Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Falsche Romantik

Eine Schnitterin am Brunnen - die Figur aus Muschelkalk an der Damaschkestraße stammt von 1939 und entspricht letzten Endes der Ideologie, die damals herrschte

Kolumne von Lea Kramer

Sie trägt ein Ährenbündel unter dem linken Arm, in der rechten Hand liegt die Sense. Vor der Sonne schützt sie ein Hut. Es sieht nach Erntezeit aus in der Truderinger Damaschkestraße, wo schon seit längeren Zeiten keine Frauen mehr Felder abernten. Vieles an der Schnitterin wirkt wie aus der Zeit gefallen. Das kommt nicht von ungefähr, schließlich war sie bereits zum Zeitpunkt ihrer Ankunft im Münchner Osten nur mehr ein Mythos.

Auf einem für Münchner Verhältnisse überbreiten Grünstreifen mit zahlreichen großgewachsenen alten Bäumen und neben einem im Vergleich dazu sehr schmalen Trottoir steht ein Brunnen, von dessen Rand aus eine Mädchenfigur aus Muschelkalk die Szenerie überblickt. Es ist ein seltsamer Ort für eine Wasserstelle, weder schließt sich ein Platz an noch kreuzen Straßen die Stelle.

Ein Blick auf die bayerische Denkmalliste ergibt: Die Truderinger Sensenfrau stammt aus dem Jahr 1939. Gefertigt hat sie ein gewisser Georg Gardi, der Entwurf für die Plastik stammt von Simon Leibl. Was die beiden mit Trudering zu tun haben - oder genauer: der Siedlung Michaeliburg - bleibt offen. Anders als andere Münchner Gartenstädte ist die Michaeliburg, deren Häuser komplizierterweise zusätzlich auf Perlacher Grund liegen, keine der klassischen Kleinsiedlungen oder Volkswohnanlagen aus der NS-Zeit, die für bedürftige Arbeiterfamilien oder verdiente Parteimitglieder errichtet wurden. Benannt ist die Siedlung nach dem ersten Siedler, Michael Obermayer, dessen 1898 errichtetes Wirtshaus aufgrund der Türme als Burg bezeichnet wurde. Das Wahrzeichen an der Zehntfeldstraße gibt es nicht mehr, es ist abgerissen und durch Neubauten ersetzt worden. Die Siedlung drumherum mit ihren kleinen Häuschen und Gärten hat sich nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt.

Zwar hatte der Burgbesitzer Obermayer auch mal mit Saitlingen gehandelt, was zumindest Rückschlüsse auf Viehhaltung in Straßtrudering zulässt, eindeutige Bezüge zur Schnitterin lassen sich daraus aber nicht konstruieren. Vielleicht findet sich ein Hinweis, ein paar Schritte weiter östlich, an der Forellenstraße. Das dortige Schulgebäude stammt aus demselben Jahr wie das ährentragende Mädchen und hieß ursprünglich Memeler Schule. Die aggressive Expansionspolitik des NS-Regimes schlug sich seinerzeit in der Namensgebung nieder und hat dort bis heute Spuren hinterlassen. Bezeichnungen von Straßen und Plätzen, aber eben auch von Schulen sind Propaganda und dienten als Mittel der Machtdemonstration. Da es sich oft auch um Orts- oder Flurnamen handelt, hat diese Namensgebung lange keiner hinterfragt.

Es ist also kein Zufall, dass zu dieser Zeit ein Erntebrunnen mit idealisierter Frauenfigur entsteht. Die Romantisierung bäuerlicher Lebensformen, wie sie zum Teil in den Münchner Randgebieten noch praktiziert wurden, gehört zur nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie, die für das vermeintlich eingeengte deutsche Volk mehr Lebensraum im Osten beanspruchte. Die Schnitterin passt in dieses Bild, das idyllische Natur und eine antifeministische Weiblichkeit propagiert, während junge Frauen im Krieg als Arbeitskraft hart beansprucht werden.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2021
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