Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Kleiner Postillion

Das Rätsel um die kleine Bronze-Figur an der Versailler Straße 18 scheint gelüftet zu sein

Glosse von Lea Kramer

Radlern und Autofahrern bleibt die Versailler Straße vielleicht nur wegen ihres rumpeligen Straßenpflasters im Gedächtnis. Spaziergänger können aber sehr viel Schönes entdecken. Zum Beispiel schaut seit Jahrzehnten eine namenlose, kleine Bronze-Figur vor der Hausnummer 18 auf die Flaneure herab. Das nackte Kindlein hält ein Posthorn in der Hand und steht mit beiden Beinen auf einer Weltkugel. Unter dem Globus befindet sich ein Wasserbecken. Es scheint, als gehöre die Skulptur zu einem der mehr als 700 Brunnen im Stadtgebiet. In der offiziellen Liste taucht das musikalische Buberl nämlich nicht auf.

Weder Plakette noch Tafel weisen darauf hin, wer die Figur gefertigt und aufgestellt hat. 2013 hat die Versicherungskammer Bayern auf dem Grundstück gebaut. Auf Nachfrage äußert die Immobilienabteilung des Konzerns eine Vermutung: Wo heute im Erdgeschoss ein Arzt seine Patienten behandelt, war früher einmal ein Postamt. Das Blasinstrument in der Hand des Jungen passt also. Diese Information hätte man auch einfacher bekommen können, hätte man gleich ein paar alteingesessene Haidhauser gefragt. Die kennen nämlich die Figur und sogar die besagte Poststelle noch aus ihrer Kindheit. Wer die Figur aufgestellt hat? Das wissen die Anwohner allerdings auch nicht. Glücklicherweise gibt es Stadtteilforscher mit historischem Buchbestand im häuslichen Handapparat. Karin Bernst vom Verein Nordostkultur hat den Brunnen - es ist tatsächlich einer - in einem München-Buch aus dem Jahr 1974 entdeckt. Dort ist er als "Der kleine Postillion" dokumentiert. Die Figur stammt aus dem Jahr 1937. Entworfen hat sie ein gewisser A. Mühlbauer. Vermutlich steht das A. für August. Ein Bildhauer mit diesem Vornamen war nämlich 1916 als 26-Jähriger aus Landshut nach München gekommen und hatte sich in der Akademie der Bildenden Künste für das Fach Bildhauerei eingeschrieben. Über sein Schaffen ist nahezu nichts bekannt - außer eben jetzt der kleine Postillion.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2021
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