Und es freue sie, Kontakt mit Menschen aufzubauen. Vor allem "wenn sie gute Laune haben", sagt sie und lächelt. Wenn aber der BA tage, dann müsse sie meistens lang warten, bis sie Feierabend habe. Sie deutet auf den nüchternen Saal, dessen Tür während der Sitzung immer offen steht, macht das Handzeichen für "Reden" und gähnt spaßeshalber.

Bis zum Wahltag am 15. März stellt die Stadtviertel-Redaktion in der Viertel-Stunde Tagungslokale von Münchner Bezirksausschüssen vor.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2020
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