Viertel-Stunde:Märchenschloss im Vorgarten

Neuschwanstein an der Mendelssohnstraße in Pasing

267 Fenster, dreieinhalb Meter Höhe: Martin Grills maßstabsgetreues Neuschwanstein in Pasing.

(Foto: privat)

Wem es langweilig ist im Lockdown, der könnte sich in die Mendelssohnstraße nach Pasing aufmachen. Dort wird er, wenn er geduldig sucht, in einem Garten eine bauliche Hommage an Ludwig II. finden. Was genau? Wird nicht verraten.

Kolumne von Jutta Czeguhn

Ach, neeee, nicht schon wieder in die Mendelssohnstraße!" - "Doch! Auf! Wir gehen da so lange spazieren, bis wir es finden!" Zu etwas müssen diese langen Feiertagslockdownnachmittage doch gut sein. Eine schon ewig aufgeschobene Expedition konnte nun also endlich angetreten werden. Zunächst noch etwas verschämt und wenig strategisch. Wer stiert schon ungeniert in die Vorgärten anderer Leute, zumal durch das blickdichte Dickicht winterharter Hecken? Und davon gibt es jede Menge an der Mendelssohnstraße. Eine ruhige, gerade, schöne Straße übrigens, mit Eigenheimen, Doppelhäusern, Mehrparteienblocks. Mitten im sogenannten Fliegerviertel im Pasinger Norden, vom Volksmund einst so getauft, weil dort auffällig viele Straßen nach Luftfahrtpionieren und Konstrukteuren benannt worden waren. Durchaus fragwürdige Persönlichkeiten. Nach 1945 hielten deshalb Musiker und Komponisten auf den Straßenschildern Einzug. Paul Gerhardt, Jacques Offenbach und eben auch der unerreicht geniale Felix Mendelssohn Bartholdy.

Aber zurück zur Expedition. Die ersten Streifzüge verliefen komplett ergebnislos. Nur Sphinxe, bayerische Löwen oder Gartenzwerge waren hinter den Hecken zu erspähen. Schließlich teilten wir uns auf, einer ging die linke Straßenseite ab, der andere die rechte. Irgendwann legt man bei so einem ehrgeizigen Suchlauf jede Etikette ab und lugt mit unverschämter Penetranz. Und mit Erfolg. Als würden sich wie im Disney-Märchen die Zweige einer Dornenhecke teilen: Da war es, weit hinten auf einem Gartenfelsen. Etwas schmächtiger, als man es sich vorgestellt hatte, aber nicht minder prächtig: Schloss Neuschwanstein.

Wie ist es da hingekommen, in den Garten an der Mendelssohnstraße? Diese kleine Geschichte hatte das Pasinger Archiv in seinem Jahresheft 2020 in ein paar Absätzen erzählt: Martin Grill, ein Fernmeldemechaniker, der dort 1933 sein Haus erbaut hatte, beschloss in die Fußstapfen von Ludwig II. zu treten, allerdings wollte er ungleich weniger Geld ausgeben, und sich schon gar nicht verschulden. Keine Millionen, sondern lediglich 100 Mark sollte ihn die Errichtung von Schloss Neuschwanstein am Ende kosten. Grill hat es maßstabsgetreu nachgebildet, fünf Zentner Zement verbaut. Dreieinhalb Meter hoch ist seine Märchenburg, sie hat exakt 267 Fenster. Sogar als Grills Haus im Zweiten Weltkrieg durch Bomben fast völlig zerstört wurde, blieben laut Pasinger Archiv die Zinnlein oder Türmlein des schmucken Gartenschlosses verschont.

Wo genau das Neuschwanstein von Pasing in der Mendelssohnstraße nun zu finden ist, wird natürlich nicht verraten. Da muss man sich schon selbst auf die Suche begeben, bei einem dieser langen Feiertagslockdownspaziergänge.

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