Viertel-Stunde:Ein Bollwerk fällt

Das "Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität" hört auf

Von Stefan Mühleisen

Es gab eine Zeit, in der war "Lebensqualität" noch mehr - viel mehr - als ein kuschelig-saturiertes Schlagwort der Marketingindustrie. Städte zum Beispiel werbenheute gerne damit, ganz oben im Lebensqualität-Ranking zu rangieren. Gemeint ist jedoch eine profane Güteklasse des Konsums - und nicht der Begriff der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften seit den 1970er Jahren, den Mira Maase und ihre Mitstreiter vor 26 Jahren so inspirierend fanden. Die Gruppe gründete in der Augustenstraße das "Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität". Der Verein hat über die Jahre unermüdlich den geistigen Faden von Philosophen, Politologen und Soziologen hochgehalten, nach dem sinnvollen, erfüllten - also qualitätvollen - Leben zu fragen, "als Gegenentwurf zu Konsum und Kommerz", wie Maase sagt. Doch bald ist Schluss: Der Kulturverein löst sich noch dieses Jahr auf.

Viele Nachbarn und Freunde dürfte das bekümmern. "Wir sind ein Bollwerk der Kultur und ein kulturelles Begegnungszentrum", sagt Maase selbstbewusst. Die Frau mit den blassblauen Augen und der feingliedrigen Gestalt weiß: Viele finden den idealistischen Ansatz sehr inspirierend, eine Art Kultur-Bürgerinitiative über all die Jahre mit Qualität am Leben erhalten zu haben.

Die geistigen Vorbilder sind im Empfangsraum aufgereiht: Fotografien von Simone de Beauvoir, Frantz Fanon, Pablo Picasso, Alfred Adler, Günter Eich hängen über Regalen mit Hunderten Büchern - der Buchladen des Vereins, nebst Gesundheitsshop und einem eigenen Verlag (Verlag des Zeitgenossen). Es gab Kunstausstellungen, etwa mit Gerlinde Teicher-Losert, Schriftsteller-Lesungen, zum Beispiel mit Uwe Timm oder Felicitas Hoppe. Viele Schauspieler waren zu Gast, darunter Erika Eller oder Klaus Henner Russius. Maase und Kollegen zogen dabei den aufklärerische Ansatz durch, etwa wenn Dialoge des Philosophen Paul Feyerabend in einer szenischen Lesung aufgeführt wurden.

"Wir haben eine kulturelle Gegenöffentlichkeit geboten", sagt Maase. Sie nennt es eine "Vernunftentscheidung", dass der Verein heuer aufhört. "Wir wollen das Kulturzentrum mit Stil und Würde abwickeln, so lange wir noch die Kraft dazu haben", sagt die 66-Jährige. Wer ein echtes Stück Lebensqualität behalten will, hat von 15. Juni bis 11. Juli Gelegenheit dazu: In dieser Zeit läuft in der Buchhandlung der Räumungsverkauf mit reduzierten Titeln.

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